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Eine Entgegnung - Lueger betreffend#

von Christa Chorherr (September 2017)

Mit freundlicher Genehmigung dem Blog https://christachorherr.wordpress.com entnommen.

Heute (28. September 2017) habe ich in einer Tageszeitung, die nicht gerade als Kurz-freundlich gilt, einen Kommentar über die Vergleichbarkeit von Kurz und Bürgermeister Karl Lueger (1844 – 1910, Bürgermeister ab 1895) gelesen.

Dabei wurde Lueger vieles vorgeworfen: sein Antisemitismus, sein Rassismus besonders gegen Menschen aus Böhmen, Mähren und der Slowakei – die ja besonders am Ringstraßenbau beteiligt gewesen waren. Gegenüber gestellt wird dem Antisemitismus von Lueger die Islamophobie (ohne sie so zu benennen) von Kurz.

Ich finde, dass diese Darstellung recht einseitig war und viele der Argumente sind ja auch bei der Umbenennung von Lueger Ring auf Universitätsring breit dargelegt worden. Sicher war er eitel – aber das wird ja auch Politikern jetzt vorgeworfen.

Aber als Wiener Bürgerin finde ich diese Darstellung recht einseitig: Denn die Stadt Wien verdankt Lueger sehr viel. Er suchte durch die Kommunalisierung der wichtigsten Versorgungsleistungen die Stadt Wiens von in- und ausländischen monopolartigen Gesellschaften unabhängig zu machen. Schon 1896 hatte der Gemeinderat (noch unter Luegers “Platzhalter“ Strobach) den Vertrag mit der englischen Gaswerk-Gesellschaft aufgelöst und es wurde mit dem Bau eines eigenen Gaswerks in Simmering begonnen. 1899 konnten die inneren Bezirke von städtischen Unternehmungen versorgt werden, 1911 war die Umstellung mit der Inbetriebnahme des Werks Leopoldau komplett abgeschlossen. Die Kommunalisierung der Elektrizitätswerke begann mit der Errichtung je eines Werks für die öffentliche Beleuchtung sowie die Versorgung der privaten Haushalte und für die Straßenbahn ab 1900 und konnte mit der Übernahme der privaten Gesellschaften von 1907 bis 1914 vollendet werden.

In engem Zusammenhang mit der Elektrifizierung der Stadt stand die Übernahme der Straßenbahn, die 1900 bis 1902 von der Stadt erworben und schrittweise auf elektrischen Betrieb umgestellt wurde. 1907 kommunalisierte die Stadt die Dampftramway-Gesellschaft und 1908 den Stellwagenbetrieb mit einem Liniennetz von rund 39 Kilometern. Erste Pläne gab es auch zur Errichtung einer U-Bahn. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts erwies sich eine neue, über die Donau gerichtete Stadterweiterung als sinnvoll. Nachdem bereits 1900 aus dem nördlichen Teil der Leopoldstadt der 20. Bezirk geschaffen wurde, wurden Anfang 1905 die Donaugemeinden Floridsdorf, Jedlesee, Groß-Jedlersdorf, Strebersdorf (teilweise), Stammersdorf (teilweise), Leopoldau, Stadlau und Aspern als 21. Bezirk eingemeindet. Die Fläche der Stadt erhöhte sich um rund 50 Prozent auf 273 Quadratkilometer; die Einwohnerzahl stieg auf über 2 Millionen.

In der Sozialpolitik distanzierten sich Lueger und die Christlichsozialen im Sinne der katholischen Soziallehre von der bisher dominierenden Anschauungdes Liberalismus, dass jede(r) nur für sich selbst verantwortlich wäre. So richtete die Stadt Wien 1898 nach dem Vorbild deutscher Städte ein städtisches Arbeitsvermittlungsamt ein. Mit dieser Maßnahme wurden die Vermittlung vereinheitlicht und Doppelgleisigkeiten verhindert. Der 1899 geschaffene Zentral-Armenkataster erfasste alle von der Armenpflege betroffenen Personen und sollte öffentliche und private Hilfe besser miteinander verbinden. Als ständiger Ausschuss zur Förderung der Armenpflege konstituierte sich 1901 der Zentralrat für das Armenwesen. Ein städtisches Waisenhaus löste das bisherige Asyl für verlassene Kinder ab. In Bad Hall, San Pelagio und Sulzbach-Ischl wurden Kinderheilstätten eingerichtet. 1904 wurde das Versorgungsheim Lainz – damals das größte und modernste seiner Art – eingeweiht.

