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Die Kuh und der Roboter#

(Automatisierung in der Landwirtschaft)#

von Martin Krusche

Kühe sind neugierige Tiere. Was braucht die Kuh? Licht, Luft, gutes Wasser und gutes Futter, einen trockenen Liegeplatz. So hat es mir Bergbäuerin Rosa Derler erläutert. Dazu kommt selbstverständlich auch Bewegungsfreiheit. Wir sprachen darüber, als in den letzten zwei Wochen gerade Nachrichten durch die Medien gingen, die Butter werde knapp und daher teurer. Derler hat das mit einer wegwerfenden Geste quittiert. Milchwirtschaft ist ein angespanntes Geschäft.

Die Kuh denkt womöglich: Ah, Touristen! – (Foto: Martin Krusche)
Die Kuh denkt womöglich: Ah, Touristen! – (Foto: Martin Krusche)

Ich erinnere mich an ein Gespräch mit einem Bauern in Hofstätten, der einst etwas dazuverdiente, indem er mit seinem Traktor die Milchsammelstellen abfuhr. Manche werden die hölzernen Podeste noch vor Augen haben, auf denen die Milchkannen bereitgestellt wurden. Später folgten große Kannen auf Rädern. Der Bauer erzählte mir, diese Arbeit habe aufgehört, als der Preis von einem Liter Diesel den von einem Liter Milch überstieg.

Ich hab den oststeirischen Hof besucht, weil die Familie Derler vor rund einem Jahrzehnt den Betrieb umgestellt hat und seither die Kühe selbstständig an einen Melkroboter gehen. Es sind rund 70 Tiere, mit denen sich das rentabel betreiben lässt. Es gebe auch Wirtschaften mit etwa 50 Kühen, darunter eher nicht. Die Milchsammelstelle am Wegesrand ist heute, wie angedeutet, längst Geschichte. Der große Tank in einem Teilbereich des Stalles wird alle zwei Tage geleert.

Wie muss man sich das automatisierte Melken vorstellen? Die Anlage würde etwa eine geräumige Garage ausfüllen. Jedes Tier trägt einen Chip, der vom Roboter gelesen wird, was den Zugang regelt. In der Box findet die Kuh Futter. Ein Roboterarm reinigt das Euter. Ein Scanner ortet die Lage der Zitzen, damit der andere Roboterarm die Melkbecher setzen kann. Dann läuft die Sache.

Ich sah eine Kuh mit prallem Euter, die von der Maschine abgewiesen wurde. Nein, die hat nicht viel Milch, die ist alt, behob Derler meinen Mangel an Sachkenntnis. Und sie sei unter der Zeit. Es müssen sechs Stunden vergehen, bis eine Kuh erneut ein offenes Gatter vorfinde. Sonst würden manche Kühe allein wegen des Futters kommen.

Die technische Entwicklung führte vom Melkschemel zur Melkmaschine, von der mehrere Einheiten schließlich zu einem Melkstand zusammengefasst wurden. Da ging immer noch der Mensch an das Tier. Nun geht das Tier zum Melkroboter.

Wer meiner Generation angehört, konnte auf Bauernhöfen noch manchmal Melkschemel sehen. Jüngere Leute sind dafür auf Museen angewiesen. Darunter gibt es eine besondere Art, bei der die Sitzfläche mit nur einem Bein ausgestattet ist. Solche Schemel werden beim Gebrauch an den Körper geschnallt.

Melkmaschinen gibt es seit dem 19. Jahrhundert, im 20. Jahrhundert wurden sie elektrifiziert. Derlers hatten früher einen Laufstall mit Melkstand, also einer Anlage, in der eine Batterie von Melkmaschinen gruppiert ist.

Kuh in der Box, Kopf in der „Jausen-Sektion“. – (Foto: Martin Krusche)
Kuh in der Box, Kopf in der „Jausen-Sektion“. – (Foto: Martin Krusche)
Die Bürsten reinigen das Euter. – (Foto: Martin Krusche)
Die Bürsten reinigen das Euter. – (Foto: Martin Krusche)
Die Melkbecher werden angesetzt. – (Foto: Martin Krusche)
Die Melkbecher werden angesetzt. – (Foto: Martin Krusche)
Der Weg der Milch. – (Foto: Martin Krusche)
Der Weg der Milch. – (Foto: Martin Krusche)

Ein Brand im Sommer 2007 zerstörte das Wirtschaftsgebäude. Weitermachen? Aufhören? Umstrukturieren? Was wäre die Alternative gewesen? Keine Alternative. „Aufhören wäre leicht“, sagte die Bäuerin, „wir haben im Kern ja nur eine kleine Wirtschaft.“ Die umfasst etwa zwölf Hektar Grund. Eine für diese Region typische Betriebsgröße, wo historisch vor allem Selbstversorgerwirtschaften bestanden, die kaum für den Markt produziert haben.

Der Rest von den rund 40 Hektar ist gepachtet. Derler: „Die Pachtflächen weg, das wär’s gewesen.“ In dieser bergigen Gegend hinter Birkfeld sind die Dinge einfach geordnet: „Schöne Flächen kannst du immer verpachten, bei steilen Flächen wird es schwierig.“ Das sieht man in der Gegend auch den Traktoren an, von denen viele hinten mit Zwillingsreifen bestückt sind, was sie in Hanglagen stabiler macht. (Umstürzende Traktoren töten Menschen.)

