Macht braucht Kontrolle#
Kritische Überlegungen aus der Alltagsperspektive #
Von
Dr. Harald W. Vetter
Nachdem in verschiedenen heimischen Medien ruchbar wurde, dass die „Österreichische Post AG“ längst unter die eifrigen Datensammler gegangen ist, um ihren Geschäftserfolg zu optimieren, indem sie reale Unterlagen und durch sogenannte Algorithmen gewonnenen Mutmaßungen zusammenführte, um sie dann an diverse Großunternehmen zu verkaufen, schrieb ich Anfang dieses Jahres auch einmal der Post einen Brief und ersuchte höflich, die über mich zusammengetragenen Erkenntnisse bekannt zu geben, denn schließlich gäbe es bekanntlich doch eine europäische „Datenschutz-Grundverordnung Art. 15“. Die Sache hatte in der Öffentlichkeit bereits einiges Aufsehen erregt, so dass mein Begehren aufgrund der offenbar ungeahnten Überforderungen zunächst einmal mit einem längeren Schweigen quittiert wurde. Hernach kamen einige generierte Mails oder Vertröstungen nebst sich stets wiederholender Einmahnungen von weiteren persönlicher Unterlagen zwecks „termingerechter“ Bearbeitung. Erst in der zweiten Aprilwoche erhielt ich ein sechsseitiges Einschreiben zugestellt, in welchem akribisch allerhand über mich Zusammengetragenes aufgelistet war. Dies mit der fast schon gnädigen Bemerkung, „dass man unter bestimmten Voraussetzungen“ (!) Einschränkung der Verarbeitung personenbezogener Daten, ja auch die Löschung derselben verlangen dürfe. Soweit, so schlecht. Als gelernter Österreicher sollte man sich ja bekanntlich über gar nichts wundern, doch mein Erstaunen über die über mich auf drei Seiten aufgelisteten Daten wuchs mächtig an, ja natürlich auch der Ärger und die Verunsicherung darüber, was alles sich allein schon eine simple Aktiengesellschaft namens Post im Staate Österreich erlauben dürfe, und dies entgegen den einschlägigen Verordnungen und Regelungen. Denn nach der im vorigen Jahr erlassenen DSGVO müssen heute Firmen, Vereine, ja sogar Ärzte ihren Kunden, Mitgliedern oder Patienten schon allein einmal die entsprechenden Adressen-Verwendungen anzeigen, ehe sie wieder aktiv werden können.
Nun ist vieles, was die User/Anwender heute ganz selbstverständlich benutzen, auch ein quasi ideales Überwachungsinstrument, ob es sich um das Internet, Smartphones oder Kredit- und Kundenkarten handelt. Hier könnte man also sagen: Selber schuld, da gibt es ein Übereinkommen und also auch Risiko. Fast wäre man hier versucht, Immanuel Kants „selbst verschuldete Unmündigkeit“ zu zitieren, doch die Angelegenheit hat eben auch eine noch dunklere und brisantere Seite. Wohl zu Beginn der 80er Jahre des vorigen Jahrhunderts wurden Gerüchte laut, dass die NATO ein riesiges Abhörsystem installiert hätte, das sich von Deutschland über England bis nach Australien hin erstrecken würde. Im oberbayerischen Bad Aibling waren die gewaltigen tennisballartigen Teleskope für alle auch zu sehen. Dass diese Anlagen jedes Telefongespräch, jede Faxnachricht und sonstige Nachrichten nach gewissen Reizwörtern durchsuchen würden, wurde von der damaligen Presse als Verschwörungstheorie politischer Sektierer abgetan. 2001 wurde dies allerdings von einer Untersuchungskommission der EU als Wahrheit bestätigt. Geändert an den Methoden hat sich seitdem nichts, im Gegenteil, das Überwachungssystem hat sich nur noch verbessert und verfeinert, dem Internet sei Dank! Die gewaltige Ausspähung wäre nur auf den militärischen und wirtschaftlichen Komplex der „Gegenseite“ gerichtet, hieß es schließlich. Die US-amerikanische NSA hat uns dann eines Besseren belehrt, die Überwachung war und ist eine totale. Seltsamer Weise ist es dazu sehr leise geworden, und die Aufdecker sitzen bekanntlich immer noch im Exil, werden mit lebenslangen Strafen bedroht oder werden gerade abgeschoben.
