Im Windschatten des großen Franz#
Neben seiner Tätigkeit als Herausgeber der Werke von Franz Kafka verblasste das Werk des Schriftstellers Max Brod, der vor 130 Jahren, am 27. Mai 1884, geboren wurde. Nun werden seine Bücher neu aufgelegt.#
Mit freundlicher Genehmigung übernommen aus der Wiener Zeitung (Sa./So., 24./25. Mai 2014)
Von
Gerhard Strejcek
Max Brod war knapp ein Jahr jünger als sein verehrter Freund Kafka, mit dem er in Prag aufwuchs, doch er überlebte den begnadeten Autor um 34 Jahre. Brod emigrierte 1939 nach Israel, arbeitete als Herausgeber, Publizist und Theaterregisseur und starb (am 20. Dezember 1968) 84-jährig in Tel Aviv.
Obwohl er Kafkas Werk für die Nachwelt rettete, ist Brod wegen seiner Editionsstrategie umstritten. In seinem Wunsch, den fragmentarischen Texten Kafkas den Anschein eines stimmigen Ganzen zu geben, hatte er weit übers Ziel hinausgeschossen. Die Kritische Ausgabe der Kafka-Werke, die seit rund zwei Jahrzehnten bei S. Fischer erscheint, machte die Eingriffe wieder rückgängig und orientierte sich, wenn auch nicht in jedem Detail, an den Manuskripten Kafkas.
Damit verblasste das literarische Erbe Brods zunehmend. Seine eigenen Werke waren bis vor kurzem nur mehr antiquarisch erhältlich, Brod schien als Autor der Vergessenheit anheimgefallen zu sein. Doch das hat sich geändert, seit der Göttinger Wallstein Verlag im Vorjahr begann, Brods Werk wieder aufzulegen. Mittlerweile sind sechs Bücher lieferbar.
Jus-Studium in Prag#
Brods Biografie steht vor allem in den ersten vier Jahrzehnten im Schatten jener Kafkas. Um die Jahrhundertwende studierten Max Brod und Franz Kafka gemeinsam Rechtswissenschaften an der deutschen Ferdinand-Karls-Universität in Prag. Der Studienplan unterschied sich nicht maßgeblich von dem in Wien vorgesehenen Curriculum. Drei kommissionelle Staatsprüfungen und drei Rigorosen waren zu bewältigen, hingegen musste weder eine Dissertation noch eine sonstige wissenschaftliche Arbeit vorgelegt werden, um das Doktorat zu erlangen.
Die Donaumonarchie hatte einen großen Bedarf an Juristen, die in Bezirkshauptmannschaften und -gerichten praktisch einsetzbar waren und die sich nicht in ausufernde akademische Debatten verlieren sollten. Die beiden Jugendfreunde ächzten unter der trockenen Studienliteratur. Man habe sich in der Lernphase "wochenlang buchstäblich von Holzmehl" ernährt, berichtete Kafka, der seine Staatsprüfung aus Finanzwissenschaften und öffentlichem Recht als "lustig, wenn auch nicht sehr kenntnisreich" umschrieb.
Sowohl Brod als auch Kafka stammten aus bürgerlichen, jüdischen Familien und sie studierten Jus vor allem ihren Eltern zuliebe, denen der Aufstieg in die akademische Welt als Höhepunkt der Assimilierung in Prag erschien. Unausgesprochen aber boykottierten beide eine weitere juristische Karriere, um sich der geliebten Schriftstellerei widmen zu können. Nach Abschluss der Rechtspraxis suchte Franz Kafka im Jahr 1906 einen gemütlichen Arbeitsplatz, um weiterhin, zumindest nächtens, "kritzeln" zu können. So geringschätzig bezeichnete er seine hochkreative Tätigkeit, die aus heutiger Sicht Weltliteratur entstehen ließ, wenn auch unter psychischen Qualen.
Kafkas Vater, ein Prager Galanteriewarenhändler, der die Dohle ("kavka" auf Tschechisch) als Markenzeichen nutzte, hätte den Sohn gerne als Rechtsanwalt oder Unternehmer gesehen, dasselbe galt für die Familie Brod. Aber die Söhne hatten, wie gesagt, andere Pläne. Der umtriebige Brod suchte den Kontakt zu den großen deutschen Verlagen in Leipzig, Berlin und Dresden. Kafka wiederum hielt es nicht lange an seinem ersten Arbeitsplatz bei der Assecurazioni Generali, einer heute noch wichtigen Triester Versicherung mit Sitz in allen größeren Städten Europas. Statt an den versprochenen exotischen Plätzen saß Kafka in Prag, musste zwangsweise Italienisch lernen und litt unter dem hektischen Betrieb der auf Lebens-, Feuer- und Sachversicherung spezialisierten k.k. Gesellschaft.
