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Was hat Islam mit Islamismus zu tun? #

Revolutionäre, Terroristen, Bilderstürmer, Selbstmordattentäter, Taliban, Al-Qaida, Muslimbruderschaft, demokratisch gewählte Präsidenten und Ministerpräsidenten, Männer mit Bärten und Frauen mit Kopftüchern, sie alle haben eines gemeinsam: Sie werden in der Kategorie Islamismus schubladiert.#


Mit freundlicher Genehmigung der Autorin entnommen aus: Die Presse (Mittwoch, 6. Februar 2013)

Von

Ingrid Thurner


Laut Duden kennzeichnet das Suffixismus eine Geisteshaltung, eine politische, kulturelle oder geistige Richtung. Der Begriff Islamismus birgt die Konnotation des Radikalen, wird aber bestückt mit gänzlich verschiedenen Inhalten, es werden gänzlich verschiedene soziale Gruppen und Individuen unter demselben –ismus eingeordnet: malische Terroristen, afghanische Taliban, demokratisch wählbare Parteien (Ägypten, Tunesien, Libyen, Marokko, Türkei), Regierungschefs, die gemäß den Ergebnissen von Parlamentswahlen eingesetzt wurden (Tunesien, Marokko), der ägyptische und der türkische Präsident, Politiker aus dem Nahen Osten, mit denen sich gut Geschäfte machen lässt, und Personen, die nur ihren Glauben praktizieren wollen und dies durch ihr äußeres Auftreten kundtun. Ein Muslim mit Bart: Islamist. Muslimin mit Kopftuch: Entweder ist sie ein unterdrücktes Opfer von Islamisten oder selbst Islamistin. Aber bloß, weil Menschen ihre Körper durch Stoffe oder ihre Gesichter durch Bärte verhüllen oder weil sie einen Staat bauen wollen, der auf religiösen Werten basiert, begehen sie noch keine Verbrechen.

Eine Trennung zwischen Staat/Politik und Kirche/Religion als erstrebenswertes Ideal ist ein westliches Konzept, das – wie andere westliche Normen auch – für eine beträchtliche Anzahl von Angehörigen des Islam nicht sonderlich attraktiv ist. Vielmehr ganz im Gegenteil, dass das Religiöse einen konzeptuellen Rahmen für das Politische liefert, ist nun die Hoffnung vieler. Aber innerhalb dessen werden sehr wohl Werte angestrebt, die auch mit westlichen kompatibel sind wie Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, gute Regierungsführung: Statt Zensur die Freiheit der Rede, statt Privilegien einiger Partizipation aller, statt Diktat von oben breite öffentliche Diskussionen. Nicht nur am Tahrir-Platz (sic: “Befreiungsplatz”), sondern bei den Demonstrationen von Rabat über Damaskus bis Sanaa wurden genau diese Worte und Werte auf Transparenten geschwenkt. Auch für den Respekt gegenüber anderen Religionen und deren Mitgliedern lässt sich im Koran (2, 256) die Basis finden: „Es gebe keinen Zwang in der Religion.“

Die Aufständischen und die Empörten brauchen nicht westliches Gedankengut in allen Bereichen zu vertreten, um dennoch für Demokratie zu sein. Und Islam ist nicht gleich Islamismus. Dessen ungeachtet werden Menschen, bloß weil sie eine Politik befürworten, die auf religiösen, historisch tradierten Werten aufbaut, in europäischen Medien der Kategorie Islamismus zugeordnet. Islamismus, das ist kein Glaubensinhalt, sondern hört sich an wie eine Beschuldigung, wenn nicht wie ein Verbrechen.

