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Gemeinsam einsam in den sozialen Medien#

Das Silicon Valley hat Gemeinschaft versprochen, dabei sind soziale Medien die Ursache für Vereinzelung.#


Von der Wiener Zeitung (28. November 2021) freundlicherweise zur Verfügung gestellt.

Von

Adrian Lobe


Man muss sich den Homo digitalis als unglücklichen Menschen vorstellen..., Foto: https://pixabay.com
Man muss sich den Homo digitalis als unglücklichen Menschen vorstellen...
Foto: https://pixabay.com

Wenn man, wie schon in den vergangenen Lockdowns, nun neuerlich zu Hause in seiner 20-Quadratmeter-Bude sitzt oder vielleicht sogar den Luxus einer geräumigeren Wohnung mit Garten hat, fragt man sich manchmal, wie das jetzt eigentlich ohne die moderne Informationstechnologie wäre. Ohne Skype, ohne Teams, ohne Netflix. So wie im Mittelalter, als die Pest wütete und die erste Quarantäne angeordnet wurde.

Man ist dann doch froh, dass es moderne Informations- und Kommunikationstechnologien wie das Internet gibt. Man kann mit der Großmutter im Heim, die in Isolation lebt, ein Videotelefonat führen, Sprachnachrichten an Freunde schicken, die man wegen der Ausgangsbeschränkungen nicht sehen kann. Oder einfach nur eine Serie nach der anderen schauen. Das Internet macht das Leben im Lockdown irgendwie erträglicher.

Doch nachdem die Kontaktbeschränkungen zuletzt aufgehoben worden waren und die Geschäfte und Kulturbetriebe wieder geöffnet hatten, blieb bei vielen Menschen, vor allem bei Alleinstehenden, das schale Gefühl von Einsamkeit bestehen - trotz oder vielleicht gerade, weil das "normale" Leben weiterging. Sollte die segensreiche Technik nicht alles besser machen?

"Fear of missing out"#

Das Silicon Valley hat uns die große Gemeinschaft versprochen. Im globalen elektronischen Dorf, so die Erzählung, muss sich niemand allein fühlen, die Liebsten sind nur paar Meter auf der Datenautobahn entfernt. Das Smartphone, riefen die Tech-Enthusiasten, werde Kommunikation entfesseln; so schnell, wie Daten um den Globus rasen, werde man sich mit anderen connecten und Freundschaften schließen.

Facebook-Chef Mark Zuckerberg, der Spiritus Rector der Online-Gemeinde, der in einem episch langen "Manifest" die Utopie einer "globalen Community" entwickelt hat, prophezeite, dass seine Schöpfung Menschen weniger einsam mache. Die Facebook-Community ist immer für einen da, die fürsorglichen Algorithmen bieten Unterhaltung und Ablenkung. Am Geburtstag brennen virtuelle Kerzen, und wenn man in Depressionen verfällt, schlägt die KI-gestützte Suizidprävention Alarm. Auch die virtuellen Assistentinnen Alexa und Siri stehen als digitale Domestiken Tag und Nacht zur Verfügung und hören sich die Sorgen ihrer Nutzer an.

Dass die 489 oder noch mehr Facebook-"Freunde" keine echten Freundschaften sind, sondern meist nur Nummern im digitalen Telefonbuch, ist hinlänglich bekannt. Doch mehr und mehr wird deutlich, dass die Technologie vielmehr die Ursache für Vereinzelung und soziale Isolation als ein Therapeutikum dagegen ist. Studien belegen, dass eine zu intensive Nutzung sozialer Netzwerke einsam macht. Probanden, die mindestens eine Stunde am Tag in sozialen Medien verbrachten, fühlten sich isolierter als jene, die offline blieben.

