Akustische Beruhigungen#
Schon in der Frühzeit der Automobilproduktion war die Lärmbelästigung ein Thema. Mit Elektrizität und Vollgummireifen versuchten die Konstrukteure, das Problem zu lösen.#
Von der Wiener Zeitung ( Sa./So., 21./22. März 2015) freundlicherweise zur Verfügung gestellt.
Von
Peter Payer
"Haben die Techniker es zustandegebracht, so viel Lärm in der Welt zu machen, so müssen sie auch das Genie besitzen, ihn wieder zu bekämpfen", forderte ein in Wien lebender Zeitgenosse im November 1908. Lärm war zur Jahrhundertwende in der Stadt beinahe allgegenwärtig geworden, insbesondere auf der Straße begegnete man nie zuvor gehörten Geräuschintensitäten. Es war der Verkehr, der - neben den Dampfmaschinen in den Fabriken - zum akustischen Signum der Moderne avancierte. Neue Fahrzeuge eroberten den öffentlichen Raum, in dem der "Puls der Großstadt" regierte. Dabei stach eines klanglich besonders hervor: das Automobil.
Die frühen mit Dampf oder Benzin angetriebenen Wagen donnerten geradezu durch die Stadt: Ihre Motoren waren hunderte Meter weit zu hören, ebenso die anfangs noch eisenbeschlagenen und erst später pneumatisierten Räder, die auf dem Kopfsteinpflaster ohrenbetäubend dahinrumpelten.
Das war ein akustischer Schock, an den man sich erst einmal gewöhnen musste - Menschen genauso wie Tiere, denn nicht selten scheuten entgegenkommende Pferde, auch wenn die Fahrgeschwindigkeit noch vergleichsweise gemächlich war (maximal fünfzehn Kilometer pro Stunde waren in der Stadt erlaubt). Trotz der enorm hohen Anschaffungskosten - "pferdelose Vehikel" waren extreme Luxusgegenstände -: Der Startschuss für die automobile Gesellschaft war gefallen.
Strom oder Benzin?#
Bis zum Jahr 1910 hatten die städtischen Behörden in Wien bereits mehr als 2500 Autos registriert. Ihre akustischen Nebenwirkungen erregten bei Lenkern wie bei Passanten einigen Unmut. Energisch wurde Abhilfe gefordert, verlangte man effiziente Maßnahmen zur Lösung des Lärmproblems nicht zuletzt von den Konstrukteuren selbst. Der renommierte Volkskundler Michael Haberlandt mahnte fortschrittsgläubig: "Pfui über die faule Technik, die uns keine geräuschlosen Fahrbahnen, keine lautlos rollenden Räder aufzwingt!"
Keineswegs klar war ja noch, welche Antriebsart sich letztlich durchsetzen würde: Dampf? Benzin? Elektrischer Strom? Vor allem die neu auf den Markt kommenden, deutlich leiseren Elektro- fahrzeuge nährten die Hoffnung auf eine baldige automobile Geräuschreduktion.
In Wien gehörte die Firma Lohner zu den Pionieren auf diesem Gebiet. Dem Zeitgeist entsprechend hatte der k. u. k. Hofwagenfabrikant Ludwig Lohner "die volle Sympathie des Publikums, welches für alles Electrische schwärmt", erkannt. In den Jahren 1897 bis 1899 konstruierte er gemeinsam mit Belá Egger, einem anerkannten Experten für Elektrotechnik, zwei Prototypen. Die Probefahrt des ersten "Egger-Lohner-Elektromobils", vom Firmensitz in der Porzellangasse aus gestartet, war, so Lohner, aus akustischer Sicht durchaus bemerkenswert, fuhr man doch "ohne Scheppern, Gestank und gelegentlichen Krachen, wie man es von den Benzinwagen gewohnt ist, geruch- und geräuschlos, nur mit einem feinen metallischen Glockenklang". Lohner war optimistisch, dass das "Weltdorf Wien" damit den Anschluss an die führenden Großstädte mit Elektroautomobilen erlangen könnte, gleich hinter New York, Paris und London.
