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Die Liebe zu den Dingen #

Er steht bis heute im Schatten des in jeder Hinsicht spektakuläreren Pablo Picasso – zu Unrecht. Zum 50. Todestag von Georges Braque. #


Mit freundlicher Genehmigung übernommen aus: DIE FURCHE (Donnerstag, 29. August 2013).

Von

Johanna Schwanberg


Georges Braque
Georges Braque. Keine großen Skandale, keine wechselnden Modelle, keine Gefängnisaufenthalte. Stattdessen die Beziehung zu Marcelle Lapré, mit der er bis zum Tod kinderlos verheiratet war: der Maler Georges Braque (* 13. Mai 1882; † 31. Aug. 1963), einer der Begründer des Kubismus.
Foto: © IMAGNO / Franz Hubmann

Graubraun dominiert den Bildraum. Dazwischen schwarze Linien und weiße Flecken. Alles scheint eckig zu sein und zu flimmern. So als würde man die Welt durch ein Prisma betrachten. Ein abstraktes Gemälde? Je länger man hinschaut, desto mehr lässt sich in dem Gewirr aus Kuben, Dreiecken und Linien erkennen. Im unteren Bildteil werden plötzlich der Korpus, der Steg, die Wirbel und die Saiten einer Geige sichtbar. Links darüber lässt sich noch ein Gegenstand ausmachen: Es ist ein schlichter Krug, der hier als Dialogpartner des Musikinstrumentes auftaucht. Aber wie stehen die beiden Gegenstände zueinander in Beziehung? Sieht man sie von vorne oder von der Seite? Oder von allen Seiten gleichzeitig?

Der Kubismus war eine Revolution in der Kunst. Denn diese neue Kunstrichtung der 1910er Jahre, deren Name sich vom Wort Kubus (Würfel) ableitet, bricht radikal mit der jahrhundertealten Vorstellung, dass Kunst die Wirklichkeit abbilden muss. Vielmehr schafft sie die Wirklichkeit neu – mit den Mitteln der Kunst, mit Formen und Farben.

Ein kubistisches Gemälde wie Braques soeben beschriebenes Stillleben fordert seine Betrachterinnen und Betrachter heraus. Es erinnert daran, genau hinzusehen. Sich auf etwas einzulassen, das auf den ersten Blick verwirrend und rätselhaft erscheint. Georges Braque hat in der Verunsicherung aller Gewissheiten die eigentliche Kraft von Kunst gesehen. So meinte er: „Die Kunst ist bestimmt, zu beunruhigen: die Wissenschaft macht sicher.“

Hobbyboxer, stets elegant gekleidet #

Georges Braque, der am 31. August vor 50 Jahren starb, lebte im Frankreich der Avantgardeszene, im Umfeld der Künstler Picasso, Matisse und des Galeristen Kahnweiler. Im Vergleich zu vielen seiner Künstlerkollegen erzählt sich sein Lebenslauf sympathisch unspektakulär. Keine großen Skandale, keine wechselnden Modelle, keine Gefängnisaufenthalte. Stattdessen die Beziehung zu Marcelle Lapré, mit der er bis zum Tod kinderlos verheiratet war.

Der Hobbyboxer, der stets durch elegante Kleidung auffiel, hinterließ Notizen zu seinem Kunstbegriff, nicht zu seinem Leben. Dramatisch waren vor allem der Fronteinsatz im Ersten Weltkrieg und die schwere Kopfverwundung im Jahr 1915 mit langer Genesungszeit.

Georges Braque, der am 13. Mai 1882 geboren wurde, war bereits in der Jugend von Farben und Pinseln umgeben. Seine Familie führte einen Betrieb für Dekorationsmalerei, sein Vater malte in der Freizeit impressionistische Landschaften. Als Schulabbrecher absolvierte der junge Braque eine Lehre als Dekorationsmaler, zunächst im elterlichen Betrieb, später bei einem befreundeten Malermeister. Bald wandte sich Braque den freien Künsten zu. Aber seine Kunst wäre undenkbar ohne das, was er als Dekorationsmaler an Techniken gelernt hatte, etwa die Imitation von Holzmaserungen. Braque hat alles, was er erlebt hat, ob negativ oder positiv, konstruktiv in seine persönliche wie künstlerische Entwicklung einbezogen. Das überzeugt. Genauso wie sein Wissen um die Begrenztheit der eigenen Möglichkeiten. So meinte er: „Ich tue nicht, wie ich will, sondern wie ich kann.“

Wie innovativ Braques künstlerischer Ansatz war, zeigen seine frühen Blätter – etwa eine Kohlezeichnung aus dem Jahr 1912: Neben gezeichneten Weintrauben und Wortfragmenten finden sich ins Bild geklebt Stücke einer echten Tapete. Aus heutiger Sicht wenig spektakulär. Aber was für eine Sensation war das vor 100 Jahren! Während die Maler vergangener Jahrhunderte versuchten, Gegenstände täuschend echt nachIn zuahmen, marschierte der junge Künstler Georges Braque einfach in ein Geschäft in Avignon, um eine Rolle braunes Holzmaserpapier zu kaufen. Er klebte Teile dieses Materials auf ein Blatt, auf das er bereits gezeichnet und geschrieben hatte. Er schuf so unter dem Titel „Obstschale und Glas“ sein erstes „Papier collé“.

