Kraft, Tempo und Dynamik#
Der Wiener Zeichner und Plakatgraphiker Theo Matejko war ein hochbegabter Gestalter des Zeitgeistes, der seine Gebrauchskunst "im Dienste sämtlicher Parteien" entfaltete.#
Von der Wiener Zeitung (Sa./So., 12./13. Juli 2014) freundlicherweise zur Verfügung gestellt.
Von
Oliver Bentz
Theo Matejko - fast niemand kennt diesen Namen heute mehr. Für kurze Zeit jedoch, Anfang der zwanziger Jahre des letzten Jahrhunderts, war er in Wien in aller Munde. Denn der junge Zeichner sollte damals mit seinen Plakaten die Aufmerksamkeit der Wiener Passanten fesseln und in der Stadt zum Gesprächsthema werden. So schrieb die deutsche Fachzeitschrift "Das Plakat" 1920 begeistert über den raschen Aufstieg des vielbeachteten Werbegraphikers: "Plötzlich sah man an allen Anschlagwänden von Wien Plakate politischen Inhalts, im Dienste sämtlicher Parteien, Kinoplakate, Geschäftsplakate, alle von einer schwungvollen Leichtigkeit, Treffsicherheit - gezeichnet: Theo Matejko. Sie bildeten das Gespräch von Wien. "
Zunächst jedoch hatte es gar nicht nach der großen Karriere ausgesehen. Im Ersten Weltkrieg an der Ostfront beargwöhnte ein Vorgesetzter die Zeichenleidenschaft des jungen Soldaten und hätte ihn am liebsten vor einem Kriegsgericht gesehen. Erst als man im Regimentsstab unter den Habseligkeiten eines gerade gefallenen Oberleutnants ein Porträt aus Matejkos Hand fand, wurden die Offiziere auf den jungen Künstler aufmerksam und ließen ihn fortan offiziell als Kriegszeichner arbeiten. In der Unbekümmertheit seiner Jugend, so schilderte es Matejko später, wollte er den Krieg im Gegensatz zu vielen seiner erfahrenen Kollegen, nicht als "Stilleben" aus der Etappe darstellen; er arbeitete an vorderster Front, "im Angelpunkt dieses ungeheuren unbegreiflichen Geschehens".
Seine Bilder vom Kriegsschauplatz an der Ostfront veröffentlichte er bald in der renommierten Leipziger "Illustrirten Zeitung" (damals noch ohne "e" geschrieben, Anm.), die ihn sogleich zu ihrem festen Mitarbeiter machte. Otto Sonne, der Chefredakteur des Blattes, sollte zum Förderer des jungen Mannes werden. Seine Fürsprache beim Direktor des K. und K. Kriegsarchivs ermöglichte es, dass Matejko 1917 als Pressezeichner in die "Kunstgruppe des Kriegspressequartiers" aufgenommen wurde.
Nachdem der Erste Weltkrieg zu Ende war, ließ sich Matejko wieder in seiner Geburtsstadt Wien nieder. Da er auch dort - wie er im 1938 erschienenen "Theo Matejko Buch" schrieb - den Zeichenstift, den er "zuerst im Schützengraben erprobte", nicht "wieder aus der Hand legte", kam es zum steilen Aufstieg als graphischer Künstler.
"Fragmentarisch muss der Versuch bleiben, eine Biographie des Zeichners zu schreiben", sagte Otto Weber, der als Erster einige der verwehten Spuren des Künstlers in seinem Buch "Theo Matejko. Das Buch zum 100. Geburtstag" zusammenführte, Fest steht, dass der Künstler unter dem Namen Theo Matejka am 18. Jänner 1893 als Sohn aus Böhmen zugewanderter Eltern in Wien geboren wurde. Kurz vor dem Ersten Weltkrieg begann er eine Ausbildung zum Kunstmaler und begann, als Werbegraphiker zu arbeiten. Matejkos frühestes nachweisbares Bild befindet sich heute im Heeresgeschichtlichen Museum.
