Wir beuyseln!#
(Der Ernst des Lebens und was sonst noch so auf dem Programm steht)#
Von Martin Krusche#
Intrada: Freilich habe ich es interessant gefunden, als von Herrn Uwe, einem Grazer Künstler, Ende 2020 die Frage gekommen war, ob ich an einem Vorhaben zum 100. Geburtstag von Josef Beuys mitwirken möchte. Wir korrespondierten ein Weilchen, ich entwickelte einige Ideen und schickte ihm am 22. Jänner 2021 ein Memo mit meinen Überlegungen. (Das Memo)
Ich war dann nicht rasend überrascht, daß diese Post ohne jede Reaktion blieb. Die etwas rüden Usancen aus der Wirtschaftswelt sind im Kunstbereich längst Standard. Man ordert ins Blaue hinein, schaut was sich ergibt, nimmt was man kriegen kann, wird schon passen. Dabei erscheint schließlich nicht einmal eine Absage nötig, denn der Künstler von Welt ist im Grunde für schlichte Etikette überqualifiziert.
Dafür hab ich aus dieser Angelegenheit einen nützlichen Referenzpunkt bezogen, der mir anno 2022 ins Konzept paßt. Es geht bei mir nie ganz ohne Beuys. Ich hatte zu unserem 2018er Kunstsymposion eine Session mit dem Titel „Die Beuyse des Pessler“ realisiert, da sich für mich immer wieder gute Gründe fanden, die Arbeit und die Lebensgeschichte des Beuys zu berühren.
Herr Uwe hatte also mein Memo entgegengenommen, auf jede weitere Kommunikation verzichtet, denn er war mit den Vorbereitungen zum Jubiläumsjahr offenbar ausgelastet. Das Projekt, wie es dann in Graz gezeigt wurde, drehte sich etwa um diese Frage: „Was würde Beuys heute tun?“ (Das ist der Referenzpunkt!)
Bruchlinien#
Das Jahr 2020 bescherte uns die radikale Erfahrung einer Pandemie, wodurch ich unter anderem herausfinden durfte, welche inhaltlichen Schwächen sich in meinem Metier längst breit gemacht hatten. Allein dieses Flehen um eine Anerkennung der „Systemrelevanz“ von Kunst fand ich a) würdelos und b) inhaltlich neben der Spur.Ich denke, meine Glosse vom 7. Mai 2020 war ein erster erheblicher Einwand gegen die Behauptung „Ohne Kunst wird’s still!“ Den Hashtag „kunstistauchsystemrelevant“ fand ich völlig indiskutabel. Damals neigte ich zur Ansicht, die steirische Kulturpolitik sei nicht reformierbar, weshalb wir über eine „nächste Kulturpolitik“ nachdenken sollten.
„Ohne Kunst wird’s still!“ hab ich in jenen Tagen als typischen Werbesprech identifiziert: „Schwampf. Ein weiterer Ausdruck dieser galoppierenden Durchökonomisierung all unserer Lebensbereiche. Außerdem drückt der Satz eine sehr bescheidene Vorstellung dessen aus, was Kunst in ihrem Anteil an der Conditio humana ist. Die Kunst ist unter keinen Umständen still. Nie.“ (Quelle)
Es zeigte sich, daß tatsächlich allerhand Coaches und Werbeprofis in diesen Kampagnen Schlüsselrollen einnahmen. Einen weiteren Einwand gegen derlei Propaganda-Masche notierte ich Ende 2020; etwa als Reaktion auf Schlampereien wie: „Aktuell liegt die Kunst- und Kulturszene brach...“
Ich dagegen: „Mein Tun liegt nicht brach, auch das von unzähligen anderen Aktiven, mit denen ich verbunden bin, nicht. Wir haben bloß eine Krise, die mit enormen Belastungen einhergeht. Und das vertieft die branchenüblichen Probleme, wie sie seit Jahrzehnten Bestand haben.“ (Quelle)
Kontinentaldrift#
Im Rückblick sehe ich, daß sich Lager geteilt haben, daß möglicherweise sogar eine Art kulturpolitische Kontinentaldrift geschehen ist. Ich kann die larmoyanten Slogans nicht entkräften, sondern muß zur Kenntnis nehmen, daß auf einem mutmaßlich anderen Kontinent so gedacht und gelebt wird. (Das ursprünglich gemeinsame Feld dürfte in Teile zerbrochen sein.) Damit werden dann auch unter Leuten, die jünger sind als ich, solche Vorhaben möglich: „Was würde Beuys heute tun?“Eine völlig unnütze Frage! Beuys in solchem Sinn aus dem Grab zu hieven taugt bestenfalls als Beleg, daß seine Visionen und Vorhaben nicht verstanden wurden. Die weisen recht unmißverständlich Richtung Selbstermächtigung und Eigenverantwortung. Stattdessen müßte es folglich heißen: „Was würden WIR heute tun?“
Statt also seinen Geburtstag mit so einer Spießer-Pose zu garnieren, mit diesem „Was würde Beuys heute tun?“, wäre es vielleicht adäquat, ihm ins Jenseits auszurichten: „Das haben wir daraus gemacht, lieber Beuys!“
Verstehen Sie mich recht, ich fand Beuys oftmals sehr anregend und es gibt ein paar Beuys-Zitate, die ich immer wieder raushau, wenn mir die Gelegenheit dazu passend erscheint. Aber wenn einem danach ist, ihm Referenz zu erweisen, dann sollte deutlich werden, welche seiner Anregungen zu welchen Konsequenzen geführt haben, denn er ist Vergangenheit. Ansonsten kommt so ein Gehabe kaum über Götzenverehrung hinaus. Ich vermute, das hätte Beuys nicht nur verachtet, sondern auch mit sehr energischen Worten zurückgewiesen.
Postskriptum Nachdem ich derzeit gemeinsam mit Heinz Payer einen Inhalt im Zeit.Raum abgebe, wofür uns Monika Lafer im Sinn von Waldorf & Statler paraphrasiert hat, werden Payer und ich ab nun ein wenig beuyseln. Das heißt, für die nächste Episode im Slot II entfalten wir prozeßhaft eine kleine Erzählung zum Thema.
- Home: Beuys 101 (Eine Erzählung in Momenten und Episoden)
- Zeit.Raum: Episode XV: Wir beuyseln (Das Fenster in der Stadt)
- Zeit.Raum: Episode XIV, Teil II: Double Feature
- Zeit.Raum: Episode XV: Wir beuyseln (Das Fenster in der Stadt)