Seite - 449 - in Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938 - Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
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Imago und Vergessen
Arthur Schnitzler erinnert an einen Vetter seiner Mutter, der wie Sonnenthal einen
ganz besonderen Beitrag zur kulturellen Produktion Wiens, zu einem gegenwärtig noch
vertrauten Wienbild beitrug. Gustav Pick, 1832 in Rechnitz im heutigen Burgenland
geboren, 1921 in Wien gestorben, schaffte es mit einer Komposition – dem Wiener
Fiakerlied – einen „urwienerischen“ Beitrag zum sogenannten Lebensgefühl der Stadt
zu leisten. Das wahrscheinlich bekannteste Wienerlied aller Zeiten beschreibt Ernst
Weber in seinem Beitrag Die jüdische Musikkultur Wiens und das Wienerlied.
Pick war von seiner Ausbildung Jurist, arbeitete als Kaufmann, dann allerdings als
Komponist und Textdichter. Sein musikalisches Können erwarb er als Autodidakt.
Er bewegte sich zwischen Wiener Wirtshaus und Salon, vereinte in seiner Person so-
wie in seinem Werk als Komponist und Interpret Populäres und Eleganz. Felix Czeike
vermerkt im Historischen Lexikon der Stadt Wien, dass er auch als Klavierspieler zum
fixen Bestandteil der Wiener Wirtshauskultur zählte. In diesen Gasthäusern wurde ein
wesentlicher Aspekt von Wienkultur gepflegt, die Produktionen sogenannter Volks-
sänger. Im Österreichischen Biographischen Lexikon wird von Hans Pemmer folgendes
vermerkt: „Sohn eines Arztes, Privatier, der seine Neigungen lebte und in der Wr.
Ges. [Wiener Gesellschaft, B. P.] eine große Rolle spielte“ . Schnitzler erinnert an
die enge Freundschaft, die zwischen dem Grafen Wilczek und Gustav Pick bestand,
wie bei Sonnenthal wird eine aristokratische Erscheinung gepaart mit einer „schönen
Seele“ geschildert : „Er war damals ein großer, stattlicher Mann in der Mitte der Fünf-
zig mit edlem, grauem Bart, noch immer schön, und sah im ganzen sehr aristokratisch
und dazu ein ganz klein wenig wie ein jüdischer Patriarch aus. Er war auch, obwohl
Jude und so etwas wie Agent höheren Stils, in der Aristokratie nicht nur gern gesehen,
sondern auch gesellschaftlich von ihr aufgenommen. 9
Gustav Pick regte Schnitzler zur Figur des „alten Eißler“ in Der Weg ins Freie an 0,
der beim Protagonisten Georg eine Erinnerung an Kinder- und Jugendtage auslöst :
„Diese alten Juden ! dachte er spöttisch, aber in einem entlegenen Winkel seiner Seele
war er ein wenig gerührt.“
Ernst Weber, „Die Jüdische Musikkultur Wiens und das Wienerlied. 3 Kapitel von Schene Lieda – Harbe
Tanz : Das instrumentale Volkslied und das Wienerlied“, in : Elisabeth Th. Fritz und Helmut Kretschmer
(Hg.), Wien. Musikgeschichte. Teil 1 : Volksmusik und Wienerlied, Wien 2006, S.385–388, S. 385.
Vgl.: Sabine Lichtenberger, „Es war meine Heimat, das Burgenland“. Geschichte und Kultur des burgen-
ländischen Judentums mit besonderer Berücksichtigung der Jahre 1921–1938, S.186–187.
Österreichisches Biographisches Lexikon, hg. von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, re-
digiert von Eva Obermayer-Marnach unter Mitarbeit von F. Hillbrand-Grill, E. Lebensaft, H. Reitterer,
VIII. Bd., Wien 1983, S. 6.
Schnitzler, Jugend in Wien, S. 237.
0 Ebd., S. 238.
Arthur Schnitzler, Der Weg ins Freie. Roman, Berlin 1990, S. 146.
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Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938
Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
- Titel
- Wien und die jüdische Erfahrung 1900-1938
- Untertitel
- Akkulturation - Antisemitismus - Zionismus
- Autor
- Frank Stern
- Herausgeber
- Barabara Eichinger
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2009
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78317-6
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 558
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort XI
- Einleitung. Wien und die jüdische Erfahrung 1900–1938 XII
- Was nicht im Baedeker steht Juden und andere Österreicher im Wien der Zwischenkriegszeit 1
- Jüdische Lebenserinnerungen. Rekonstruktionen von jüdischer Kindheit und Jugend im Wien der Zwischenkriegszeit 17
- Antisemitismus 1900–1938. Phasen, Wahrnehmung und Akkulturationseffekte 39
- „Hinaus mit den Juden !“ Von Graffiti und der Zeitung bis zur Leinwand 59
- Generationenkonflikte. Die zionistische Auswanderung aus Österreich nach Palästina in der Zwischenkriegszeit 71
- Die Stimme und Wahrheit der Jüdischen Welt Jüdisches Pressewesen in Wien 1918–1938 99
- Die israelitischen Humanitätsvereine B’nai B’rith für Österreich in der Zwischenkriegszeit und ihr Verhältnis zur „jüdischen“ Freimaurerei 115
- Tempel, Bethäuser und Rabbiner 131
- Die Geschichte der Ausbildung von Rabbinern in Wien seit dem 19. Jahrhundert 143
- Martin Bubers Weg zum Chassidismus 155
- Die jiddische Kultur im Wien der Zwischenkriegszeit und ihre Positionierungen in Bezug auf Akkulturation, Diasporanationalismus und Zionismus 175
- „Wenn Dich drückt der Judenschuh“. Blicke in die moderate Wiener Moderne 197
- Karl Kraus and Gustav Mahler Imagine the „Jews“ 217
- Antisemitisch-misogyne Repräsentationen und die Krise der Geschlechtsidentität im Fin de Siècle 229
- „Being different where being different was definitely not good“ Identitätskonstruktionen jüdischer Frauen in Wien 257
- „Jeder Sieg der Frauen muss ein Sieg der Freiheit sein, oder er ist keiner“ Jüdische Feministinnen in der Wiener bürgerlichen Frauenbewegung und in internationalen Frauenbewegungsorganisationen 277
- Gender and Identity. Jewish University Women in Vienna 297
- From White Terror to Red Vienna : Hungarian Jewish Students in Interwar Austria 307
- Feuilletons und Film. Béla Balázs – ein Dichter auf Abwegen 325
- Die Zukunft und das Ende einer Illusion – Sigmund Freud und der Erfolg der Psychoanalyse in den Zwanziger- und Dreißigerjahren 343
- David Vogel : Love Story in Vienna or the Metropolis 355
- Arthur Schnitzler. Facetten einer jüdisch-österreichisch-deutschen Identität 369
- Mit einem ›e‹. Zwischen Diaspora und Assimilation Ein Streit unter Freunden : Joseph Roth und Soma Morgenstern 385
- Jüdisches Leben im Wiener Fin de Siècle. Performanz als methodischer Ansatz zur Erforschung jüdischer Geschichte 399
- Felix Salten. Zionismus als literarisches Projekt 419
- „Schund“, „Jargon“ und schöner Schein Jüdische Erfahrung/en im jüdischen Theater 427
- Imago und Vergessen. Wienbilder und ihre unsichtbaren Urheber 439
- Frau Breier aus Gaya meets The Jazz singer Zwischen Bühne und Leinwand, Wien und New York 463
- Österreichische Filmmusik in Hollywood – eine Annäherung 483
- Personenregister 491
- Sachregister 503
- Biografien 519