VERDIS REQUIEM#
Giuseppe Verdi zählt zu den berühmten italienischen Opernkomponisten. Ihm verdankt man, dass die italienische Oper im 19. Jahrhundert ihren glanzvollen Höhepunkt erlebte, doch seine Musik hat bis heute nichts an Glanz verloren und zur Freude aller Musikfreunde, wird nach wie vor Verdi immer wieder zu Gehör gebracht.
1925: Nicht als bleicher Knochenmann mit Sense und Hippe: den Alten war der Tod ein schöner Jüngling, ein geflügelter Genius. Und so muss er, gleich so manchen anderen italienischen Opernkomponisten, auch Giuseppe Verdi erschienen sein.
Vergleicht man die Sterbeszenen in „Traviata“ und „Aida“ und zuletzt das Requiem, das den starren Ernst der Totenmesse in wehmütige Heiterkeit auflöst, mit seinen unsterblichen Melodien Blumen auf die Gräber der teuren Toten streut, letztes Gericht und Auferstehungssehnsucht in einen glanzvollen Opernakt zusammen gefasst. Wiederholt wurde sein Requiem in Opernhäuser aufgeführt.
Verdis Requiem behauptet seinen Platz neben den Totenmessen von Mozart und Brahms, ist jedoch dem Requiem von Berlioz durch seine überströmende Melodien Fülle überlegen. Mit dem Franzosen gemein hat Verdi die Theatralik der „Tuba mirum“. Da meint man „Aida“ Fanfaren zu hören. In der Tat fällt die Komposition des Requiems in die „Aida“-Zeit.
Als Rossini starb, schlug Verdi unter dem Eindruck der Todesnachricht seinem Verleger vor, Petrella, Cagnoni, Bazzuri, Pedrotti und andere, die er für die bedeutendsten italienischen Komponisten hielt, sollten gemeinsam mit ihm ein Requiem schreiben. Er selbst behielt sich das „Libera me“ vor und hatte es auch bald beendet. Diesen Teil verwendete er in der Trauermesse, die er einige Jahre später dem Andenken seines berühmten Freundes Alessandro Manzoni widmete. Die wundervollen melodischen Einfälle zu den Worten „Et lux perpetua“ und „Requiem aeternam“ sind sinngemäß in den Introitus herüber genommen, erscheinen hier aber nur im Orchester. Ist das eine Thema mit dramatischer Spannung geladen, so senkt sich das andere, das Liebesmotiv Othellos vorwegnehmend, wie milder Himmelstrost herab. Und wer könnte sich dem Zauber des „Lux aeterna“ entziehen, in welches pianissimo die echten Verdi Posaunen mitklingen!
Das Kyrie ist reich an wechselnden Stimmungen. Die kirchliche Wendung des Beginns wird nicht aufrechterhalten. Beschwingtes und Leidenschaftliches verklingt schließlich in traumhafter Schönheit. Das „Quid sum miser“, „Rex tremendae“, „Recordare“ bis zum „Consulatis“ ist trotz äußerlicher Trennung als ein einheitliches Ganzes zu betrachten. Zu der Mystik und dichterischen Zartheit des ersten Satzes bildet dieser zweite ein mit ungeheuren dramatischen Spannungen geladenes Gegenstück, das von dem immer wiederkehrenden Schreckensruf „Dies irae“ beherrscht wird. Schrille Angstschreie in Chor und Orchester gellen auf: Sturm, Donner, Weltuntergang. Da plötzlich ein Halt auf C-Moll: tiefe Stille. Es ist, als horchte alle Kreatur auf, erwarte bebenden Herzens die Posaune des letzten Gerichtes. Und die Posaune erschallt. Erst leise, wie aus weiter, weiter Ferne, dann mächtig anschwellend, von allen Himmelsrichtungen ein Echo findend. Auch dieses bis zu rasender Klangstärke gesteigerte Fortissimo bricht plötzlich ab. Dumpf setzen die Bässe mit ihrem „Mors stupebit“ ein, das folgende „Quid sum nuser“ ist ein Lieder artiges Terzett der Solostimmen, denen sich eine Klarinette zugesellt. Im „Rex tremendae“ hat Verdi die Gnaden flehende Menschheit pianissimo der allgewaltigen Majestät des höchsten Richters fortissimo wie in einem musikalisch-dynamischen Bilde gegenüber gestellt. Der Schlussteil, das „Lacrymosa“, bringt dann einen wundervollen Aufbau und mit seiner trostreichen Melodie die Lösung.
Über das Offertorium „Domine Jesu“ mit seinem einprägsamen, zwischen As- und A-Dur modulierenden Hauptthema gelangen wir zum vierten Teil, dem auch in kontrapunktischer Hinsicht meisterlich gefügten „Sanctus“. Es ist eine Doppelfuge, die Selbständigkeit der acht Stimmen ist bemerkenswert. Im weiteren Verlauf setzt Choral das „Pleni sunt coeli“ ein, der zweite Chor antwortet mit „Hosianna“. Das „Agnus Dei“ beginnt mit einer breiten Melodie des Solosopranes, die merkwürdigerweise vom Alt in der Oktave mitgesungen wird. Es entsteht dadurch eine durchaus mystisch-romantische Stimmung. Das Thema wird dadurch auch vom Chor und Orchester aufgenommen. Der sechste Satz „Lux aeterna“ ist wieder erfüllt von dramatischen Gegensätzen. Dem dumpfen Flehen um die ewige Ruhe ist die in ihren fremdartig schillernden Klangfarben und feierlichen Harmonien ganz erdenfern wirkende Bitte „Das ewige Licht leuchte ihnen“ gegenüber gestellt. Der letzte Satz ist in seiner ungewöhnlichen Ausdehnung noch reicher an überraschenden Einfällen. Er beginnt mit einem psalmodierenden Gesang des Solosoprans, der nach Art der Responsorien vom Chor beantwortet wird. Besonders sei auf das brausende Getöse im Orchester bei der Stelle „Dum veneris judicare“ hingewiesen. Mit Reminiszenzen aus Introitus und „Dies irae“ und einer kraftvollen Fuge schließt der Satz das unvergleichliche Werk ab.
Die erste Aufführung des Requiems fand am 22. Mai 1874, ein Jahr nach dem Tod Alessandro Manzonis in der St. Markuskirche zu Mailand statt Sie wurde dann in der Skalatheater des öfteren wiederholt. Am 11. Juni 1875 kam Verdi nach Wien, um hier das Requiem im Operntheater anlässlich der ersten Aufführung zu dirigieren. Seither haben die Menschen nicht aufgehört, sich an der schönen Sinnlichkeit, an der überwältigenden Klang- und Melodienfülle des Werkes zu erbauen und zu erheben. Dass am Tag des jüngsten Gerichtes eine Oper aufgeführt wird, ist längst kein Vorwurf gegen Verdi mehr.
QUELLE: Radio Wien, 20. November1925, Österreichische Nationalbibliothek ANNO
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