Die vorläufige Rettung bot der halbstaatliche Sektor. Während Kafka sich bei der Arbeiter-Unfall-Versicherung für das Königreich Böhmen bewarb, peilte Max Brod eine Tätigkeit bei der Post an. Statt Freund Max zur Anstellung als provisiorischer Post-Jurist zu gratulieren, griff Kafka zu einer für ihn typischen, ironisch-satirischen Formel. Er bezeichnete den Arbeitgeber des Kollegen, die in allen Teilen der k.u.k. Monarchie einheitlich auftretende, schwarzgelbe Post, als "Amt ohne Ehrgeiz". In der AUVA bemühte sich der Beamte Kafka zwar um die Unfallvorsorge und besprach eifrig Erkenntnisse des k.k. Verwaltungsgerichtshofes, aber wenn es darum ging, widerspenstigen Gewerbetreibenden in Gablonz den Sinn der neuen Beiträge und der Versicherungspflicht zu erklären, geriet auch er an die Grenzen seiner Ambitionen.
Max Brods Leben währte zwar doppelt so lang wie Kafkas Erdendasein von vier Lebensjahrzehnten, aber es ist abgesehen von der Jugend- und Studienzeit weniger intensiv erforscht worden als jenes des berühmteren Freundes. Gewiss waren die Begabungen und Neigungen der beiden recht unterschiedlich verteilt - wenn man bedenkt, wie neuartig, prägnant und verstörend Kafkas Werke, beginnend mit dem "Urteil" aus 1913, sind. Brods Talent konnte hier nicht mithalten, aber in der Selbstdarstellung und beim Verkaufen von Projekten schlug er den Freund um Längen. Brod knüpfte unaufhörlich neue Kontakte, als Marketing-Agent stellte er im Literaturbetrieb früh seinen Mann. Auch als Schriftsteller war er zu Lebzeiten dank seines bemühten Auftretens erfolgreicher als Kafka.
Im Jahr 1916 erschien Kafkas Erzählung "Vor dem Gesetz", die später in den postum erschienenen "Process" (1925) Eingang fand. Brod publizierte im selben dritten Kriegsjahr den biografischen Roman "Tycho Brahes Weg zu Gott". Darin beschreibt er den Lebensweg des dänischen Astronomen, der noch fest im ptolemäischen Weltbild verankert war und ab 1599 am Hof Kaiser Rudolfs II. in Prag wirkte. Brahe hinterließ genaue Aufzeichnungen über den Mars und andere Planeten, sodass sein Nachfolger Kepler darauf aufbauend revolutionäre Erkenntnisse gewinnen konnte. Beide Astronomen waren evangelisch und fanden dennoch am Hof des katholischen Habsburgers Schutz und Hilfe. Mysteriös ist allerdings Brahes früher Tod, nachdem er nur ein Jahr lang gemeinsam mit Kepler in Prag wirkte.
Spirituelle Themen#
Der lesenswerte Roman erwies sich als Erfolg und konnte bis in die 1970er Jahre als Suhrkamp Taschenbuch (Nr. 490) erworben werden, ehe er bis zur Neuaflage 2013 bei Wallstein von den Ladentischen verschwand. Nicht zufällig kommt "Gott" im Titel vor, Brods Werk kreiste immer wieder um spirituelle Themen, als Zionist interessierte ihn auch das Verhältnis der Religionen zueinander. Der Nahe Osten, wo die Muslime vor 1000 Jahren weitaus toleranter gegenüber den Juden verfahren waren als die Christen, bot reiches Anschauungsmaterial dafür. Mehrere der nunmehr wieder erhältlichen Werke sind romanhafte Biografien, meist Judaica verschiedener Genres, aber auch kunstkritische und politische Publikationen sind darunter.
Der von Karl Kraus rüde verhöhnte ("Butter aufs Brod") Besucher des Café Arco und begeisterte Förderer des "kleinen Franz" (Werfel), emigrierte 1939 nach Palästina. Die zurück liegenden Erfahrungen und Erlebnisse im "Prager Kreis" (Brod, Capek, Kafka, Ernst Weiss, Werfel, Urzidil) ließ Brod in ein Buch einfließen. Aus seiner Zeit in Israel sind Vorträge und Übersetzungen überliefert. Mangels einer letztgültigen Biografie sind aber vor allem Erlebnisse im Windschatten des "großen Franz" von Interesse.
Aus Brods Junggesellenzeit sind zahlreiche Dokumente gemeinsamen Wirkens überliefert. Gelegenheit zum Austausch freundschaftlicher Sticheleien gab es in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg genug. Mehrere Reisen führten die Freunde nach Paris (samt Rennbahn- und Bordellbesuch), Zürich sowie nach Brescia (wo moderne Flugzeuge zur Schau standen). Auf einer dieser Reisen via Schweiz nach Italien entstand die allerdings bald aufgegebene Idee eines gemeinsamen, autobiografisch angehauchten Romans.