Vor allem in den USA waren Elektrofahrzeuge zur Jahrhundertwende bereits weit verbreitet, allein in New York fuhr die Hälfte der Fahrzeuge mit elektrischem Antrieb. Auf der 1899 in Berlin abgehaltenen "Internationalen Motorwagenausstellung" wurden die Vorteile klar herausgestrichen: "Während die Motorfahrzeuge mit Benzin-, Dampfbetrieb u.s.w. gleichsam den bürgerlichgewerblichen starken und kräftigen Typus derjenigen Beförderungsmittel repräsentieren, die gebaut werden, um wiederholten und starken Stößen widerstehen zu können, um schwere Lasten zu transportieren, lange Strecken auf Landstraßen mit mehr oder minder gutem Pflaster zurückzulegen, haben die elektrisch betriebenen Fahrzeuge die vornehmere Aufgabe zu erfüllen, in verkehrsreichen Straßen größerer Städte geräusch- und geruchlos zu verkehren, angenehmer, bequemer und schneller, als es das beste Pferdegespann im Luxuswagen zu leisten im stande wäre."
Lohners Prototypen, von denen nur wenige Stück gebaut wurden, erwiesen sich jedoch als zu störungsanfällig, die Motoren und Akkumulatoren erzielten noch nicht die gewünschten Leistungen. Leopold Graf Kolowrat, in Wien einer der ersten Fahrer des Elektroautomobils, war von seinem Fahrzeug enttäuscht, das ihm "unbeschreiblichen Kummer verursachte".
"Dauernd geräuschlos"#
Erst das von Lohner gemeinsam mit dem jungen Konstrukteur Ferdinand Porsche konstruierte Nachfolgemodell, das 1900 auf der Pariser Weltausstellung vorgestellte "Lohner-Porsche-Elektromobil, Modell Nr. 27" schien überzeugend. Es wies als Innovation einen Radnabenmotor auf, erreichte eine Höchstgeschwindigkeit von 32 Kilometer pro Stunde und eine Fahrleistung von 50 Kilometer mit einer Batterieladung.
Von der Fachwelt gelobt und mehrfach ausgezeichnet, sollte es mit seiner Umweltfreundlichkeit und einfachen Bedienung als idealer Stadtwagen fungieren. Als solcher wurde es denn auch von Lohner beworben, der schon bald weitere verbesserte Modelle dieses Typs auf den Markt brachte. Eines seiner zentralen Verkaufsargumente für diese Stadtwagen hieß: "Die Einzigen dauernd geräuschlosen." Doch der Absatz stockte. Der vergleichsweise hohe Anschaffungspreis, die zu geringe Reichweite und die ausschließliche Verwendung im Stadtverkehr waren aus Sicht der Benützer Nachteile, die den Vorteil der Geräuscharmut keineswegs aufwogen.
Bis zum Jahr 1906 konnten nur einige hundert "Lohner-Porsche" im In- und Ausland verkauft werden, ehe sich in Wien, wie in anderen Städten auch, das aus technischen, infrastrukturellen und wirtschaftlichen Gründen überlegene Benzinautomobil endgültig durchsetzte. Auch die erstmalige Erfindung von elektro- und benzinbetriebenen Hybridfahrzeugen konnte an dieser Entwicklung nichts ändern. Was der Nachwelt in Erinnerung blieb, war die relative Lautlosigkeit der neuen Fahrzeuge. Noch Jahre später charakterisierte der Schriftsteller Raoul Auernheimer das Elektromobil als "lautlos wie auf Filzsohlen vorüberschleichend".
