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Der milde Leviathan: Intrada#

(Ein Journal und Diskursraum)#

Von Martin Krusche#

Neudau ist ein oststeirischer Ort in heutiger Randlage. (Ein Dorf nahe Burgau und nahe der Grenze zum Burgenland.) Dort befindet sich ein verlassener Industriekomplex, in dem eine Textilfabrik eingerichtet war, deren Geschichte bis zum Ende des 18. Jahrhunderts zurückreicht.

Assoziationen beim Wandern durch die heute weitgehend leeren Hallen brachten mich auf den Arbeitstitel „Der milde Leviathan“, was ausdrücklich auf Thomas Hobbes verweist, dessen politische Schrift „Leviathan oder Stoff, Form und Gewalt eines kirchlichen und staatlichen Gemeinwesens“ 1651 datiert.

Bei der Gelegenheit nehme ich auch gleich Alexis de Tocqueville mit. Sein Bericht „Über die Demokratie in Amerika“ (1835 bis 1849) bietet noch heute Denkanstöße zu jenen Umbrüchen von Herrschaftsmodellen, in denen aus der agrarischen Welt die Dampfmaschinenmoderne auftauchte.

Erzherzog Johann von Österreich bereiste zwischen 1815 und 1816 England. Dort ließ er sich von James Watt dessen optimierte Dampfmaschinen zeigen und brachte von seinen Fahrten penible Aufzeichnungen mit. Ein weiteres Bündel von Anregungen aus frühen Formen des konsequenten Know how-Transfers.

Heute behalten wir in meinem Metier solche historischen Prozesse im Blick, haben über Grundlagen der Wissens- und Kulturarbeit zu reden. Die Praxisformen der Gegenwartskunst sind ein Teil dessen. (In der Antike stand ein Begriff wie Téchne erst einmal gleichermaßen für Handwerk, Wissenschaft und Kunst.)

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Das Werk#

Im Jahr 1789 gründete der militärisch und politisch sehr erfolgreiche Aristokrat Karl Josef Batthyány die erste mechanische Baumwollspinnerei Österreich-Ungarns. Damit beginnt jene Geschichte, in die ich hier einsteige. Die Hallen der Neudauer Fabrik konnten wir kürzlich in einem kleinem Grüppchen von innen kennenlernten. Dieser Betrieb durchlief drei industrielle Revolutionen. Ende Februar 2019 wurde der Betrieb eingestellt.

Das bedeutet knapp gefaßt: Nach der Dritten Industriellen Revolution, der sogenannten Digitalen Revolution, hatte sich der einstmals eingeschlagene Weg in dieser Region erschöpft. Mit Verbreitung der Vierten Industriellen Revolution (nächste Automatisierungswelle, selbstlernende Systeme etc.) fand in Neudau eine Zäsur statt. Derzeit steht alles still. Kleiner Einschub: Ich bin diese Verwendung meiner Begriffe und das grobe Sortieren der Abschnitte eben mit Informatiker Hermann Maurer durchgegangen, um meinen Themen-Raster zu überprüfen.

Da Maurer einst an der TU Wien zum Team von Heinz Zemanek gehörte und seine Berufslaufbahn auf hohem Niveau quer durch diese jüngere Geschichte verlief, das sogenannte „Computerzeitalter“, darf ich meine Skizze für eine taugliche Hintergrundfolie halten.

Als ich nun den ruhenden Riesen, den milden Leviathan, zu erkunden begann, war schon ein neuer Besitzer gefunden, aber noch keine Entscheidung gefallen, was in dieser betstehenden Struktur werden soll. Es ist so als würde der Leviathan kurz Atem holen, um sich entweder erneut aufzuraffen oder zu verenden.

Also stelle ich das Motiv und diese Industrieanlage in dieses Szenario: Wir leben seit gut 200 Jahren in einer permanenten technischen Revolution, deren Tempo und Crescendo eine in der Menschheitsgeschichte radikal neue Erfahrung ist. Wir haben eine Menge Klärungsbedarf.

Informatiker Hermann Maurer
Informatiker Hermann Maurer

Die Bradbury-Sache#

Das alles paßt mir als Motiv sehr gut in mein aktuelles Vorhaben mit dem Titel „Fahrenheit reloaded“. Damit wird deutlich: Ich bin kein lackierter Herold der Innovationen, der Ihnen großspurig verkündet, was die Zukunft bringen wird und wie jemand dem Kommenden besonderen Glanz verleihen will. Solche Posen gehören nicht zu meinem Geschäft. Sie sind meist bloß Marktschreierei.

Ich hab noch gut zu tun, mit dem 20. Jahrhundert fertig zu werden. Das heißt unter anderem auch: Russische Avantgarde, DADA und Popkultur. Aus dem besseren Verständnis der jüngeren Vergangenheit läßt sich allerhand ableiten. Wer aufbrechen möchte, egal wohin, sollte Klarheit haben, wovon derzeit auszugehen ist.