Architektin und Widerstandskämpferin #
Todesfall: Architektin Margarete Schütte-Lihotzky 102-jährig gestorben#
Von der Wiener Zeitung (20. Jänner 2000) freundlicherweise zur Verfügung gestellt.
Mit ihrer "Frankfurter Küche" schrieb sie Architekturgeschichte. Doch nicht nur mit dieser bis ins kleinste Detail durchdachten Arbeitsstätte, die vor allem berufstätigen Frauen die Hausarbeit erleichtern sollte, machte sich Margarete Schütte-Lihotzky verdient. Die "erste Architektin Österreichs" entwickelte im Siedlungs- und Sozialbau beispielhafte Modelle und Einrichtungsgegenstände, sie baute durchdachte Kindergärten und entwarf Kindermöbel. Während der Nationalsozialistischen Usurpation war sie im Widerstand aktiv. Am Dienstag verstarb die Künstlerin und Zeitzeugin im Alter von 102 Jahren im Wiener AKH.
Margarete Lihotzky wurde am 23. Jänner 1897 in Wien geboren und studierte von 1915 bis 1919 als erste und einzige Frau Architektur an der K.K. Kunstgewerbeschule in Wien, später die Hochschule für angewandte Kunst.
"Und dies, obwohl mein Vater, ein Staatsbeamter, und auch mein Professor Oskar Strnad zu Beginn dagegen waren. Sie haben gedacht, ich würde verhungern. Nach der dreimonatigen Vorbereitungsklasse fiel es mir nicht leicht, mich zu entscheiden. Ich habe lange am Bleistift gekaut. 1916 konnte sich niemand vorstellen, dass man eine Frau damit beauftragen wird, ein Haus zu bauen - nicht einmal ich selbst", erklärte Schütte-Lihotzky anlässlich ihres 100. Geburtstages im Gespräch. Sie habe jedoch unbedingt an der Kunstgewerbeschule studieren wollen, die "damals sicher die beste Kunstschule der Monarchie, wenn nicht in ganz Europa" gewesen sei. Schließlich hätten dort Josef Hoffmann, Anton Hanak, Rudolf Larisch und Oskar Kokoschka unterrichtet. Doch auch "das mathematisch Präzise", das Künstlerische, Gestalterische und vor allem das Soziale an der Architektur hätten sie dazu bewogen, dieses Fach zu wählen.
Dass die junge Architektin ihr Handwerk verstand, davon zeugen eine Reihe von Auszeichnungen, die sie schon während ihrer Studienzeit einheimsen konnte. Es folgte 1920 ein Preis für eine Schrebergartenanlage, der Schütte-Lihotzky in Kontakt mit der Siedlerbewegung brachte. "Meiner Kenntnis nach war dies der einzige Verband, durch den von unten her ein Massenwohnbau entstanden ist. Bedingt war die Entstehung dieser Bewegung alleine durch die ungeheure Wohnungsnot, die es in Wien damals gegeben hat. Von 1914 bis 1918 wurde nichts gebaut, die Soldaten sind aus dem Weltkrieg zurückgekommen und haben kein Dach über dem Kopf gehabt." Ab 1922 arbeitete die Architektin für die "Erste gemeinnützige Siedlungsgenossenschaft der Kriegsinvaliden Österreichs" und war gemeinsam mit Loos im Baubüro der Siedlung Friedensstadt am Lainzer Tiergarten tätig. Mit ihm verband sie bis zu seinem Tod 1933 eine enge Freundschaft. 1922 trat Lihotzky ins Baubüro des Verbands der Siedler- und Kleingartenwesen ein.
1926 wurde sie vom deutschen Architekten Ernst May, der sich für ihre Arbeit in Wien begeisterte, ins Frankfurter Hochbauamt gerufen. Sie entwarf Einrichtungen für Kindergärten, Wäschereien, Wohnungstypen für berufstätige alleinstehende Frauen und die "Frankfurter Küche". Dieser Prototyp für 10.000 neue Siedlungswohnungen in Frankfurt zeichnet sich durch einen bis ins allerwinzigste Detail durchdachten Funktionalismus aus.