Als nachhaltig wirksame Wohltat für die Ohren erwies sich eine andere Innovation: die Bestückung der Fahrzeugräder mit luftgefüllten Gummireifen anstelle der bisher üblichen Bereifung aus Vollgummi, Metall oder Holz. In den Jahren 1888/89 vom britischen Tierarzt John Boyd Dunlop und dem französischen Industriellen Edouard Michelin erfunden, verbreitete sich die pneumatische Gummibereifung ab den 1890er Jahren auch in Wien. Fahrräder, Autos und Fiaker wurden damit ausgestattet. Letztere, von den Wienern "Gummiradler" genannt, waren im Preis etwas teurer als die herkömmlichen Lohnkutschen, dafür aber besonders begehrt, da sie eine deutlich angenehmere Fahrt ermöglichten. Die Neuartigkeit des exklusiven Gefährts fand in Kunst und Populärkultur ihren Niederschlag. Volkslieder nahmen sich des Themas an, der Wiener Schriftsteller Richard Österreicher widmete ihm sogar ein eigenes Lustspiel ("Gummiradler", 1907), und Heimito von Doderer hob später in einem seiner historischen Romane den "leise hüpfenden Gummiradler" als zeitgenössische Besonderheit hervor.
Zunächst galt es jedoch noch Widerstand zu überwinden. Kritiker beklagten, dass bei schlechtem Wetter der Straßenkot in alle Richtungen weggeschleudert würde; die Fahrzeughalter beschwerten sich über allzu hohe Investitionskosten; Passanten wiesen auf das Fehlen des gewohnten Warngeräusches hin. Für den renommierten Journalisten Max Winter hingegen war die Gummibereifung eine segensreiche Erfindung, die - gemeinsam mit dem ohrenschonend glatten Asphaltpflaster - von der Stadtregierung gesetzlich verordnet gehörte: "Achtet doch einmal auf das Gepolter eines Einspänners alten Stils, der ohne Wurstradeln, ja selbst ohne Gummireifen über dem Eisenbeschlag des Rades daherkommt! Löst das von ihm erzeugte Geräusch von dem übrigen Lärm der Straße und ihr werdet auch die Gummireifen preisen."
Gleichzeitig damit wurden auch weitere lärmmindernde Maßnahmen ergriffen: Die Wagenfederung wurde verbessert, leisere Hupen verringerten die so störenden Signalgeräusche. Visuelle Zeichen ersetzten immer häufiger die akustischen, wie generell die Straßenverkehrsorganisation neu geregelt wurde. Im Jahr 1913 erließ man eine Fahr- und Gehordnung, die u. a. streng abgegrenzte Bereiche für Fußgänger und Fahrzeuge vorsah. Hinweisschilder, Bodenmarkierungen und Verkehrsampeln sollten künftig die akustische Beruhigung des Straßenraumes vorantreiben, was in Wien allerdings erst ab Mitte der 1920er Jahre in größerem Stil umgesetzt wurde.
Neue Entwicklungen#
An die Geräuscharmut der frühen Elektroautos erinnert man sich auch heute gerne, wenngleich sich mittlerweile technologisch Revolutionäres ereignete: Wer in unseren Tagen ein elektrisch betriebenes Fahrzeug steuert, kann zwischen verschiedenen akustischen Erscheinungsbildern wählen. Man kann entscheiden, ob das Auto leiser oder lauter klingen soll, vom Sound her eher wie ein VW oder ein Ferrari. Längst hat sich in diesem wie auch vielen anderen Bereichen der ursprüngliche Klang von den Dingen gelöst. Theoretisch wäre sogar ein nahezu lautloses Motorengeräusch möglich, gäbe es nicht aus Sicherheitsgründen wie in den USA und Japan eine gesetzlich verordnete Geräuschpflicht auf der Straße.
Auch in Europa wird gerade intensiv über derartige Fragen diskutiert, wobei ein wichtiger Faktor nicht zu vergessen ist, dass nämlich ab einer Geschwindigkeit von circa 40 Kilometer pro Stunde Reifen- und Rollgeräusche deutlich lauter wahrgenommen werden als der Klang der Motoren. Die von allen Lärmgeplagten heraufbeschworene Vision von der leisen Stadt muss wohl nicht zuletzt deswegen weiterhin Utopie bleiben.
Peter Payer ist Historiker, Stadtforscher und Kurator im Technischen Museum Wien. Zahlreiche Buchpublikationen, zuletzt: "Unterwegs in Wien. Kulturhistorische Streifzüge" (2013). www.stadt-forschung.at