Geklebtes Papier #

Später sollten Braque, Picasso und dann auch Juan Gris immer mehr Materialien aus dem realen Leben in die Kunst hereinholen: Zeitungsausschnitte, Stücke einer Zigarettenschachtel, Kartons. Braque hatte die „Papiers collés“ im inspirierenden Konkurrenzkampf mit seinem Künstlerfreund Pablo Picasso erfunden. Als „zwei zusammen angeseilte Bergsteiger“ hat Braque die Beziehung zwischen den beiden Künstlern in diesen Jahren charakterisiert. Picasso berichtete, dass sich die beiden Freunde allabendlich trafen, um einander ihre Werke zu zeigen. Dazu der spanische Maler: „Jeder musste sehen, was der andere tagsüber gemacht hatte.“ Die enge Bindung erstreckte sich nur über wenige Jahre und endete spätestens, als Braque während des Ersten Weltkrieges als Soldat eingezogen wurde und dort eine schwere Kriegsverletzung davon trug. Picasso meinte rückblickend – wohl im übertragenen Sinne: „Ich habe ihn nie mehr gesehen.“

Werk von Georges Braque, Foto: © K.K.
Werk von Georges Braque
Foto: © K.K.

Viel wurde über diese unterschiedlichen Künstlerpersönlichkeiten und deren Wettrennen in Bezug auf die Erfindung des Kubismus gesagt. Spannender als die Frage, wer was früher erfunden hat, ist die Beobachtung, dass es offenbar der lebendige Austausch zwischen den beiden war, der dazu geführt hat, etwas gänzlich Neues zu wagen. In der breiten Öffentlichkeit steht Georges Braque auch heute noch im Schatten von Pablo Picasso und anderen extrovertierten Stars der Moderne. Das hängt mit seiner intellektuellen Zugangsweise, aber auch mit den alltäglichen Bildsujets zusammen „Es ist das Detail, das uns unterhält, lebendig macht“, meinte der Künstler einmal. Aus heutiger Perspektive ist es gerade das Zurückhaltende, das an diesem Avantgarde- Künstler so begeistert. Vor allem beeindruckt die Konsequenz, mit der Georges Braque seinen Weg verfolgt hat. Jahrzehntelang hat er seine Malerei unaufhörlich weiterentwickelt. Zugleich sind es wenige Themen und Motive, die er immer wieder aufs Neue studiert und malerisch variiert. Früchte, Obstkörbe, Zeitungen, Gläser, Flaschen reichen Braque, um eine vielschichtige Bildwelt zu entwickeln, die mitunter mehr über das Leben aussagt als große Erzählungen.

Georges Braques Kunst lehrt einen neben der Wertschätzung des Einfachen auch, dass es im Leben nicht um isolierte Dinge oder Ereignisse geht. Vielmehr zählt das, was sich an Verhältnissen zwischen den Dingen und natürlich auch zwischen den Menschen ereignet. Die Zwetschken, die Birnen, die Nüsse und das Messer, die Braque auf einem seiner Stillleben aus dem Jahr 1926 gemalt hat, sind für sich genommen wenig aufregend. Aber wie sich das Violett der Zwetschken zu dem Grün der Birnen und dem Ocker des Messers verhält, das ist ungemein spannend. Dazu Georges Braque: „Die Gegenstände gibt es nicht! Was zählt sind die Beziehungen. Sie sind unendlich.“

Loslösung von der Erde #

Kennt man Braques frühe kubistische Stillleben, so verwundern die ruhige einfache Formensprache und die poetischen Motive seines Spätwerks. Auf einem Ölgemälde mit dem Titel „Der weiße und der schwarze Vogel“ aus dem Jahr 1960 ist der Bildraum geteilt. Links eine rosafarbene Fläche, rechts eine gelbe. In der Mitte ein grauer Zwischenraum. Vor diesen Farbflächen sind schemenhaft zwei Vögel zu erkennen. Sie fliegen aufeinander zu, berühren einander aber nicht.

Unzählige Varianten von Vogelflügen hat der Künstler im Jahrzehnt vor seinem Tod gemalt. Wie kam Braque zu diesem Motiv, das als Inbegriff des Vergeistigten, auch als Sinnbild der Bewegung gilt? Schließlich hatte sich der Maler Jahrzehnte nahezu ausschließlich auf Innenräume, auf unbewegliche Gegenstände – auf die „natura morta“ konzentriert. Georges Braque erklärte die Entdeckung dieses Motivs mit dem Versuch, sich von der Begrenztheit des menschlichen Bewegungsraums zu befreien: „Ich zeichne nur noch Vögel, nachdem mich meine Stillleben vielleicht zu lange auf der Erde festgehalten haben.“

Braques Vogelflug-Bilder spiegeln die Beschäftigung des Künstlers mit den immateriellen Seiten des Daseins gegen Ende seines Lebens. Nicht zufällig hat der Maler in seinem Spätwerk auch für Kirchen gearbeitet. So schuf er für die romanische Kirche seines Lebensortes Varengeville in der Normandie ein blaues Glasfenster mit dem Stammbaum Christi; später folgten noch andere Kapellenfenster.

Der Vogel ist bei Braque ein Symbol des Künstlerischen, ja des Schöpferischen überhaupt. So meinte er: „Es geht über das Sagbare hinaus. Es ist die Darlegung eines unbestimmbaren Gefühls.“ Und weiter: „Der Vogel ist die Summe meiner Kunst. Er ist mehr als nur Malen.“

DIE FURCHE, Donnerstag, 29. August 2013


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