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Notiz 041: Eine prächtige Krise#

(Totstellen, angreifen oder flüchten?)#

von Martin Krusche

Es ist eine interessante Auffassung, diese Pandemie sei ein vorzüglicher Übungsfall, während die Völkergemeinschaft der Welt auf ein paar größere Probleme zugeht. Befinden wir uns auf einer lebhafte Teststrecke für Sozialverhalten, während die Debatten um eine Dekarbonisierung unserer Zivilisation laufen? (Diese Umstellung unserer Energiewirtschaft soll in einigen Ländern bis 2050 geschafft sein.)

Bild 'punk'

Wir haben eine extrem unsichere Klimasituation, zunehmende Wanderbewegungen rund um die Welt, dazu einen eklatanten Mangel an Verteilungsgerechtigkeit. Wachstumsideologie und Kapitalismus auf der Höhe der Zeit geben uns keine Lösungen vor. Das alles sind jetzt schon große Herausforderungen bezüglich des sozialen Friedens.

Womöglich untertreibe ich. Die bisherigen Erfahrungen, der gesellschaftliche Umgang mit dieser Krise, wie er sich über den Lockdown gezeigt hat, wo Zurückhaltung und Verzicht zur Debatte standen, ist vorerst alles andere als ermutigend.

Ich hab einige dieser Zusammenhänge eben mit Cartoonistin Kerstin Feirer debattiert. Feirer ist davon überzeugt, daß Gesellschaften unberechenbar bleiben, große Veränderungen nur über Katastrophen getriggert werden. Eine kulturpessimistische Haltung? Wir werden sehen!

Da Feirer auch Unternehmerin ist (Wosnei x), sind wir uns einig: durch Jammern wird nichts besser. Es müßte aber nun einiges flott besser werden, weil der Lockdown ein harter Schlag in die Fundamente unserer Existenzen wurde. Wie regeln wir das?

Wir müssen das bearbeiten und dabei auch mit Nichtwissen wie mit Dissens kompetent umgehen. Feirer ist schon ein lebhaftes Beispiel, wie Verständigung gelingt, die über einige Barrieren hinwegkommen mußte. Wir taugen in unseren Ansichten nicht zu Wonne und Griesschmarrn, sind miteinander auch konflikterprobt.

Ich hab in der Notiz „Mein Metier“ (Für eine nächste Kulturpolitik) die Notwendigkeit einer Praxis des Kontrastes unterstrichen, die Debatte mit Andersdenkenden als unverzichtbar hervorgehoben. Zitat: „Es könnte heißen: Laßt mich bitte nicht mit mir allein!“ (Quelle)

Ein paar grundlegende Motive#

Erst ein paar Markierungen am Ausgangspunkt. Feirer betont, der Körper sei strikt ökonomisch, sei sozusagen ein physischer Egoist: „Er tut nie mehr als unbedingt nötig.“ Ich sehe nun seit einigen Monaten: Wir Menschen haben unter Druck erkennbar Probleme, Eigennutz und Gemeinwohl in einer günstigen Balance zu halten.

Da bricht dann auch schnell die Stunde der Heuchlerinnen und Heuchler an. Es hagelt Propaganda. Aber der Reihe nach! Was der Mensch mit vielen Tierarten teilt, ist ein Grundrepertoire an Reaktionsmustern, wenn jemand bedroht wird: a) totstellen, b) angreifen oder c) wegrennen. Das läßt sich auch unterschiedlich kombinieren.

Auf dem Schachtfeld verringert sich das mitunter um die Flucht-Option und das Totstellen könnte vom Aggressor vollendet werden. Dann bleibt einem bloß noch, Angreifer entweder abschrecken oder entwaffnen. Aus dem Jagdwesen kenn ich den Begriff „vergrämen“ für das Abschrecken, das Verjagen. Dazu kommt der launige Euphemismus „letales Vergrämen“, was das Töten meint.

Wir leben seit vielen Generationen mit der ideologisch angefertigten Prämisse, daß Konkurrenz Geschäfte beleben würde, was gerne auf soziale Beziehungen umgelegt wird und Konkurrenzverhalten legitimieren soll. Das erhält auch gerne merkwürdigen Glanz durch ein verfälschtes Darwin-Zitat, wonach eben nur „die Stärksten“ sich durchsetzen können und – lauscht man „Herrenmenschen“ – durchsetzen sollen.

Mir erscheint freilich viel überzeugender, daß Kooperation unsere Spezies vorangebracht hat, nicht Konkurrenz. Wo aber in einem Gemeinwesen Protektion vor Kompetenz geht, stellt sich die Frage: „Kenne ich wen oder kann ich was?“

Das verlangt nach Ideologie und Propaganda, denn ginge ich etwa ins Rathaus von Gleisdorf und würde Befugte fragen, wie Dinge laufen, bekäme ich wohl kaum aufrichtige Antworten. (Ach, ich glaub eh gerne an Zufälle und an ein gütiges Universum, wodurch so manche Positionsbesetzung durch Blutsverwandtschaft oder Parteizugehörigkeit dekoriert wurde.)

In solchen Modi ist freilich mein Metier keine Ausnahmen. Das Kulturvölkchen hat ebenso ausreichend Mentalitätsgeschichte im Herzen, um solche Verfahrensweisen zu begrüßen, zu benutzen, aber zu verschleiern. Worauf werden wir uns nun konzentrieren müssen, um in eben dieser Zeit, da sich verschiedene Umbrüche von jeweils globaler Dimension verzahnt haben?

Feirer gehört einer anderen Generation an als ich, ist darin mit dem Punk bestens vertraut. Sie hat mich ein einen beunruhigenden Song der Dead Kennedys erinnert: „Kill The Poor“. Wie viele Sorgen müßten sich bevorzugte Menschen nicht mehr machen, wenn die Weltbevölkerung wenigstens halbiert wäre?

Ist es vorstellbar, daß Leute in begünstigten Positionen sich überlegen, wie man arme Menschen töten könnte, ohne daß es einem vorgeworfen werden kann? Aber nein, ich stell mir das nicht vor. Aber ja, ich sehe gerade ein neues Massensterben armer Menschen.

Postskriptum#

Behold the sparkle of champagne
The crime rate's gone, feel free again
Oh, life's a breeze with you, Miss Lily White
Jane Fonda on the screen today
Convinced the liberals it's okay
So let's get dressed…
(Dead Kennedys)