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Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938 - Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
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10 Klaus Hödl Purim bildet aber nicht nur einen Anlass zum historischen Gedenken und zur rituellen Vergeltung, sondern zeichnet sich auch dadurch aus, dass an diesem Tag die Welt auf den Kopf gestellt wird. Das Fest bildet die einzige Gelegenheit im jüdischen Jahreszyklus, bei der Juden bewusst und geduldet über die Stränge schlagen, sich be- trinken, an Völlerei erfreuen und sexuellen Ausschweifungen hingeben. Die Normen des Alltages sind außer Kraft gesetzt, rabbinische Autoritäten ihres Einflusses entho- ben und das Ziel von Verhöhnung. Zwischen der historisch weit zurückliegenden Gefahr der Vernichtung, die zu Purim mittels Verbrennen des Bildnisses von Haman „kommemorativ bewältigt“ wird, und den zeitgenössischen Beschränkungen durch jüdische Machtinstanzen, die verlacht werden, befindet sich das Christentum. Während eines Großteils seiner Geschichte hatte es als Feind der Juden gegolten. Anders als bei Haman blieb die christliche Be- drohung nicht auf die Vergangenheit beschränkt, sondern zeigt(e) sich fortlaufend. Und ähnlich wie über Haman oder die Rabbiner, so ergoss sich zu Purim häufig auch über das Christentum Spott und Hohn. Zwar wurden antichristliche Ausfälle in der Regel subtiler als gegen die beiden anderen vorgebracht, aber sie waren immer noch von „deftiger“ Qualität. Angriffe gegen das Christentum waren seit dem frühen Mittelalter immer wieder Teil der Purimfeierlichkeiten. Dazu gehörte u. a., dass das Bildnis von Haman auf einem Kreuz verbrannt und somit auch ein zentrales christliches Symbol vernichtet wurde. Ein weiteres Beispiel bildete das fingierte Auspeitschen eines nackten Juden, während er durch die Straßen getrieben wurde. Damit wurde die Passion Christi lächerlich gemacht. Im fünfzehnten Jahrhundert tauchte ein neues Element zu Purim auf. Wahrschein- lich in Anlehnung an den Karneval wurde das Maskentragen eingeführt, wodurch Purim mit Fasching, der ungefähr zur gleichen Zeit im Jahr gefeiert wurde, vergleich- bar wurde. 9 Das Maskieren, das Verhöhnen historischer Feinde des Judentums, und zwar nicht nur in der Gestalt von Haman, sondern auch des Christentums, sowie eine ausge- lassene Stimmung charakterisierten Purim im Mittelalter und in der Neuzeit. Mit der Verbürgerlichung der Juden im neunzehnten Jahrhundert wurde das Fest zwar „gezähmt“, und antichristliche Performances wurden weitgehend aufgegeben. Aber es war unmöglich, eine jahrhundertealte Praxis gänzlich zu unterbinden und aus dem kollektiven Gedächtnis zu streichen. Sie offenbarte sich punktuell immer wieder und Elliott Horowitz, „The Rite to Be Reckless : On the Perpetration and Interpretation of Purim Violence“, in : poetics today 15 (1994), S. 9- 54. Michail Bachtin, Rabelais und seine Welt. Volkskultur als Gegenkultur, Frankfurt am Main 1987.
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Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938 Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
Titel
Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938
Untertitel
Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
Autor
Frank Stern
Herausgeber
Barabara Eichinger
Verlag
Böhlau Verlag
Ort
Wien
Datum
2009
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY-NC-ND 3.0
ISBN
978-3-205-78317-6
Abmessungen
17.0 x 24.0 cm
Seiten
558
Kategorien
Geschichte Historische Aufzeichnungen

Inhaltsverzeichnis

  1. Vorwort XI
  2. Einleitung. Wien und die jüdische Erfahrung 1900–1938 XII
  3. Was nicht im Baedeker steht Juden und andere Österreicher im Wien der Zwischenkriegszeit 1
  4. Jüdische Lebenserinnerungen. Rekonstruktionen von jüdischer Kindheit und Jugend im Wien der Zwischenkriegszeit 17
  5. Antisemitismus 1900–1938. Phasen, Wahrnehmung und Akkulturationseffekte 39
  6. „Hinaus mit den Juden !“ Von Graffiti und der Zeitung bis zur Leinwand 59
  7. Generationenkonflikte. Die zionistische Auswanderung aus Österreich nach Palästina in der Zwischenkriegszeit 71
  8. Die Stimme und Wahrheit der Jüdischen Welt Jüdisches Pressewesen in Wien 1918–1938 99
  9. Die israelitischen Humanitätsvereine B’nai B’rith für Österreich in der Zwischenkriegszeit und ihr Verhältnis zur „jüdischen“ Freimaurerei 115
  10. Tempel, Bethäuser und Rabbiner 131
  11. Die Geschichte der Ausbildung von Rabbinern in Wien seit dem 19. Jahrhundert 143
  12. Martin Bubers Weg zum Chassidismus 155
  13. Die jiddische Kultur im Wien der Zwischenkriegszeit und ihre Positionierungen in Bezug auf Akkulturation, Diasporanationalismus und Zionismus 175
  14. „Wenn Dich drückt der Judenschuh“. Blicke in die moderate Wiener Moderne 197
  15. Karl Kraus and Gustav Mahler Imagine the „Jews“ 217
  16. Antisemitisch-misogyne Repräsentationen und die Krise der Geschlechtsidentität im Fin de Siècle 229
  17. „Being different where being different was definitely not good“ Identitätskonstruktionen jüdischer Frauen in Wien 257
  18. „Jeder Sieg der Frauen muss ein Sieg der Freiheit sein, oder er ist keiner“ Jüdische Feministinnen in der Wiener bürgerlichen Frauenbewegung und in internationalen Frauenbewegungsorganisationen 277
  19. Gender and Identity. Jewish University Women in Vienna 297
  20. From White Terror to Red Vienna : Hungarian Jewish Students in Interwar Austria 307
  21. Feuilletons und Film. Béla Balázs – ein Dichter auf Abwegen 325
  22. Die Zukunft und das Ende einer Illusion – Sigmund Freud und der Erfolg der Psychoanalyse in den Zwanziger- und Dreißigerjahren 343
  23. David Vogel : Love Story in Vienna or the Metropolis 355
  24. Arthur Schnitzler. Facetten einer jüdisch-österreichisch-deutschen Identität 369
  25. Mit einem ›e‹. Zwischen Diaspora und Assimilation Ein Streit unter Freunden : Joseph Roth und Soma Morgenstern 385
  26. Jüdisches Leben im Wiener Fin de Siècle. Performanz als methodischer Ansatz zur Erforschung jüdischer Geschichte 399
  27. Felix Salten. Zionismus als literarisches Projekt 419
  28. „Schund“, „Jargon“ und schöner Schein Jüdische Erfahrung/en im jüdischen Theater 427
  29. Imago und Vergessen. Wienbilder und ihre unsichtbaren Urheber 439
  30. Frau Breier aus Gaya meets The Jazz singer Zwischen Bühne und Leinwand, Wien und New York 463
  31. Österreichische Filmmusik in Hollywood – eine Annäherung 483
  32. Personenregister 491
  33. Sachregister 503
  34. Biografien 519
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