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Der Wendepunkt#

Der Russlandfeldzug bildete den Wendepunkt im Leben Robert Bernardis'. Hier war er zum ersten Mal als Stabsoffizier des LI. Armeekorps mit den furchtbaren Auswirkungen der Kriegführung und des politischen Größenwahns Hitlers konfrontiert und wurde zu dessen entschiedenem Gegner. Otto Mühl, seit 1940 Bernardis' Chauffeur, berichtete, dass Bernardis und er schon während des Vormarsches in den Raum Shitomir/Zitomir (heute: Ukraine) Kenntnis von den Mordaktionen der so genannten „Einsatzgruppen" (Einsatzgruppe C) des Sicherheitsdienstes (SD) an Juden erhielten.

Im Offizierskorps wurden solche Gräueltaten thematisiert, wobei die Mehrheit der Offiziere eine solche Vorgangsweise mit ihrem berufsethischen Selbstverständnis nicht vereinbaren konnte. Die Einsatzgruppen, die nicht Teil der Wehrmacht waren, entzogen sich aber einer Einflussnahme durch die Truppenführung.

Die Hinrichtung von Mosche Kogan und Wolf Kieper im August 1941 am Marktplatz von Shitomir (Abb. 5.1) wurde öffentlich durchgeführt. Ob Bernardis Zeuge dessen war, ist nicht bekannt; erfahren hat er zweifelsfrei davon. Immer wieder geschahen Massenvernichtungen an Juden. Die Abbildung (Abb. 5.2) zeigt eine Kolonne von Juden aus Shitomir, die gerade zu ihrer Ermordung geführt werden.

Robert Bernardis wurde dann im Sommer 1941 im Raum Shitomir persönlich mit Massenerschießungen von Juden durch den SD konfrontiert. Während er in einem offensichtlich eigens für die Hinrichtung von Juden errichteten Lager, das mit hohen Stacheldrahtzäunen und Wachtürmen umgeben war, zu tun hatte, peitschten - wie Otto Mühl berichtete - immer wieder Maschinengewehrsalven in die dichtgedrängte Menge der Gefangenen. Mühl erinnerte sich: „Ich weiß nicht, was Bernardis damals in dem Lager gemacht hatte. Er kam nach einer Viertelstunde zurück und sagte kein Wort. Er war totenbleich. "[10]

Verschiedene Erlässe hatten zur Verrohung des Krieges beigetragen (Erlass über die Ausübung der Kriegsgerichtsbarkeit im Gebiet „Barbarossa" und über besondere Maßnahmen der Truppe; Richtlinien für die Behandlung politischer Kommissare/Kommissarsbefehl).

Die Erschießungen von Juden und Zivilisten sowie die Verrohung des Krieges führten bei Bernardis zu massiver Entrüstung, Ablehnung und innerem Widerstand, auch wenn er von manchen antisemitischen Vorurteilen seiner Zeit nicht ganz frei war. Wie sehr diese Massaker, von denen er auch in Charkow/Charkiv (heute: Ukraine) Kenntnis erhielt, ihn betroffen machten, wird daran deutlich, dass sie die Entstehung von Zwölfingerdarmgeschwüren mitbewirkten, deretwegen er im März 1942 zunächst in ein Feldlazarett eingeliefert und anschließend in ein Berliner Krankenhaus überstellt wurde.

Seine Erlebnisse bedeuteten für ihn eine zunehmende Distanz zum Dritten Reich. Schon im Verlauf des Vormarsches in Russland hatte er sich 1941 gegenüber seinem Kraftfahrer Mühl kritisch über den „Anschluss" geäußert: „Wenn sie schon Osterreich annektiert haben, den Namen Österreich' hätten sie nicht auslöschen dürfen."[11]

Aus der zunehmenden Distanzierung gegenüber dem Dritten Reich erwuchs die Gewissheit, aus Gewissensgründen etwas gegen dieses Unrechtsregime unternehmen zu müssen.


[10] Interview Josef Toch mit Otto Mühl v. 17. Jänner 1965. In: Toch, Seite 141
[11] Interview Josef Toch mit Otto Mühl v. 17. Jänner 1965. Seite 5
© Texte und Bilder zusammengestellt von Dr. Glaubauf und Dr. Trauner