Facebook-Gründer Mark Zuckerberg
Bezeichnung d. Bildes.
Foto: Anthony Quintano from Honolulu, HI, United States. Aus: Wikicommons, unter CC BY 2.0

Man nutzt Social Media ja häufig, wenn man unfreiwillig allein ist, und wenn man in seinem Newsfeed sieht, wie die beste Freundin glücklich in die Kamera lächelt oder ein Selfie mit dem Freund auf einem Konzert postet, stellt man deprimiert fest, dass man auf seinem Couchsessel oder Zugsitz gerade ziemlich einsam ist. Soziale Medien sind Illusionsmaschinen, die einem ständig das Gefühl geben, dass man irgendetwas verpasst hat. Diese Fear of missing out, kurz FOMO, die Angst vor dem Allein- und Ausgeschlossensein, der Entnetzung, dem totalen sozialen Strömungsriss, die in der digitalmodernen Gesellschaft mit ihren permanenten Kontaktanbahnungsversuchen und Ereignisströmen fast schon pathologische Züge trägt, wissen die Tech-Konzerne zu bewirtschaften.

Mit immer neuen Reizen und Stimuli fördern Plattformen die digitale Gruppentherapie, deren Desozialisierungseffekte die Grundlage für das nächste "engagement" bilden. Man klickt sich nicht durch Facebook, weil man allein sein will, sondern weil man sich vor dem Alleinsein fürchtet. Freundschafts-, Gruppen- und Eventeinladungen vermitteln einem das Gefühl, auch in der größten Einsamkeit in bester Gesellschaft zu sein, umgeben von Gleichgesinnten, auf einer Wohlfühlveranstaltung, wo soziale Kälte automatisch abgestellt wird. Keine Sekunde soll allein erlebt werden, jeder Moment mit der "Community" geteilt werden.

Der Medienwissenschafter Roberto Simanowski schreibt in seinem Buch "Facebook-Gesellschaft" von einer "Gemeinschaftlichkeit der Einsamkeit": "Die sozialen Netzwerke generieren eine Gemeinschaft gerade aus der Entfremdung der Individuen von allen bedeutungssicheren Banden." Facebook sei eine "Notgemeinschaft", eine Form der Gegenwartsflucht, in der der Horror Vacui, die Angst vor der existenziellen Leere, mit Fotos und Mitteilungen gefüllt wird - einem Kommunikationsrausch, der von der Einsamkeit im Hier und Jetzt ablenkt. So ist die "obsessive Selbstdarstellung in sozialen Netzwerken" für Simanowski "nicht Ausdruck der Eitelkeit, sondern des Leidens".

Ein Milliardengeschäft#

Die Erzählung von der "globalen Community" war ja schon immer etwas klebrig, weil sie ein auf Egozentrik gründendes Geschäftsmodell rhetorisch bemäntelte. Facebook ist wie ein Spielkasino modelliert, wo man Zeit in Automaten wirft und hofft, dass sich die Walzen der Slotmaschinen immer weiterdrehen.

Über die Suchtwirkung sozialer Netzwerke ist viel geschrieben worden. Entscheidend aber ist die Frage, ob eine im Mitteilen lebende Gesellschaft die Fähigkeit zur Selbstkommunikation verliert, die Voraussetzung für soziale Prozesse ist. Nur wer sich selbst hinterfragt, kann ein Verständnis für andere entwickeln. Das Allein-sich-selbst-Gehorchen als eine Form der Alleinherrschaft, das Alleinsein mit sich selbst und seinen Gedanken, das von der selbst gewählten Einsamkeit zu unterscheiden ist, gilt in der Philosophie als Tugend. "Einsam die Straße zu ziehen, gehört zum Wesen des Philosophen", schrieb Friedrich Nietzsche, der die Vereinsamung am eigenen Leib schmerzlich erfahren musste. "Niemand lernt, niemand strebt danach, niemand lehrt - die Einsamkeit ertragen", klagte Nietzsche.

Einsamkeit und ihre kleine Schwester, die Langeweile, zu ertragen, ist eine wichtige Kulturkompetenz, gerade in einer arbeitsteiligen Gesellschaft, in der soziale Beziehungen brüchig und unstet werden und in der man als Ich-AG häufig auf sich allein gestellt ist. Lesen und Schreiben sind ja auch einsame, aber durchaus sinnstiftende Tätigkeiten. Allein, wie will man jenen helfen, die schon bei einem sechsstündigen Ausfall von Facebook, WhatsApp und Instagram am Rad drehen, weil ihre Nachrichten und Posts auf irgendeinem Server festhängen?