Am 24. November 1999 hatte im Wiener Filmhaus Stöbergasse der Streifen "Erinnerungen aus dem Widerstand" von Uwe Bolius und Uwe Angst Premiere gehabt. Er stellte die Zeit der Architektin im Widerstand gegen den Nationalsozialismus dar. Margarete Schütte-Lihotzky hatte sich im Alter von 43 Jahren entschlossen, aktiv gegen das NS-Regime zu kämpfen. Sie reiste Ende Dezember 1940 vom sicheren Istanbul nach Wien und schloss sich dort dem Widerstand der KP an. Am 22. Jänner 1941 wurde sie verhaftet, 1942 lediglich durch eine Reihe von Zufällen zu "nur" 15 Jahren Haft verurteilt. Fast alle der Mitangeklagten waren Opfer des Beils geworden. 1945 wurde sie aus dem Gefängnis Aichach, Bayern, befreit und kehrte nach Wien zurück.
Die Architektin war 1939 der KPÖ beigetreten. Erst spät wurde Schütte-Lihotzky in Österreich ihrem Rang entsprechend geehrt. 1980 wurde ihr der Preis für Architektur der Stadt Wien verliehen, 1985 die Prechtl-Medaille der TU-Wien. 1988 wurde ihr das österreichische Ehrenzeichen für Wissenschaft und Kunst verliehen. Sie weigerte sich allerdings, dieses aus den Händen des damaligen Bundespräsidenten Kurt Waldheim entgegenzunehmen. Erst Jahre später stimmt sie der Verleihung durch Bundespräsident Thomas Klestil und Minister Rudolf Scholten zu.
Wichtige Bauten und Projekte von Schütte-Lihotzky waren u. a.: Entwürfe für die Siedlung Eden, Wien (1921 bis 1922), Teilplanung Winarskyhof, Wien (1924); Tuberkuloseheilstätte (Projekt 1925); Reihenhaustypen, Praunheim (1926); typisierte Küche für die Siedlungen Bruchfeldstraße, Praunheim und Ginnheim, Frankfurt (sogenannte "Frankfurter Küche", 1926); Bauleitung eines Plattenhauses des Frankfurter Hochbauamtes (1927); zwei Häuser der österreichischen Werkbundsiedlung (1930 bis 1932); Richtlinien für den Bau von Kindergärten, China (1934); zwei Schulen, Makeewka (gemeinsam mit Wilhelm Schütte, 1935); Planung mehrerer Kindergärten, Sofia (1946).
Reaktionen auf den Tod von Schütte-Lihotzky#
"Sie war eine der interessantesten Architektinnen des 20. Jahrhunderts, eine aufrechte Kämpferin für ihre Ideale und bis ins hohe Alter eine ausgesprochen eindrucksvolle Persönlichkeit": Mit diesen Worten reagierte die Wiener SPÖ-Frauensekretärin Martina Ludwig auf die Nachricht vom Ableben Margarete Schütte-Lihotzkys. "Die Wiener SPÖ-Frauen werden Margarete Schütte-Lihotzky als engagierteste Kämpferin für Solidarität und Toleranz, gegen Faschismus und Diktatur, sowie als eine der frühen und langjährigen Wegbereiterinnen der modernen Frauenbewegung in ehrenvoller Erinnerung behalten", schloss Ludwig.
Der Tod der Wiener Architektin Margarete Schütte-Lihotzky sei für Wien und Österreich ein schwerer Verlust, sagte Vizebürgermeister Bernhard Görg. "Die Grande Dame der österreichischen Architektur, eine Frau, die für ihre Visionen gekämpft hat und die wusste, wo sie hinwollte, hat sich vor allem durch ihr Engagement ausgezeichnet, lebensgerechte und funktionale Architektur zu schaffen", so Görg.