Falls man nicht gemeinsam reiste, erfüllten Postkarten die Funktion heutiger e-Mails oder SMS-Kanonaden. Das funktionierte fast ebenso rasch wie die Zustellung durch heutige Serviceprovider. Brod hatte auch regen Anteil an Kafkas Beziehungsproblemen. Die Beinahe-Gattin Felice Bauer hatte der Schüchterne etwa im Haus Brod kennen gelernt. Dank Maxens vorauseilender Kuppelei kannte sie Kafkas nicht sehr umfangreiches Werk und interessierte sich, so wie Franz, für Palästina. Brod brachte auch Kafka auf die Idee, Kontakt mit galizischen, ostjüdischen Schauspielern aufzunehmen, die in Prag gastierten.
Kafka war dreimal verlobt, aber nie verheiratet, in seiner letzten Lebensphase, während der Jahre 1923 und 24, sah er Brod nur mehr selten, lebte er doch bis zum Winterende in Berlin, dann kurzfristig in Sanatorien nahe Pernitz, an der Laryngologischen Klinik in Wien und schließlich im Mai und Anfang Juni 1924 am Sterbeort Kierling, das heute zur Gemeinde Klosterneuburg gehört, im heute noch zugänglichen, ehemaligen Sanatorium Hoffmann. Dort starb Kafka am 3. Juni vor neunzig Jahren.
Brod, der in Tel Aviv auch als Theatermanager werkte, machte sich nach dem Zweiten Weltkrieg an die Edition von Kafkas Werk, das er vor der Vernichtung und dem Zugriff der Nazis (alle drei Schwestern Kafkas wurden von NS-Schergen in Vernichtungslagern umgebracht) gerettet hatte.
In Kafka-Biografien taucht er als mäßig begabte, hyperaktive und umtriebige Figur auf, die stets den Kopf voller unausgegorener Projekte hatte. Reiner Stach etwa schildert ihn als Kafkas Agent, als Kafkas Marketingdirektor, Kafkas Pressesprecher, einen kleinen, unscheinbar-bebrillten Beamten, der den langen Schatten Kafkas, den er um fast eine Generation überlebte, für seine eigene Karriere zu nutzen trachtete. Diesen zweifelhaften Ruf verdankt Brod auch den Eingriffen in Kafkas postum brachliegendem Prosawerk.
Übertriebene Vorwürfe#
Vielleicht ging Brod tatsächlich einen Schritt zu weit, indem er aus Kafkas fragmentarischem Werk ein stimmiges Ganzes zu kreieren versuchte, nicht ohne dabei selbst über Gebühr Textpassagen einzufügen. Aber andererseits war Brod sein Leben lang bemüht, dem unterschätzten und unsicheren Kafka als Autor zum Durchbruch zu verhelfen. Seine Motive hiefür konnten gar nicht ausschließlich eigennützig sein, und selbst wenn Brod vermöge Kafkas Talent seine eigenen Defizite überspielen wollte, so bewirkte er im Ergebnis damit auch viel Gutes.
Diejenigen, die Brod heute zu einer Art Unperson stempeln und ihn seiner Editionsstrategie wegen angreifen, handeln somit nicht unähnlich einem Wohnungseigentümer, der die Feuerwehr klagt, weil sie beim Löschen eines verheerenden Brandes die hauseigene Gemäldesammlung leicht beschädigt hat.
Gerhard Strejcek, geb. 1963 in Wien, ist Außerordentlicher Universitätsprofessor am Institut für Staats- und Verwaltungsrecht an der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien.
Information#
Max Brods Werk wird seit 2013 im Göttinger Wallstein Verlag neu aufgelegt; jeder Band ist in Österreich um 30,80 Euro erhältlich.
2014 sind die beiden Brod-Bücher "Stefan Rott oder das Jahr der Entscheidung" und "Über Schönheit häßlicher Bilder. Essays zur Kunst und Ästhetik" erschienen. Im Jahr davor: "Die Frau, nach der man sich sehnt", "Tycho Brahes Weg zu Gott" und "Arnold Beer. Das Schicksal eines Juden".
Literatur zu Kafka/Brod:
- Franz Kafka - Max Brod. Eine Freundschaft. Briefwechsel, hrsg. von Malcolm Pasley. S. Fischer 1989.
- Reiner Stach: Franz Kafka. Die Jahre der Entscheidungen. S. Fischer 2008.
- Saul Friedländer: Franz Kafka. C.H. Beck 2012.