Die Geschichte der Ausspionierung reicht natürlich ewig lang zurück. Aber gegen das eigene Staatsvolk ging es konzertiert erst so richtig 1819 mit den „Karlsbader Beschlüssen“ los. Man traf sich dazu dort ganz „zufällig und rein gesellschaftlich“ im Kurort und der spätere Staatskanzler Fürst Klemens Wenzel von Metternich gab die Direktiven für die Restauration und gegen alle nationalliberalen Bestrebungen aus. In der Biedermeier-Zeit duckte man sich hinfort ängstlich weg, weil Spitzel und Sbirren die Presse, Schulen, Universitäten und alle möglichen Vergemeinschaftungen (Vereine im heutigen Sinn gab es damals noch gar nicht) kontrollierten und die trotzdem Aufmüpfigen sozial unmöglich machte, wegsperrte oder aber zur Emigration zwang. Dieses enge Überwachungskorsett war schließlich ein Musterbild für die Ochrana, das Evidenzbüro, die Sureté und all die anderen staatspolizeilichen Ämter, des SD, der NKWD oder der DDR- Staatssicherheit, die es zuletzt auf immerhin rund 200.000 Mitarbeiter brachte, und das bei lediglich16 Millionen Staatsbürgern.
Tatsächlich ist der sprichwörtliche gläserne Mensch spätestens seit den Romanen Jewgenij Samjatins, Aldous Huxleys oder Ray Bradburys eine bedenkliche Figur für allerlei Dystopien geworden, seinerzeit natürlich als utopische Figuren, heute dennoch als längst bei uns angekommene Realität. Das Problem, vor dem unsere Gesellschaft heute steht, ist letztlich die Notwendigkeit, hochkriminelle transnationale Organisationen, Clans und ebensolche terroristische Netzwerke überwachen zu sollen. Dies gibt der Staatsmacht nunmehr die Legitimität, alles und jedes überwachen zu müssen. Die Kontrolle muss daher eine totale sein, nötigenfalls unter Bruch demokratischer Bürgerrechte. Das ist die Crux aller jener politischen Systeme, welche sich zwar als antiautoritär ausweisen, aber es qua ihrer Existenz gar nicht mehr sein können. Dieser geheime „Subtext“ demokratischer Herrschaft, der sich als Agens politischen Handelns notwendig macht, wird möglichst verschwiegen oder bestenfalls noch fallweise wegen drohender terroristischer Anschläge etwa gegen den Atomstaat öffentlich entschuldigt.
Wie reagieren nun die Bürger in den westlichen europäischen Systemen darauf? Permissiv, libertär und konsumorientiert, zu einem Gutteil desorientiert. Die Intimität ist fragwürdig geworden und wird als entbehrliche bürgerliche Hinterlassenschaft, ja oft als lächerliche Farce abgetan. Das gleichgeschaltete Kollektiv konsumiert und handelt also gemeinsam, auch wenn ihm fortgesetzt irgendwelche Individualität vorgegaukelt wird. Die Obszönität bildet dabei den Höhepunkt dieser sich allmählich entwickelnden Vergemeinschaftung. Damit zusammenhängend wird die Frage, ob eine Datenspeicherung oder gar Überwachung als störend oder gefährlich empfunden werden würde, immer öfter dezidiert verneint. Denn „schließlich hätte man ja ohnehin gar nichts zu verbergen.“ Das ist der soziologischen Evolution nach nur ganz folgerichtig. Eine Verbergung ist in einem allgemeinen Sonnenstaat, der keinen Schatten mehr wirft, eben auch völlig unnotwendig. Es ist nur allzu bedauerlich, dass es über diese großen Zukunfts- und Menschheitsfragen noch keinen wirklich großen Roman oder ein umfassendes, tiefreichendes philosophisches Werk gibt!
Allerdings wird hier eine Problematik (vermutlich sogar mehrere) gelegentlich übersehen. Je komplizierter das Staatsganze im technisch-kommunikativen Bereich ausufert, desto mehr wird Datenspeicherung, Überwachung, aber vor allem auch Disziplinierung des Einzelnen notwendig werden, damit ein weiterer Machterhalt existieren kann. In China oder Nordkorea wird jeder noch so kleinster gesellschaftlicher Verstoß zu den Daten genommen, genauso wie alle Konsumgewohnheiten, die nicht den vorgegebenen gesellschaftlichen Idealen und Normen entsprechen. Menschen, die solcherart unangenehm auffallen, werden bestraft, indem man ihnen diverse Privilegien, Vorteile und Bürgerrechte nach Punktesystemen glatt entzieht. Wer sagt uns aber denn, dass im 21. Jahrhundert sich nicht auch bei uns radikale politische Änderungen vollziehen könnten, die durch solche Datenabgleichungen, wie etwa bei der „Österreichischen Post AG“, noch zusätzlich unterstützt werden können? Hier ist Wachsamkeit angezeigt, vor allem ein Nachdenken über den fatalen Doppelsinn des Wortes „Macht braucht Kontrolle“. Es liegt tatsächlich im Wesen der Macht, dass eben sie diese Kontrolle zur eigenen Machtausübung braucht.