Was war nun das Besondere an Matejkos Plakatentwürfen für Presse, Politik, Theater und Film? Die Zeitschrift "Das Plakat" lobte: "Die ungeheure Dynamik und Bewegung, die in ihnen zum Ausdruck kam, riss das Auge des Vorübergehenden an sich und ließ es nicht wieder los, bevor es nicht das ganze Plakat erfasst hatte."
In dieser Manier schuf der Künstler unter anderem Werbung für die österreichische Sozialdemokratie, die "Bürgerlich Demokratische Partei", für die Zeitungen "Wiener Mittagspost" "Wiener Woche", die neugegründete Zeitschrift "Der Götz von Berlichingen" sowie Plakate für zahlreiche Filme, wie etwa jenes für "Madame Dubarry" mit Pola Ne-gri, das die Zensur zu aufreizend fand und deshalb verbot.
Von Wien nach Berlin#
1920 wurde es Matejko in Wien zu eng und er übersiedelte nach Berlin, wo seine Karriere als Pressezeichner für die Blätter des Ullstein Verlages begann. Könnern wie ihm eröffnete sich hier ein reiches Betätigungsfeld, begann doch gerade die Entwicklung der Reichshauptstadt zur Metropole. Die Presse der Stadt wirkte in dieser Zeit wie ein gewaltiger Magnet, der gierig Talente anzog. Da die technischen Möglichkeiten der fotografischen Reproduktion noch sehr beschränkt waren, die bildlichen Elemente mit ihrer auflockernden und stimulierenden Wirkung aber stark in die Blätter drängten, brauchten die über 100 Tages- und Wochenzeitungen sowie die zahlreichen Illustrierten ein Heer von Illustratoren und Zeichnern. Deren Graphik entwickelte sich zu einer typischen Kunstform der zwanziger Jahre.
Matejko wurde bald zu einem Aushängeschild der berühmten "Berliner Illustrirten Zeitung". Er zeichnete das ausschweifende Berliner Gesellschaftsleben der Kriegsgewinnler oder der blühenden Halb- und Unterwelt, in der sich der Zeichner und seine Frau, das Ufa-Sternchen Erika Fiedler, bestens auskannten. Ebenso zeigte er die Lebenssituation der verelendeten Massen. Mit der Figur des "Raffke" schuf Matejko den hervorstechenden Charakter jener Zeit. In Preisausschreiben konnten die Leser diesem fetten, neureichen Kriegsgewinnler, den Matejko in verschiedenen Posen zeichnete, typische Worte in den Mund legen. 1923 wurde über diese Kunstfigur sogar ein Film gedreht.
Es war weniger das statische Porträt, das Matejko lockte, als vielmehr das "Geschehen", die dynamischen Bewegungen von Sportlern und die Kraftentfaltung der Technik, die er in Zeichnungen voller "Aktion" aufs Papier brachte. So ließ er die Zeitungsleser durch seine Bilderserien teilhaben an der großen Show der Sechstage-Radrennen im Berliner Sportpalast, die in den 1920er Jahren die Sensation des Berliner Nachtlebens waren.
An der legendären "Mille Mig- lia" in Italien und anderen Autorennen, deren Tempo er in seinen Zeichnungen glaubhaft vermitteln konnte, nahm Matejko in den 1930er Jahren mehrmals als Fahrer teil, um in Wort und Bild von seinen Erfahrungen zu berichten. "Kraft und Bewegung", die lebendigen Symbole der zwanziger Jahre, fanden in dieser Sportart, so Matejko, ihren sichtbaren Ausdruck: "Das Auto, ein lebloses Ding, erwacht, wenn es in Bewegung gesetzt wird, zum vollen Leben, es wird sozusagen zum Lebewesen, dessen Dynamik vor uns noch keine Generation geschaut hat." Hearst oder Ullstein?
Nicht zuletzt seiner gezeichneten Reportagen wegen kaufte man die "Berliner Illustrirte", was auch dem berühmten amerikanischen "Zeitungskönig" William Randolph Hearst nicht entging, der Matejko in die USA verpflichten wollte. Ullstein jedoch hielt bei jedem Angebot des Unternehmers, der in den USA über zwanzig Zeitungen verlegte, dagegen. Als Plakatgestalter war Matejko weiterhin erfolgreich. Er entwarf Werbung für Aral, Continental-Gummiwaren oder Reemtsma-Zigaretten und fertigte zahlreiche Poster für erfolgreiche Filme, etwa für den Klassiker "Dr. Mabuse" oder den Streifen "Die Zehn Gebote", für den er eine Aufsehen erregende Plakatfolge von 40 Motiven schuf, die aufeinanderfolgend in Berliner U-Bahn-Tunneln aufgehängt wurden.
