Die "Totalp-Sagen"#
Unzählige Sagen gibt es über heute verödete Stein- und Gletscherflächen, auf denen früher prächtiges Almgelände gewesen sein soll. Schuld daran trug das sorglose Leben der Sennerinnen und Halter, welche leichtsinnig und frevlerisch waren, Milch und Butter vergeudeten und auch sonst leichtfertig lebten. Da zog dann ein Unwetter auf und begrub Menschen, Viehhütten und Grünflächen unter ewigem Eis oder unter Felslawinen.
Dieser Mechanismus „Frevel - Strafe - mißlingende Erlösung" zieht sich als roter Faden durch alle „Totalp-Sagen". Sie sind typische Warnsagen; man erkennt in ihnen aber wohl auch Erinnerungen an extreme Klimaverschlechterungen mit rapiden Gletschervorstößen, wie sie etwa die „Kleine Eiszeit" des Mittelalters mit sich brachte. Die Menschen früherer Zeiten empfanden solche Naturkatastrophen selbstverständlich als göttliches Strafgericht. Aber auch das ständige menschliche Drama um Verschwendung und Geiz, vergeltende Liebe und Lieblosigkeit wird in diesen Sagen in den großartigen Rahmen der Bergwelt gestellt. Interessant ist, daß der christliche Begriff der Vergebung in diesen Sagen überhaupt nicht vorkommt, was darauf schließen läßt, daß sie vorchristliche Wurzeln haben.
In Tirol hat die Almregion auch wichtigen Anteil am frühen, weitverbreiteten Aberglauben um die „Wilden Leute". Unter ihnen gibt es die „Geißler, Küher und Ochsner", große, schwarze Männer, die nach dem Almabtrieb ihre gespenstische Tätigkeit in den dunklen Almhütten aufnahmen. Es sind „umgehende Sennen", die ihre Sünden abzubüßen haben. In der Nacht vor Martini jagen sie von den Almen herab durch die Täler hinaus, und wer ihnen begegnet, kann Gesundheit und Leben verlieren.
Das Bichmandli als Almwichtel#
Im ganzen Paznauntal, im äußersten Westen Österreichs, sind Sagen vom Almwichtel geläufig:
Im Weiler Außerlangesthei hat voralters ein „Bichmandli" zwei Sommer hindurch die Ziegen geweidet, und zwar zur größten Zufriedenheit der Bauern. Niemals vor- und nachher haben die Tiere so viel Milch gegeben, und während der gesamten Zeit, in der dieses Männlein Hirte gewesen ist, ist kein Stück der Herde zugrunde gegangen. Doch hat das Bichmandli auch seine Grillen gehabt, denn es hat die ihm anvertrauten Ziegen spätabends nur bis zum Hochegg getrieben und sie frühmorgens wieder von dort abgeholt. Für das scheue Hirtlein, dessen nicht leicht jemand ansichtig geworden ist, haben die Bauern jeden Morgen nach der „Road" (Reihenfolge) die Kost in ein Tüchlein gegeben und dieses einer Ziege um den Hals gebunden; abends ist das Tuch immer leer gewesen. Weil unter den Bauern auch die Rede gegangen ist, das Bichmandli, ihr bester Hirte, den sie je gehabt haben, der außer dem Mittagessen keine Belohnung beansprucht hat, sei nahezu nackt, so haben sie beschlossen, von Mitleid gerührt, demselben für das nächste Frühjahr ein rotes Wams machen zu lassen.
Das fertige Kleid haben sie eines schönen Morgens einer Ziege auf den Rücken gebunden. Kaum hat das Männlein dasselbe erblickt, so ist es vor Freude ganz außer sich geraten, ist in den neuen Staat geschlüpft, hat ihn wohlgefällig besehen und auf einem Stein von Hochegg in den nahen Weiler Außerlangesthei hinuntergerufen:
Hot a rots Röckli on (an),
D 'Gaß hüata numma konn,
I lof dervon!"
Den Abschied von der Alm haben viele Volkslieder und Gedichte zum Inhalt, so z.B.:
„Hiaz, Schwoagrin, sperr dei Hüttn zua, da Schneewind waht vom Joch
Da Nußkrah schreit in d'Hollerstaudn, da Dochs schliaft in sei Loch,
Da Jaga paßt scho umanond und hätt dich längst gern los.
Er mächt's schon still hob'n auf da Olm, da Hirsch röhrt ent im Moos.
Die Peitschn schnalzt, die Glockn scholln, es juchzt da Hüatabua.
Es glöcklt durch 'n Wald bergo und auf da Alm wird Ruah!
Da Stoll is laa', da Herd is kolt und d' Hüttn is vaspirrt.
Die Krah und Geia bleibn alloa bis wieder Fruahjoahr wird!"
Martha Wölger
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Bilder und Text stammen aus dem Buch: "Die schönsten Almen Österreichs: Brauchtum & Natur - Erwandert und erlebt", H. und W. Senft, Leopold Stocker Verlag, 2009.