Almauf- und -abtrieb#
„Bold da Schoberspitz is wia a gscheckate Kalm,
aft foahr ma auf die Alm.
Bold da Schoberspitz ist wia a griana Huat,
nocha is af olle Olman guat."
Derlei Sprüche und Verse drücken aus, daß die Bauern jedes Jahr die Zeit des Almauftriebes beobachten und der Almfahrt entgegensehen. Die späte Frühlingssonne hat den Schnee schon zum Großteil weggeschmolzen, und auf den Hängen des Großen Schobers liegt er nur noch fleckenweise, und so sieht dieser wie eine gescheckte Kalbin aus -jetzt kann aufgetrieben werden!
Der normale Zeitpunkt für den Almauftrieb fällt je nach Höhenlage der Alm in die Zeit zwischen Anfang Mai und Ende Juni. Für ein und dieselbe Alm können aber je nach Witterungsverlauf und vorjähriger Nutzungsart Verzögerungen bis zu vier Wochen eintreten. Daneben gibt es aber auch „frühe" und „späte" Almjahre. So kann in einem sogenannten „frühen Jahr" auch bei sehr zeitig angesetzter Almfahrt schon genügend Futter vorhanden sein, und in sogenannten „späten Jahren" kann man trotz späteren Almauftriebs froh sein, wenn das Vieh mit dem sehr spärlich nachwachsenden Almfutter von Tag zu Tag gerade das Auslangen findet.
Maul, im September hingegen muß das
Rind das Gras suchen!"
Für die höheren Almen gilt daher in manchen Gegenden Österreichs auch die sehr wichtige Regel:
Alm grün, ein Drittel braun und
ein Drittel weiß sein!"
Das heißt also, im untersten Teil des Almgeländes wächst das Gras schon, in der Mitte ist der Schnee gerade weggeschmolzen, und auf den oberen Teilen liegt er noch.
Wird zu spät im Jahr abgetrieben, so verliert das Weidevieh nicht nur vom bereits erzielten Gewichtszuwachs, die Tiere kommen meist auch durchgefroren, struppig und unansehnlich ins Tal, denn auf höheren Almen herrscht zu dieser Zeit ja oft schon rauhes Wetter.
Erfahrene Almwirte raten unbedingt, den Almabtrieb nicht zu lange hinauszuzögern, damit die Weidenarbe nach dem letzten Abweiden noch die Möglichkeit besitzt, etwas nachzuwachsen und Reserven anzulegen. Auch die im kommenden Frühjahr zuerst zur Beweidung vorgesehenen Almflächen müssen im Herbst zuvor rechtzeitig geschont werden, damit sich die Grasnarbe vor dem „Einwintern" gut erholen kann.
Der Almbauer handelt nachfolgendem Leitsatz:
von der Alm abfahren!"
Im Spätfrühling und Vorsommer gibt es nämlich innerhalb von kurzer Zeit einen hohen Futteranfall, welcher nach einem frühzeitigen Almauftrieb verlangt, wobei dann allerdings auch ein schneller Weidewechsel am Almgelände vor sich gehen sollte. Außerdem läßt sich durch einen frühen Weidebeginn die gesamte Auftriebszeit verlängern. Das Weidegras wird durch das rasche Abweiden des ersten Aufwuchses nicht überständig und strohig; dies drückt sich dann in einem guten Fleischzuwachs bei den aufgetriebenen Tieren aus. Im Durchschnitt betragen die Gewichtszunahmen im Spätsommer meist nur noch 20 bis 30% der Leistungen, welche im Mai und Juni erzielt werden.
Einige Fakten über das Weiden auf der Alm#
Eine Kuh benötigt pro Tag 70 bis 80 kg Gras. Für die Futteraufnahme hat sie im Durchschnitt von ihrer Physiologie her nur 8 Stunden zur Verfügung. 5 bis 10 Stunden dauert -je nach Umständen - das Wiederkauen, und die restliche Zeit braucht sie zum Ruhen. Wenn sie nun z.B. in diesen 8 Stunden nur 50 kg an Pflanzen aufzunehmen vermag, weil zu wenig Futter vorhanden ist, geht die Milchleistung entsprechend zurück.
In Gebieten, in denen es viele Bremsen gibt - wie z.B. in den Kitzbühler Alpen -, werden die Kühe übrigens während der Nacht auf die Almweide getrieben und tagsüber eingestallt.
Die Kalenderheiligen bestimmen den Almauf- und -abtrieb#
So wie im übrigen Alltag viele wichtige Ereignisse durch die Kalenderheiligen „reguliert" werden, geschieht dies auch beim Auf- und Abtrieb.