Buchcover: Facebook-Gesellschaft
Foto: © Matthes & Seitz

Schon der in der Corona-Krise neu entdeckte und viel zitierte Blaise Pascal (1623-1662) sagte: "Das ganze Unglück der Menschen rührt allein daher, dass sie nicht ruhig in einem Zimmer zu bleiben vermögen." Doch dieser Wert gilt in der Aufmerksamkeitsökonomie nicht viel. Das Silicon Valley hat der Einsamkeit den Krieg erklärt. Der Tech-Guru Nir Eyal, der das behavioristische Modell des Stanford-Psychologen BJ Fogg sublimiert und in das Design von Apps überführt hat, schreibt in seinem Buch "Hooked: Wie Sie Produkte erschaffen, die süchtig machen": "Sie verspüren einen Stich der Einsamkeit, und noch ehe Sie bewusst darüber nachdenken, scrollen Sie sich durch ihre Facebook-Einträge."

Auf Facebook ist man nie allein - irgendjemand stupst einen immer an. Je mehr Zeit man mit "sozialen" Medien verbringt, desto einsamer und empfänglicher wird man für die personalisierten Sozialisationsangebote der Plattformen und desto mehr Geld verdienen die Konzerne mit Werbung. Einsamkeit ist ein Milliardengeschäft.

Adrian Lobe, geboren 1988 in Stuttgart, studierte Politik- und Rechtswissenschaft und schreibt als freier Journalist für diverse Medien im deutschsprachigen Raum (u.a. "FAZ", "NZZ" und "Wiener Zeitung").

Gewiss, der Vorwurf der Einsamkeit wurde auch schon anderen Medien wie etwa dem Fernsehen gemacht. Und in gewisser Weise ähneln sich das Unterhaltungsprogramm privater TV-Sender und die Dauerwerbesendung von Facebook und Co. Doch so konsequent und trickreich wie die digitale Unterhaltungsindus-trie betreibt kein anderer Wirtschaftszweig die Bewirtschaftung unserer Emotionen. Facebook macht einsam und gibt einem gleichzeitig das Gefühl, nicht allein auf der Welt zu sein.

Hologramm-Hochzeit#

Die manipulative Bewirtschaftung der Gefühle birgt jedoch Gefahren, weil vor allem junge Menschen in psychologische Abhängigkeiten geraten. In Japan, wo die Vereinzelung der spätmodernen Gesellschaft besonders weit vorangeschritten ist, führen junge Männer, die keine Partnerin finden, Beziehungen mit Avataren oder (Sex-)Robotern.

2018 heiratete ein Mann in Tokio das Popstar-Hologramm Hatsune Miku. Die Mangafigur sei die Frau seines Lebens, sagte er. Umgerechnet 15.000 Euro gab der Mann für die Hochzeit aus. Das Hologramm wird in eine Gatebox projiziert, einen gläsernen Zylinder, wo es auf Basis künstlicher Intelligenz mit dem Ehemann kommuniziert. Mit Hilfe von Mikrofonen und Sensoren erkennt das Hologramm die Bewegungen des Mannes und antwortet. Die künstliche Intelligenz ist eine treue Begleiterin. Sie ist verständnisvoll, hört immer zu und widerspricht nicht. Bei Bedarf lässt sie sich auch abschalten. Vielleicht ist es das, was sich Menschen heute unter einer "funktionalen" Beziehung vorstellen. Aber ist es Liebe, wenn der virtuelle Partner Gespräche protokolliert und einen permanent überwacht? Kann es sein, dass der Dialog mit Robotern am Ende selbst einsam macht?

Je mehr Geheimnisse man Maschinen anvertraut, je mehr die digitale Identität im digitalen Double aufgeht, desto mehr Wissen und Macht häufen Konzerne an, und desto einsamer wird es um einen, weil einen irgendwann nur noch der Algorithmus versteht. Man muss sich den Homo digitalis als unglücklichen Menschen vorstellen.

Wiener Zeitung, 28. November 2021