Ein Rebell, der zum Dichter wurde #
Die Reither Galerie Schmidt widmet ihre heurige Ausstellung zum Europäischen Forum im benachbarten Alpbach Günter Brus. Gezeigt wird ein Querschnitt durch das vielschichtige Werk eines Künstlers, der sich vom Staatsfeind zum gefeierten Staatskünstler gewandelt hat.#
Mit freundlicher Genehmigung übernommen aus: DIE FURCHE (25. August 2011)
Von
Edith Schlocker
Allsommerlich, wenn sich im kleinen Tiroler Bergdorf Alpbach die Eliten aus Wissenschaft, Politik und Wirtschaft aus aller Welt im Rahmen des Europäischen Forum Alpbach zum kritischen Diskurs treffen, beginnt auch in der Galerie von Gottfried Schmidt im benachbarten Reith der Höhepunkt des Ausstellungsjahres. Indem – heuer bereits zum 16. Mal – jeweils eine der zentralen Positionen zeitgenössischen Kunstschaffens aus Österreich in einer repräsentativen Personale vorgestellt wird. Nach Arnulf Rainer im vergangenen und Hermann Nitsch im Jahr davor ist die Wahl diesmal auf Günter Brus gefallen, einen Künstler, den auf ganz unterschiedliche Weise mit seinen Vorgängern sehr viel verbindet.
Schon der Titel der Schau „Stillstandreise“ macht klar, dass es Brus in seinem Tun um ein komplexes Eintauchen in die Untiefen des menschlichen Seins geht: in der Form von „Bildgedichten“, die der 73-jährige Steirer bevorzugt in grafischen Zyklen ausbreitet. Eine ganze Reihe von diesen aus sämtlichen Phasen seines künstlerischen Werks, darunter solche, die noch nie in einer Ausstellung zu sehen waren, hat Brus nach Reith mitgebracht. Um auf diese Weise schön mit einem Werk bekanntzumachen, das sich in einem halben Jahrhundert wie kaum ein anderes gewandelt hat.
In zwei Hälften geteilt#
„Ich habe nichts anderes vorgehabt als berühmt zu werden“, verkündete der Mittzwanziger Günter Brus vollmundig, nachdem er von Kopf bis Fuß ganz mit weißer Farbe bemalt und durch einen schwarzen Strich senkrecht virtuell in zwei Hälften geteilt durch die Wiener Innenstadt spaziert war. Mitte der Sechzigerjahre erfüllte man mit Aktionen dieser Art noch den Tatbestand der Störung öffentlicher Ordnung, wofür man entweder im Gefängnis oder im Irrenhaus landete. Brus kam mit einer Strafe von 80 Schilling da noch relativ glimpflich davon – und mit dem Bewusstsein Kunstgeschichte geschrieben zu haben. Eine Fotodokumentation dieses legendären „Wiener Spaziergangs“ ist in der Ausstellung in der Reither Galerie Schmidt genauso zu sehen wie die Mappe von Lithografien „Vienna Action“ aus dem Jahr 1964. Sie zeigen ihn in autoaggressiven Posen mit einem Messer, einem Beil, einer Schere.
Gemeinsam mit Otto Mühl, Hermann Nitsch und Rudolf Schwarzkogler träumte Günter Brus in diesen Jahren von einer Überwindung des traditionellen Kunstbegriffs bzw. dem Brechen bürgerlicher Tabus. Am unmittelbarsten gelang dies, indem sie als „Wiener Aktionisten“ den eigenen Körper zum Medium ihrer Kunst machten. Um 1968 mit ihrer Aktion an der Wiener Universität an die Grenzen des gesellschaftlich Tolerierbaren zu stoßen, indem der völlig nackte Brus auf dem Pult eines vollen Hörsaales seinen Darm entleerte, die Fäkalien auf seinem Körper verschmierte und masturbierend die Bundeshymne sang. Die Folge war eine Verurteilung zu sechs Monaten Haft wegen „Verunglimpfung der österreichischen Symbole“, dessen Exekution sich Brus durch ein mehrjähriges Exil in West-Berlin entzog.
Die 1970 aufgelegte – ebenfalls in Reith zu sehende – Mappe „Zerreißprobe“ gibt anhand von zwölf großformatigen Fotografien eine Ahnung von der Drastik dieses Aktionismus, in der es zu physisch grenzgängerischen Selbstverletzungen kommt, zur Überschreitung sämtlicher ethischer und gesellschaftlicher Barrieren. Diese Mappe ist allerdings bereits als Abgesang auf den Wiener Aktionismus zu verstehen, entstanden in Berlin, wo Brus auch die „Schastrommel“ als „Organ der österreichischen Exilregierung“ in 16 schrägen Variationen über ein plakatives Thema herausgibt. Der ursprünglich vom abstrakten Expressionismus herkommende Brus muss nun aber auch sein Scheitern als Avantgardist erkennen, um sich mehr und mehr wieder zum Maler, zum Erfinder bunter Bildgeschichten zu wandeln, die mit den Jahren immer poetischer, zunehmend surrealer werden.
In der zeichnenden bzw. malenden Flucht in die Fantasie findet Brus das ideale Ventil, um seine Aggressionen und Rebellionen auf gesellschaftlich legale Art und Weise auszuleben. Was dem einst meist gehassten Mann Österreichs 1996 sogar den Großen Österreichischen Staatspreis für Bildende Kunst, die Teilnahme bei den Kasseler documenten 1972, 1977 und 1982 sowie Ausstellungen in den wichtigsten Museen und Sammlungen der Welt einbringen sollte – und ihn im Ranking der bedeutendsten zeitgenössischen Künstler Österreichs nach Maria Lassnig und Franz West zur hochbezahlten Nummer drei macht.
Ein manischer Arbeiter#
Der Großteil der Personale in der Galerie Schmidt ist dem Bilddichter Günter Brus gewidmet, vielteiligen radierten oder lithografierten Mappenwerken genauso wie wunderschönen gezeichneten Einzelblättern. Der seit vielen Jahren in Graz lebende Künstler ist ein manischer Arbeiter, sein Werk zählt Zehntausende von Blättern, in denen Gezeichnetes, Gemaltes und Geschriebenes zu einer fabelhaften Einheit verfilzen. Inhaltlich genauso wie formal, indem das, was mit Worten oder Zeichen nicht gesagt werden kann, zur vieldeutigen Metapher wird. Da steht etwa „Der Geist ist eine Skulptur aus Atem und Stillstand der Sinne“ in der schönen Schrift von Brus auf einem dieser Blätter, wird zum Teil einer komplexen Bildfi ndung, deren konkrete Deutung offen bleibt. Die ewige Frage nach dem eigenen Ich, nach dem Woher-komm-ich/Wohin-geh-ich taucht immer wieder auf, formal pastellig poetisch umhüllt oder auch in aggressivem Schwarzweiß auf das Blatt geschrien. Wie Bilder gewordene Träume muten die meisten dieser gezeichneten Gedichte an, wenn sich die Wirklichkeiten vermischen, die scheinbaren Wahrheiten unwahr werden, sich Ironie mit skurrilem Galgenhumor paart.