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Black Tie, 2020, Buntstift auf Papier, 42 x 63 cm
Black Tie, 2020, Buntstift auf Papier, 42 x 63 cm

Zeit.Raum, Slot I, Episode XXVI#

Schuhwerk#

von Monika Lafer

Als Frau, die in den frühen 1980ern geboren wurde, kenne ich einige Codes und Symbole, die mein Aufwachsen begleitet haben: Ich wurde reich mit Puppen anstatt Matchboxautos beschenkt, denn das gehört so.

Als Führerscheinneuling in den späten 1990ern fuhr man einen damenhaften Kleinwagen (Opel Corsa, VW Polo) – da hatte ich allerdings mitzureden und mir einen alten japanischen Sportwagen (Honda CRX, 120 PS) gekauft. Allerdings gab es Gegenden, die man besser großräumig umfuhr, wollte man keine zerstochenen Reifen oder zerkratzten Lack. Der Grund: Hass auf Andersartigkeiten, in diesem Fall japanische Fabrikate.

Wenn man es ausgelotet hatte, wusste man: Im Bezirk Weiz tagsüber unterwegs zu sein, war kein Problem, nachts: Never Ever. Graz und Graz-Umgebung – völlig egal, interessierte niemanden. Feldbach – nicht so einfach wie Graz, aber besser als Weiz.

Bei einem heiß ersehnten Paar Schuhe, das ich mir zeitgleich mit dem ersten Auto leistete, war es wesentlich einfacher: alle trugen Docs. Und hatten entsprechende Abänderungen an ihren Schuhen vorgenommen: Die Rechten (weiße Schnürsenkel), die Linken, die Gothics (zumindest 12/14-Loch Boots), die Normalos,…

Zum Ursprung der Doc Martens-Stiefel:#

Seit 1901 war die Familie Griggs in Wollaston, Northamptonshire, für die Herstellung von Stiefeln bekannt. Als Herzstück der englischen Schuhindustrie hatten die Erzeugnisse rund 60 Jahre einen Ruf als robuste, langlebige Arbeitsstiefel.

1945 hatte sich in München der 25-jährige Soldat Dr. Klaus Maertens von einem gebrochenen Fuss zu erholen und entwickelte anstelle der üblichen harten Ledersohle eine einzigartige luftgepolsterte Sohle. Gemeinsam mit dem Maschinenbauingenieur Dr. Herbert Funck begann er mit der Herstellung der Schuhe unter Verwendung ausgedienter Militärgüter. Es lief gut und 1959 wurde mit der Bewerbung in einem Überseemagazin begonnen.

Die Familie Griggs in England wurde so auf die innovative Luftpolstersohle aufmerksam und erwarb eine Exklusivlizenz und nahm einige Änderungen vor: neuer Absatz, bauchiger, schlichter Schaft, gelbe Rahmennaht, zweifarbiger, gerillter Sohlenrand und einzigartiges Sohlenmuster. Der Name des Schuhs, „AirWair“, befand sich auf der gelb-schwarzen Fersenschlaufe. Am 1.4.1960 wurde der Schuh in den Markt eingeführt, entsprechend hieß der erste Dr. Martens-Stiefel mit acht Löchern „1460“.

Das Unerwartete:#

Ursprünglich von Postboten und Fabriksarbeitern getragen, war der Schuh zunächst der Arbeiterklasse zuzuordnen. Eine der ersten Subkulturen in England waren die Mods – sie hatten ihren Ursprung in der Arbeiterjugend, es war ihnen mit Hilfe teurer Markenkleidung wichtig, ihre Wurzeln äußerlich zu verbergen.

1964 bildeten sich innerhalb der Mods verschiedene Splittergruppen, die äußerlich deutlich unterscheidbar sein wollten, indem sie als „Hard Mods“ den Schädel rasierten, keine Markenkleidung und unbedingt Docs trugen. Mit der Zeit entwickelte sich aus den „Hard Mods“ die Gegenströmung zu den Mods, die „Skinheads“. Zu ihrem Alltag gehörten Fußball, Schlägereien und Alkoholkonsum, ihre Stiefel waren mit Stahlkappen versehen. Die Skins rebellierten gegen die Freie Liebe und Flower-Power, traten betont maskulin auf und zeigten den Hippies den Mittelfinger.

Der erste Prominente, der in Docs auftrat, war Pete Townshed von The Who. Sowohl die ersten Skinheads als auch Townshed verwandelten die Funktionsstiefel in ein subkulturelles Must-Have. In den 1970ern, dem Jahrzehnt von Glam, Punk und dem frühen Gothic wurden die Docs von allen Richtungen der Subkulturen getragen – insgesamt waren die Stiefel ein wildes Symbol der Selbstdarstellung britischer Jugendkultur geworden.

Neben den linksradikalen Skinheads in England wurden die Docs ebenso Teil der Neo-Nazi-Uniform. In den 1990ern waren die Docs ein unverzichtbarer Bestandteil der Festivalkultur geworden.

Das Unvermeidbare:#

Jeder Mensch, der ein paar Docs eingegangen ist, wird es kennen: am Anfang reiben die Stiefel überall. Es bietet sich an, sie täglich zunächst kurz und nach einiger Zeit immer länger zu tragen, bis sie absolut bequem sind. Keine Tricks mit Essig oder einem Hammer machen die Docs geschmeidig, nur Geduld. Zumindest in meinem Fall.

Ein weiterer Aspekt ist die sehr lange Lebensdauer – man braucht zumindest 10 Jahre, bis die Sohlen an Slicks erinnern. Fashionistas, die nach wöchentlichen Trends und Must-Haves schielen, sind mit Docs schlecht beraten.

Das Individuelle:#

Meine Blümchendocs haben inzwischen acht Jahre auf den Sohlen, auf der Zeichnung erkennt man an der Fersenschlaufe kein „AirWair“, sondern eine schwarze Krawatte. „Black Tie“ also. Das Symbol habe ich auf dem Bild verändert, zumal das meine Schuhe der Wahl sind, bin ich zu einer Festlichkeit geladen. Wenn ich es mitunter anders versuche, geht das meist schlecht für meine Wirbelsäule aus. Und für „White Tie“ reicht mein Ehrgeiz nicht.

Postskriptum#

Dieser Text ist mit einer Reihe von Quellenangaben per Fußnoten vesehen. Diese komplette version finden Sie hier in einem schlanken PDF-Dokument: lafer_zeit.raum_episode26.pdf (546 kb)