Auf dem Gebiet der Gesundheitspflege wurde die Zahl der öffentlichen Brausebäder deutlich erhöht; die Besucherzahl verdreifachte sich zwischen 1896 und 1910. Die Errichtung von Strombädern schloss sich an. Der Spitalsnot versuchte die Stadtverwaltung durch die Errichtung des “Jubiläumsspitals“ (Grundsteinlegung 1908) beim Lainzer Tiergarten, den Bau neuer Kliniken im 9. Bezirk und eine Modernisierung des Sanitäts- und Rettungswesens in den Griff zu bekommen.

1905 wurde die Schaffung eines Wald- und Wiesengürtels, der selbst einer 4 Millionen-Stadt noch genügen und ungesunde Wohnverhältnisse bei steigender Bevölkerungsdichte vermeiden sollte, beschlossen. Im Zuge dieser Aktion erwarb die Gemeinde Wien Grünflächen im Ausmaß des 6. Bezirks. Auch eine Reihe innerstädtischer Grünanlagen wurde errichtet. Der immense Wasserbedarf, vor allem durch die Eingemeindung der Vororte wenige Jahre zuvor, führte zum Bau der zweiten Wiener Hochquellenwasserleitung. 1899 im Gemeinderat beschlossen, wurde sie 1910 in Betrieb genommen.

Der Wohnungsnot begegnete die christlichsoziale Stadtverwaltung nur mit punktuellen Maßnahmen: Um Vermieter und Wohnung Suchende effizienter zueinander bringen zu können, führte der Gemeinderat 1901 einen städtischen Wohnungsnachweis ein, zunächst probeweise auf zwei Bezirke beschränkt, ab 1902 für alle Bezirke. Eine ähnliche Anlaufstelle wurde 1902 auch für die Vermietung von Sommerwohnungen in Niederösterreich eingerichtet. Eine nachhaltige Lösung der Wohnungsnot wurde erst in der Ersten Republik erzielt.

Besondere Aufmerksamkeit wurde dem Schulwesen gewidmet: 1908 wurde die 100. Schule, die von der christlichsozialen Stadtregierung errichtet worden war, feierlich eröffnet. Auf kulturellem Gebiet wurde die Errichtung eines städtischen Museums auf dem Karlsplatz beschlossen – ein Projekt, das nach vielen Neukonzeptionen erst 1959 Realität wurde. Schneller ging es mit dem “Kaiser-Jubiläums-Theater“ (heute als “Volksoper“ bekannt), das auf städtischem Baugrund 1898 eröffnet wurde. Die ebenfalls auf städtischem Pachtgrund erbaute “Wiener Urania“ nahm ihren Betrieb 1910 auf.

1905 übernahm die Stadt die mit finanziellen Schwierigkeiten kämpfende Genossenschaft “Wiener Brauhaus“ mit einer Anlage in Rannersdorf bei Schwechat. 1907 wurden das städtische Leichenbestattungs-Unternehmen mit dem Ziel, auch armen Bürgern ein würdiges Begräbnis zu sichern, gegründet, 1899 der Rathauskeller als städtische Unternehmung eröffnet. Der schon bestehende Zentralfriedhof musste nach Süden und Osten erweitert werden; zugleich wurde die “Lueger-Gedächtniskirche“ errichtet. Mit der Errichtung der “Städtischen Kaiser Franz Josefs-Jubiläums-Lebens- und Rentenversicherungsanstalt“ (Beschluss 1898) und der Gründung der “Zentralsparkasse der Gemeinde Wien (Beschluss 1905) dehnte die Stadt Wien ihre wirtschaftliche Tätigkeit in weite Bereiche des täglichen Lebens aus.

Nun steht Österreich – und Wien besonders – vor großen Herausforderungen. Unser Land muss mit dem Zuzug von Fremden fertigwerden – ihre Arbeitskraft optimal nützen. Österreich ist ein Einwanderungsland geworden – das ist auch notwendig, da hier zu wenig Kinder geboren werden. Österreich ist ein Teil von Europa und muss an dessen Weiterentwicklung teilnehmen. Und letztendlich steht eine digitale Revolution bevor, die ähnlich der industriellen Revolution erhebliche Konsequenzen auf Bildung, Arbeitsmarkt und das Leben der Menschen hier haben wird.

Ich wünsche mir für die Zeit nach dem 15. Oktober 2017 eine Regierung, die mit Tatkraft und Weitsicht die Probleme zielsicher lösen kann. Ein gar so schlechtes Vorbild dafür scheint mir Karl Lueger nicht zu sein. „Alleweil“, wie wir in Wien sagen.


Weiterführendes

-- Lanz Ernst, Samstag, 2. September 2023, 13:31