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Das Ende des Wachstums #

Das endlose Wachstum ist nicht mehr, das bedingungslose Grundeinkommen noch nicht da - und schon zeigen Netflix, Facebook und Co., dass sich etwas Grundlegendes ändern wird.#


Von der Wiener Zeitung (22. Februar 2023) freundlicherweise zur Verfügung gestellt.

Von

Gregor Kucera


Über die Gründe wird man in einigen Jahren trefflich spekulieren können, doch wie so oft, wenn ein Wandel gerade passiert, kann man meist nur spekulieren, was dazu geführt hat. Vielleicht war es Corona, vielleicht der Krieg in Europa oder doch die Lockdowns, sinkende Einkommen oder die ebenfalls schrumpfenden Bevölkerungen. Wer weiß. Mögen sich Soziologen, Historiker und Makroökonomen alsbald den Kopf darüber zerbrechen. Fest steht: Ein Wandel ist unumgänglich. Das endlose Wachstum scheint gebremst.

Kleine Beträge machen viel Mist#

Die großen IT-Konzerne, bisher stets Vorreiter bei verschiedenen Entwicklungen, reagieren derzeit auf einen volatilen Markt und versuchen ihre Schäfchen ins Trockene zu bringen, doch noch weiß niemand, wie der Wettlauf um Beständigkeit ausgehen wird. Wenig überraschend setzt ein kapitalistisches System stetiges Wachstum voraus, damit es überhaupt funktionieren kann. Nun haben Facebook, Twitter und Co. die vergangenen Jahre geprägt, sind scheinbar endlos gewachsen, um nun andere Plattformen an sich vorbeiziehen zu sehen. Neue Märkte sind nur sehr schwer und vor allem teuer zu erschließen, die Werbekunden brechen weg, und somit ist der Stein der Weisen das bezahlte Abo-Modell - meinen die Online-Giganten.

Der Preis für einen verifizierten Account, das bekannte "blaue Häkchen", liegt bei 12,99 Euro - dieser Beitrag scheint das inflationsangepasste 9,99 früherer Tage zu sein und soll Geld in die Kassen spülen. Seit dem Anbeginn des kommerziellen Internets wurden die Nutzer dazu erzogen, dass sie mit ihren Daten bezahlten und dafür Inhalte kostenlos nutzen durften, doch nun ist das "Netz der Gratis-Kultur" an seine Grenzen angelangt.

Auch Netflix muss sparen. Serien werden eingestellt, wenn sie Erwartungen nicht erfüllen, und nun soll auch dem Teilen von Zugängen ein Riegel vorgeschoben werden. So weit, so marktwirtschaftlich verständlich. Hinzu kommt, dass mittlerweile unzählige Streamingdienste aus dem Boden schießen und jede Plattform versucht, mit ihren exklusiven Inhalten die Kunden zu binden. Doch wo ist die Grenze des Leistbaren? 12 Euro für Facebook, noch mehr für Twitter, Netflix, Microsoft Office, Amazon, GIS und so viele weitere kleine Summen, die am Ende ein ordentliches Loch in die Geldbörse reißen.

Mittendrin die klassischen Medien, die gelähmt ob der eigenen Endlichkeit keinerlei klare Gedanken und Strategien mehr entwickeln können und sich selbst beim langsamen, aber sicheren Verschwinden zusehen. Hier scheinen demokratiepolitisch relevante Bereiche, Kunst und Kultur an erster Stelle der Medienpolitikeinsparungsfantasien zu stehen - ob "Wiener Zeitung" oder Radio-Symphonieorchester. Wie kann man Qualitätsjournalismus nach reinen Marktkriterien als Erfolg feiern? Es scheint, die Antworten findet niemand oder sie lassen sich nicht gut ans Wahlvolk bringen. Wer braucht schon Medien, wenn man alles Relevante eh gratis bekommt - die Frage der Quellen und dass diese ebenso kostenpflichtig werden, scheint niemand diskutieren zu wollen.

