Aber ich bin nicht allein#
(Gedanken: Wie kam es dazu, den Kreuzweg zu gehen)#
von Franz-Robert WagnerDas Leben ist ein ständiges pendeln zwischen Jugend und Alter, Gesundheit und Krankheit, zwischen Leben und Tod - als dessen Ende. Ich denke also: Glaube ist die Fähigkeit unseren Überzeugungen zu vertrauen. Darüber ins Gespräch zu kommen ist ein Jungbrunnen der besonderen Art. Vergessen wir nicht das Lachen.
Dieses jüdische Sprichwort ist die Überschrift meines Lebens, seit der große Gerhard Bronner es mir eingebläut hat: „EIN LACHEN HÖRT MAN WEITER ALS EIN WEINEN, LIEBER FRW“ …weil es Verzweiflung in Hoffnung verwandeln kann - die Gegenwart aber, die Realität durch übertriebenen Witz entschärfen kann. Wir sind gut beraten, wenn wir darauf gefasst sind, dass uns bis zum letzten Atemzug Schönes geschenkt und Schmerzliches zugemutet wird.
So, mit diesen Gedanken beladen, stand ich vor dem Wunsch, den Kreuzweg sehr persönlich zu gehen und ihn zu betrachten. Nicht weil mich die Bilder - seit meiner Jugend - maßlos berühren. Ich wollte erfahren, ob die Betrachtung des Kreuzwegs eine Einladung sein könnte, sich die eigene Situation mit dem was schmerzhaft und schwer ist, bewusst zu machen und damit Wegbegleiter dieses Jesus zu werden. MIT RECHT! Es aber auch betrauern.
Das tut schon gut. Und vielleicht das erfahren, was Astrid Lindgren so innig ausgedrückt hat: „ABER SIE HATTEN ES GEMEINSAM SCHWER UND DAS WAR EIN TROST….LEICHT WAR ES TROTZDEM NICHT.“ Jedenfalls ging ich den Kreuzweg so an zu erleben: EINER IST MIT MIR UNTERWEGS, DER DAS ALLES KENNT, WEIL ER ES MITGEMACHT HAT. ER BLEIBT AN MEINER SEITE... denke ich.
Es bleibt trotzdem schwer, keine Frage. Aber ich bin nicht allein. Und ich spürte da zum ersten Mal, dass der Kreuzweg eine, ja, ERMUTIGUNG sein kann. Also gehe ich ihn an. JESUS NIMMT SEIN KREUZ AUF SICH. Ist ja fast eine Zumutung, gerade in einer Zeit - jetzt eben - wo täglich Dinge geschehen, die uns traurig machen. Schweden. Magdeburg. Solingen…
Und da ich mich fragen muss: wie geht es weiter? Was wird NOCH alles kommen? Was müssen wir NOCH alles aushalten? (Herrn Kickl z.b. und die anderen Rechten…) Und vor allem: gibt es in meiner Umgebung Menschen, Freunde, die ein besonders schweres Kreuz zu tragen haben? Ich beginne schon ab der ersten Station zu überlegen… und will festhalten, dass dieser Jesus mit dem Tragen des Kreuzes auch unsere Not und Trauer mitträgt!
Sichtbar wird jedenfalls auf diesem Weg seine Liebe zu uns, die groß und weit und unumstößlich wird und ist. Fragen über Fragen bleiben… Was fällt mir zurzeit besonders schwer? Wer trägt um mich herum ein besonders schweres Kreuz? Warum helfe ich nicht…? Und weiter auf dem Weg… Ich weiss doch, wie es ist zu fallen.
Haben ich es nicht schon erlebt in meinem Leben? Unvergesslich die Worte eines Arztes, ich im Alter von 17, mein Vater im Alter von 42: „DEIN VATER IST EIN TODESKANDITAT“. Er starb dann auch sechs Monate später. Menschen fallen unter dem Kreuz ihres Lebens… weil ausgebrannt, erschöpft… verlassen, niedergedrückt… Mein Vater war nicht am ENDE SEINER KRAFT. Er glich da Jesus, sage ich überheblich… aber voller Stolz.