Für Österreich gilt immer noch, wenn auch nicht ganz, dass schon lange die bewirtschafteten Flächen ungefähr gleich bleiben, die Zahl der Betriebe aber abnimmt. Das heißt, viele Bäuerinnen und Bauern geben auf, die verbleibenden Betriebe werden größer. Sie kennen das nie verstummende Gerede um Landwirtschaftssubventionen? Derler trocken: „Gebt’s uns einen anständigen Preis für die Arbeit, dann brauchen wir keine Subventionen.“

Was macht nun den Unterschied zwischen bäuerlicher und industrieller Landwirtschaft? Die Größe? Nein. Die Produktionsweise. Der Unterschied ergibt sich eher aus der Art, wie mit dem Boden und dem Wasser umgegangen wird, wie es um die Fragen der Nachhaltigkeit bestellt ist. Das traditionelle Denken von Bauern ist dabei nicht bloß auf die eigene Lebensspanne, sondern auf mehrere Generationen ausgerichtet.

Das heißt, der Unterschied zwischen bäuerlicher und industrieller Landwirtschaft wird vor allem über qualitative Kriterien markiert und drückt sich in ökonomischen Kategorien aus. In Übereinkunft mit dem Sohn Michael orientierte sich die Familie Derler vor zehn Jahren neu. Dabei fiel die Entscheidung für den Melkroboter. „Damals hat es in der Steiermark nur einen gegeben, den man sich anschauen konnte.“

Bauer auf dem Melkschemel – (Foto: Creative Commons, Allgemeiner Deutscher Nachrichtendienst)
Bauer auf dem Melkschemel – (Foto: Creative Commons, Allgemeiner Deutscher Nachrichtendienst)
Ein Inserat in den Innsbrucker Nachrichten vom Februar 1873
Ein Inserat in den Innsbrucker Nachrichten vom Februar 1873
Melkmaschine von Alfa Laval (Foto: GNU Lizenz, Tomasz Sienicki)
Melkmaschine von Alfa Laval (Foto: GNU Lizenz, Tomasz Sienicki)
Melkstand (Foto: Creative Commons, Bundesarchiv, Bild 183-64662-0002)
Melkstand (Foto: Creative Commons, Bundesarchiv, Bild 183-64662-0002)

Im Rückblick: „Die meisten sind zwei, drei Monate gelaufen und dann gestanden. Aber gut, wenn man daran gewöhnt ist…“ Die Anlage bei Derler läuft seit einem Jahrzehnt weitgehend problemlos, wird regelmäßig gewartet, bekommt drei Mal pro Jahr einen Service vom Profi, braucht sachkundige Begeleitung.

Von Bauersleuten hieß es einst, sie könnten nie wegfahren, womöglich Urlaub machen, denn das Vieh müsse betreut werden, der Hof lasse einen nicht aus. Ganz so ist es nicht mehr, dennoch sagte Derler: „Es sind Lebewesen. Man muss sich kümmern.“ Es braucht also eine sachkundige Vertretung, wenn man fort will. „Wer keine Technik mag, darf das nicht tun“, meinte Rosa Derler.

„Der Melkroboter ist wie ein kleines Kind. Wenn alle weg sind spinnt er. Da brauch ich jemanden als Vertretung, der selbst auch einen Melkroboter hat.“ Man hilft sich gegenseitig aus. Die laufenden Kosten, der Service, „das ist genauso wie beim Melkstand, nicht mehr.“ Ein interessantes Detail, denn es besagt, dieser Automatisierungsschritt, der menschliche Arbeit einspart, hat den materiellen Aufwand nicht erhöht. Und verlassen Sie sich darauf, eine Bäuerin, die heute wirtschaftlich besteht, kann rechnen.

Dieser Bergbauernhof hat übrigens noch eine Besonderheit. Die Derlers haben damals dem Stall eine Art Aussichtsplattform verpasst. Dort entstand das Kuhcafé, von dem aus man über ein Panoramafenster in den Stall sieht. Es ist, wonach es klingt. Ein Ausflugsziel.

Rosa Derler: „Das haben wir aus eine Laune heraus gemacht. Ich hab noch gezweifelt. Wer interessiert sich für eine Kuh? Aber heute wollen zum Beispiel viele Eltern, dass ihre Kinder einmal sehen: wo kommt die Milch her, die Butter und der Käse?“

Das Derler-Anwesen. – (Foto: Martin Krusche)
Das Derler-Anwesen. – (Foto: Martin Krusche)
Der weitläufige Stall. – (Foto: Martin Krusche)
Der weitläufige Stall. – (Foto: Martin Krusche)
Das gemütliche Kuhcafé. – (Foto: Martin Krusche)
Das gemütliche Kuhcafé. – (Foto: Martin Krusche)
Die Region ist voller Details. – (Foto: Martin Krusche)
Die Region ist voller Details. – (Foto: Martin Krusche)

Das Konzept hat sich bewährt. Wer einen Ausflug machen möchte, findet eine erfreuliche Landschaft, in der so manches Anwesen noch erahnbar macht, wie die agrarische Welt früher ausgesehen hat. Kaffee und Kuchen runden so einen Ausflug ab, vor allem aber ist es anregend zu sehen, was die Bauernschaft heute leistet. Es hilft dann eventuell, darüber nachzudenken, wofür man sein Geld ausgibt, denn darüber wird mitbestimmt, ob wir bloß noch von einer Nahrungsmittelindustrie versorgt werden, oder ob auch andere Qualitäten Bestand haben sollen.

P.S.:
Wussten Sie, dass Kühe nicht schlafen, wie wir das gerne tun, sondern eher so dahindösen? Dabei werden sie regelmäßig von ihrer Verdauung aufgemuntert. Die Kuh hat vier Mägen, in denen ein komplexer Vorgang absolviert werden muss, um das gefressene Grünzeug zu verwerten. Der Teil dieser Verdauung, in dem die Mikroorganismen ihren Job tun, produziert mächtige Gasblasen, von denen sich die Kuh natürlich befreien muss. Das ist so heftig, da läuft nichts mit Durchschlafen.