Vor dem Wandel kommt das große Sparen. Anstatt innovative Lösungen zu suchen, heißt es wieder einmal, wo man möglichst schnell, möglichst viel einsparen kann. Am besten mit Personalabbau und Gehaltskürzungen, Strafen für Teilzeit und Kürzungen der Sozialleistungen. Auf der anderen Seite stehen die Mitarbeiter der Zukunft, die gar nicht Vollzeit arbeiten, sondern lieber die Umwelt schützen wollen, als sich in einem klassischen 40-Stunden-Job zu ärgern. Noch nie schienen Realität und Wunsch weiter auseinander zu liegen als jetzt. Und dann gibt es ja noch den Klimawandel. Ja, er ist da und gekommen, um zu bleiben. Also könnte man ja was ändern.

Die Zukunft beginnt jetzt#

Das "könnte" und die "Änderung" kennt man seit Jahrzehnten, es ist nie etwas passiert. Die IT-Giganten sprechen daher von "Grüner IT" oder "Grünem Wachstum" und der Rest der Wirtschaftswelt macht munter mit. Nur gibt es eben kein grünes Wachstum. Es gibt nämlich kein Wachstum, das nachhaltig ist. Wenn man auf der einen Seite "nachhaltige Rechenzentren" anpreist, dann aber dafür sorgt, dass der Energieverbrauch weiterhin exorbitant steigt, dann ist das eben nicht nachhaltig. Wenn Smartphones nun schon 2.000 Euro kosten und sich nicht mehr reparieren lassen, dann darf man sich nicht wundern, dass sich das Konsumentenvolk nicht mehr jedes Jahr ein neues Handy leisten kann und will. Wollte man wirklich Großes schaffen, müsste man von heute auf morgen auf den Individualverkehr und die Flugreisen verzichten. Aus und weg damit. Aber so schnell geht es nicht und natürlich würde es nicht gleich funktionieren. Aber man macht nicht einmal mutige Schritte in Richtung Verzicht.

Die Menschheit scheint gefangen in einem Strudel der lethargischen Hoffnung auf ein Weiterleben ohne Änderungen dank technologischer Innovationen. Der menschliche Intellekt scheint an seine Grenzen gelangt, statt zu ändern, hofft man, dass die Technologie schon bald so weit sein wird, dass wir unser Leben nicht ändern müssen. Doch der Glaube an die Rettung durch Erfindungen ist ein Irrglaube. Die Zeit reicht nicht dafür aus und die Ideen sind nicht da. Es fehlt an Grundlagenforschung, die auch einmal nicht wirtschaftlich erfolgreich sein muss.

Das beste Beispiel für die Irrungen und Wirrungen, denen die IT-Konzerne unterliegen, zeigt sich in den Zukunftsvisionen der Manager. Das ewige Leben abseits des sterblichen Körpers oder aber die Flucht auf den Mars, damit man nicht die lästigen Probleme auf der Erde lösen muss. Peter Fox singt dazu in seinem aktuellen Lied "Zukunft Pink": "Hab meinen Avatar gekillt, weil ich selber auf die Party will", und: "Elon Musk, fick dein Marsprojekt. Scheißkalt und arschweit weg." Die unerreichbare Ferne als Ablenkung vor den enormen Problemen der Gegenwart. Eskapismus für die Reichen, damit man sich nicht um die erbärmlichen Probleme des Ärmlichen scheren muss.

Verzicht würde sicherlich helfen. Was braucht es, um Mensch zu sein, und was, um die Natur zu retten? Was wäre, wenn es gleich ein Ende des Wachstums gebe? Würde uns wirklich etwas Relevantes fehlen? Würde das bereits Erreichte und Konsumierbare nicht bereits ausreichen? Sollte man nicht zuerst die Probleme der Erde lösen, die man seit ewigen Zeiten vor sich herschiebt, anstatt Milliarden in den Flug zum Mars zu pumpen? Ist der Weisheit letzter Schluss wirklich, dass man nur jemanden finden muss, der bereit ist, mehr für ein sinnloses Produkt zu zahlen, als man selbst gezahlt hat? Aber das Nachdenken darüber scheint zu anstrengend für die Menschheit, lagern wir es halt an Künstliche Intelligenz aus und schauen, was passiert. Schlimmer wird es ja eh nicht mehr.

Wiener Zeitung, 22. Februar 2023