Also gehe ich den Kreuzweg weiter, weil es ja Menschen gibt, die helfen können. Ärzte, Pflegerinnen, Straßenkehrer. Wir brauchen eben immer Menschen, die einem tragen helfen. Die sich rufen lassen und JA sagen. Und immer wieder ist er da, der Todeskandidat JESUS. Er sagt nicht: dafür bin ich nicht zuständig. Nein, er sagt, indem er diese Erniedrigung, diese Qual geschehen lässt: MEIN GOTT, MEIN GOTT…WARUM HAST DU MICH VERLASSEN!
Und dann… Immer wieder: Er ist da, auf ihn können wir zählen. Aber eine Hilfe beim Tragen dieser Kreuzeslast täte gut. Und sie kommt ja. Simon, der Anpacker, der Kreative sozusagen. Einer von uns. Einer der will…
Schauen wir auf unser eigenes Leben: was wollen WIR? Was dürfen WIR? Dabei sein und ja nicht weglaufen - aushalten und ja nicht aufgeben… mitleiden und sich ja nicht abwenden, wenn es eventuell schwer wird. Maria, die Mutter, hat es getan, weil sie ja nicht MEHR tun konnte, nicht durfte. Glauben wir nicht manchmal, dass das ALLES nicht ausreicht?
Diese Suche hindert uns, bestimmte Dinge, die noch möglich sind, einzubringen. Ich fasse zusammen: wir übersehen dabei, dass jede und jeder die Last, die uns niederdrückt, doch für einen Augenblick leichter macht! Waren wir, oder sind wir für andere wie eine Mutter? Vielleicht braucht es Menschen wie Veronika, die wunderbarerweise anders handelt als die Masse. Allen Mut zusammen nimmt, um ein Zeichen der Freundschaft, der Zuneigung, der Hilfe zu setzen.
Sind solche Gesten nicht von wagemutiger Bedeutung, dieses Setzen eines Zeichens der Zuneigung, der Hilfe? Und die Frage aller Fragen: was tue ich, wenn ich Menschen leiden sehe? Warten nicht manche von uns auf eine Geste der Zuneigung?
Jesus und seine Hilfsbedürftigkeit ermutigt uns doch nur, sich vor der eigenen Schwachheit nicht zu fürchten; oder gar zu schämen. Was bedeutet uns denn, dass dieser Jesus seiner Kleider beraubt wird? Wir wissen doch, wie schnell es gehen kann: Menschen bloßstellen, jemanden in den Schmutz zerren, lächerlich machen. Wir stellen die Schwächen anderer zur Schau. Grausam.
Was tun wir, wenn der Mensch gleichsam nackt vor uns steht? Seine Würde also mit Füßen getreten wird? Eben: WIE DU VON DEN MENSCHEN BEHANDELT SEIN WILLST, SO BEHANDLE AUCH DU SIE. Der Kreuzweg zeigt uns seine Treue zu seinem Auftrag-bis ans Ende. Er trägt mit dem Kreuz unsere Not und unsere Trauer. Und wird nicht dadurch sein Liebe zu uns sichtbar? Sie ist ja so groß und weit. Werden nicht - auch heute noch - Menschen aufs Kreuz gelegt, durchbohrt, zur Schau gestellt, in ihrem Leid, ihrem Elend?
Auch ich bekenne schuldhaft, dass ich einige Menschen in meinem Leben körperlich und seelisch fast zu Grunde gerichtet habe. Wir nageln doch fast alltäglich Menschen fest: hin auf ihre Fehler, ihr Versagen, ihre Meinung. Oder sollte ich mich täuschen?
Was für ein Wahnsinn. Menschen, die ihre Macht mittels Autorität, mittels Amt, mittels Stärke, mittels Gewalt ausüben. Ob nicht die ausgebreiteten Arme dieses Jesus uns befreien könnten von Hass und aller Niedertracht? Könnten diese Arme nicht auch ein Zeichen seiner Entschlossenheit und Kraft sein?
Man nagelt ihn ans Kreuz.
Für mich ist also der Kreuzweg eine Ermutigung, die ich mich nicht scheue innig und offen weiterzugeben und schamvoll bekenne: für Tapfere ist so eine Zukunft DIE Chance.
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