Zum Verhalten Matejkos nach der Machtergreifung Hitlers gibt es widersprüchliche Aussagen. Während ihn die einen als Propagandisten der Nazis und des folgenden Krieges sehen, geben andere eine differenzierte Beschreibung seiner Stellung in der Zeit des Dritten Reiches. Fest steht, dass er 1933 für kurze Zeit wegen antinationalsozialistischer Betätigung verhaftet worden war, und dann weiter für Ullstein arbeitete. 1935 führte ihn eine Reise nach New York. Er zeichnete für das deutsche Publikum das Vergnügungsviertel Coney Island, er zeigte den Einfallsreichtum der New Yorker, sich in den berüchtigten sommerlichen "Hundstagen" einzurichten, und er stieg hinab in die Unterwelt der Gangstersyndikate, deren Straßenkämpfe er ebenso zeichnete wie den Versuch des "FBI", in der im Verbrechen versunkenen Stadt wieder Ordnung zu schaffen. Mitte der dreißiger Jahre, so berichtete später der Zeichnerkollege Wilhelm M. Busch, habe sich Matejko "eines Sittlichkeitsvergehens schuldig (gemacht), eines Deliktes, das heute wahrscheinlich als solches gar nicht angesehen würde".
NS-Propaganda#
Nach einiger Zeit im Gefängnis, mit der das Ende seiner Tätigkeit für Ullstein einherging, landete Matejko bei der vom Reichskriegsministerium herausgegebenen Zeitschrift "Die Wehrmacht". In dieser Propagandazeitschrift wirkte er im Sinne der Nationalsozialisten mit und zeigte beispielsweise die neue aufgerüstete Wehrmacht im Manöver oder berichtete über den Einsatz der Le-gion Condor in Spanien. Nach Beginn des Krieges arbeitete er als Kriegsberichterstatter und lieferte, was man wohl von ihm erwartete: perfekt gemalte propagandistische Darstellungen "technischer Kriegsfaszination" und Bilder des "sauberen" Krieges.
Seinen "Angsttraum" der durch Luftangriffe "in einem Zukunftskrieg" zertrümmerten deutschen Hauptstadt hatte er schon 1933 mit Motiven des halb eingestürzten Brandenburger Tores, zersprengter Straßenzüge und voller Luftschutzkeller "in Bildern als Warnung ahnungsloser Menschen" hinausgeschrien. Als diese Bilder 1939 auch in der amerikanischen Zeitschrift "Life" veröffentlicht wurden, gab Matejko - der von den Nazis dafür wegen pazifistischer Umtriebe zwischenzeitlich erneut in Haft genommen worden war - im Begleittext noch der Hoffnung Ausdruck, dass dieser gezeichnete Albtraum nie Wirklichkeit werden solle.
Nachdem er jedoch zur Realität geworden war, gelang es Matejko, zusammen mit dem Autorennfahrer Hans Stuck, kurz vor Kriegsende aus dem in Ruinen liegenden Berlin zu entkommen. Seine Wohnung jedoch, sein großzügiges Atelier und auch ein Großteil seiner Werke, wurden zerstört. Der Zeichner und seine Frau lebten nach Kriegsende in Süddeutschland und in St. Anton am Arlberg. Am 9. September 1946 starb Theo Matejko an einem Gehirnschlag.
Oliver Bentz, geboren 1969, lebt in Speyer (D) und arbeitet als Germanist, Kulturpublizist und Journalist.
Literatur:
- Theo Matejko: Das Theo Matejko Buch. Kommodore-Verlag, Berlin 1939.
- Otto Weber: Der Pressezeichner Theo Matejko 1893-1946. Das Buch zum 100. Geburtstag. Verein für Heimatgeschichte Ober-Ramstadt 1993.