St. Urban
St. Bonifaz
St. Vitus
St. Johann
St. Peter u. Paul
St. Kilian
25. Mai
5. Juni
19. Juni
24. Juni
29. Juni
8. Juli
Almabtrieb:
Maria Himmelfahrt
St. Bartholomäus
Mariä Geburt
St. Rupert
St. Michael
15. August
24. August
8. September
24. September
29. September
Aber auch auf die Wochentage kam es früher an: So wurden im Ötztal grundsätzlich der Mittwoch und Freitag gemieden, und im Unterinntal durfte an keinem „Fleischknödeltag" (das waren Dienstag, Donnerstag und Sonntag) aufgetrieben werden - dies würde Unglück bringen. Im Stanzertal hingegen wurde „nur" dienstags und donnerstags aufgetrieben. In Imst und in Osttirol mußte auch der Mond im richtigen Zeichen stehen. - Heute werden diese „strengen" Regeln freilich kaum mehr beachtet
Früher einmal war, wenn es zum Almauftrieb ging - zum „Almfahren", wie die Bauern sagen -, um zwei Uhr morgens schon alles auf. Die Sennerin und die Bäuerin gingen mit Weihwasser und geweihter Kerze von Kuh zu Kuh, besprengten sie und gaben jeder einige Tropfen Wachs auf den Rücken, damit Gottes Segen über den Sommer alles Unglück verhüten möge. Der Halterbub kam mit der „Fahrglockn" und brachte damit erst die Unruhe in den Stall, denn die Kühe erkannten, woran es nun ging.
Die Sennerin nahm Abschied von der Bäuerin, und diese sagte: „Pfiat di Gott, bleibt's schön g'sund und geht's in Gottes Nam und bringt's wieder olles guat hoam!" Bei den Nachbarn - wenn auf eine Gemeinschaftsalm aufgetrieben wurde - war das gleiche geschehen, und schon nach Sonnenaufgang bewegte sich ein langer Zug den Berg hinauf. Voraus die Geißen mit den Böcken. Außerhalb des Dorfes war's schon zum „Z'sammlassn". Da mußten zwischen den Ziegen und vor allem unter den Rindern die ersten Rangkämpfe ausgefochten werden, daß die Rasen oft nur so staubten und die Hüterbuben alle Hände voll zu tun hatten, um die Ordnung einigermaßen aufrechtzuerhalten. Manche meinen, daß ein Bestreichen mit Pechöl gegen das arge „Zusammenraufen" helfen soll.
Im Wallis gibt es heute noch bei den „Kuhkämpfen" anläßlich des Almauftriebes viele Zuseher.
Nun hatte damit das Leben auf der Alm, wie seit Jahrhunderten, wieder neu begonnen. Inzwischen waren die Fuhrwerke der anderen Bauern nachgekommen, die Hütten wurden besiedelt, die Sennin suchte das erste Brennholz zusammen und heizte einmal ordentlich unter den Wasserkessel, und alle halfen zusammen, damit bald alles seine Richtigkeit hatte.
Die Bauern mit den Knechten machten um die Hütten herum Ordnung, und dann ging es ans Reparieren und Ausbessern der Zäune und Steinmauern, der Triebwege in die oberen Karstufen und wohl auch noch einige Tage ans Schwenden - weil man schon auf der Alm heroben war. Lawinenreste mußten aufgeräumt und für die kommenden Wochen Brennholz geschnitten und Holz gekloben werden, damit es den Sommer über reichte. Erst einige Tage später kamen dann die Viehtreiber mit dem Zinsvieh auf die Alm herauf.
Die Sennerinnen hatten inzwischen ihre Hüttenstüberln wieder sauber hergerichtet, schönes Geschirr aufgestellt, das Altartüchl für den Herrgottswinkel ausgebreitet, und die Kupferkessel und Pfandein glänzten nun schon in der Sonne. Natürlich durfte auch der Almblumenstrauß (im Juli war und ist es auch heute noch traditionell ein Strauß Alpenrosen) nicht als Schmuck des Stubentisches fehlen.
Am Abend kamen die Geißen und Kühe zum Melken, die älteren Kühe wußten wohl noch vom Vorjahr ihre Plätze im Almstall; die jungen mußten sich erst fügen lernen. Die Milch wurde in der Zentrifuge heruntergetrieben, der Rahm verbuttert, und die Magermilch kam in ein „Milchbrentl", das ist ein Faß zum Sauerwerden. Nach der Reife wurde die Milch zu Almkäse verarbeitet.
Erst am zweiten oder dritten Tag kamen meist die Bäuerinnen mit den Schweinen auf die Alm, da das erste Kaswasser, die Molke, das „Saufutter", reif war.
Natürlich legten die Sennerinnen ihren Ehrgeiz darein, bis zum Besuch der Bäuerin die Hütte bestens instandgesetzt zu haben. Der Stubenboden war sauber geputzt, das Bett der Sennerin hoch aufgebettet und mit einer schönen roten „Hüll" mit weißem Spitzenleintuch und schönem Polster ausgestattet.
Auch heute geht es im wesentlichen noch so zu, wenngleich durch die Motorisierung vieles erleichtert und verkürzt wird. Außerdem ist für Senner und Sennerin das Mobiltelefon ein unentbehrlicher Gebrauchsgegenstand geworden.
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Bilder und Text stammen aus dem Buch: "Die schönsten Almen Österreichs: Brauchtum & Natur - Erwandert und erlebt", H. und W. Senft, Leopold Stocker Verlag, 2009.