Dabei gibt es in Europa ebenfalls Parteien, die sich auf religiöse Werte berufen, etwa ÖVP, CDU, CSU. Im Allgemeinen nennt man diese Parteien je nach Flügel konservativ oder rechtskonservativ. Würde man ihnen die gleichen Sprachmuster überstülpen wie Institutionen in islamischen Ländern, dann fielen ihre Mitglieder in die Kategorie Christismus. Dann gäbe es Lutheristen, Protestantisten, Evangelisten, Orthodoxisten und jeweils auch -innen. Und jene offiziellen Vertreter der katholischen Kirche, die alles so haben wollen, wie es immer schon war, die gesellschaftliche Entwicklungen und Bedürfnisse der Gläubigen ignorieren, die Frauenordination, Geburtenkontrolle, Scheidung, Sexualität außerhalb der Ehe und Homosexuellengleichstellung ablehnen, die im Zölibat das Heil der Priester und außerhalb der Kirche kein Heil sehen? Niemand kommt auf die Idee, diese Männer als Katholikisten oder Katholizisten zu definieren.

Zu Beginn der arabischen Revolutionen hat es so ausgesehen, als ob Religion keine Rolle dabei spiele, und so war es auch, weil sie nicht die Triebkraft war. Nichtsdestrotrotz werden viele, die zuerst auf den Tahrir-Plätzen, dann in Straßenschlachten und jetzt im Bürgerkrieg in Syrien unter Einsatz ihres Lebens politische, gesellschaftliche und ökonomische Teilhabe fordern, geleitet von religiösen Werten.

Es ist abwertend und kriminalisierend, die politischen Parteien, die sich in arabischen Ländern demokratischen Wahlen stellen, mit dem gleichen -ismus zu belegen, wie Bomben werfende, Tod und Schrecken verbreitende Terroristen, die sich – irregeleitet – auf Religion beziehen.

Im Übrigen fand der Begriff Islamismus erst irgendwann nach 9/11 Eingang in die Medien, vorher wurden die gleichen Personen und sozialen Gruppen in der Schublade Fundamentalismus abgelegt. Da hat ein Unwort das andere abgelöst, was immerhin zeigt, dass die Neueinführung von Begriffen machbar ist. Wünschenswert wäre aber eine Differenzierung. Da gibt es Salafisten, Dschihadisten, Mudschahidin – zurückgehend auf Selbstbezeichnungen, mit denen auch Glaubens- und zugleich politische Inhalte vermittelt werden. Aber es muss gar nicht so kompliziert sein. Die deutsche Sprache ist reich an Adjektiven, auch zur Beschreibung gesellschaftspolitischer Strömungen. Man könnte sie verwenden: extremistisch, fanatisch, radikal, reaktionär, traditionalistisch, konservativ, rückständig, fortschrittlich, moderat, liberal modern, aufgeschlossen, progressiv, avantgardistisch, zukunftsorientiert. Zukunftsorient, das sind die Geisteshaltungen, die den arabischen Frühling hervorgebracht haben, und nicht islamistisch.

Natürlich ist auch hier die Gefahr der Stereotypisierung gegeben, aber vorläufig ist alles besser als die Zuschreibung Islamismus. Natürlich bedeutet es journalistische Knochenarbeit, jeweils zu recherchieren, an welcher Stelle bei der gegebenen Bandbreite des Spektrums eine Person oder Gruppe zu verorten ist. Natürlich ist es viel einfacher, die Kategorie Islamismus allen Erscheinungen aus dem arabisch-islamischen Bereich überzustülpen, natürlich ist es viel einfacher ein Feindbild zu bedienen, als es zu zertrümmern. Es läge aber auch in der journalistischen Verantwortung, vereinfachte Klarheiten offen zu legen und durch Differenzierung vorläufig lieber ein bisschen Verwirrung zu stiften, als an der Konstruktion eines Kollektiv-Feindbildes Islamismus mitzuwirken.

Insofern möchte man sich Stupidedia anschließen: „ismus ist ein häufig benutztes, selten gebrauchtes, oft missverstandenes, selten erfolgreiches und noch nie erforschtes Suffix. Ähnlich wie der Blinddarm, ist es ein unnützer Appendix um neue Wortgebilde zu erzeugen“ (www.stupidedia.org/stupi/-ismus).

Dr. Ingrid Thurner ist Lehrbeauftragte am Institut für Kultur- und Sozialanthropologie der Universität Wien und Mitglied der Initiative Teilnehmende Medienbeobachtung. Schwerpunkte der Ethnologin sind Islam, Pilgerfahrten und Medienanthropologie.

Die Presse, 6. Februar 2013


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