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Die alte Jungfer aus Zwentendorf #

Das verhinderte AKW dient als Ersatzteil-Lager und für Weiterbildungen. Ab 2009 wird die EVN Sonnenstrahlen nützen.#


Von der Zeitschrift Wiener Zeitung (Mittwoch, 5. November 2008) freundlicherweise zur Verfügung gestellt. Ergänzt am 19. März 2011 von H. Maurer

von

Konstanze Walther


AKW Zwentendorf
© Wiener Zeitung

Wien/Zwentendorf. „Da, wo sich jetzt die Biber tummeln, da war der zweite Reaktorblock geplant.“ Mit weitausholender Geste deutet Johann Fleischer über das Gelände des AKW Zwentendorf, dessen Inbetriebnahme vor mehr als 30 Jahren – am 5. November 1978 – durch eine Volksabstimmung verhindert wurde. Die Errichtung der Anlage kostete 5,2 Milliarden Schilling (377,9 Millionen Euro) – das Kernkraftwerk wurde schließlich solide für die halbe Ewigkeit gebaut. Dementsprechend steht es noch immer am Ufer des niederösterreichischen Teils der Donau. Auf Anhieb findet allerdings niemand hierher. Denn die Straße, die zum AKW führt, trägt keinen Namen. Einst sollte sie „Fabrikstraße“ heißen, doch die Namensgebung geriet in Vergessenheit – genauso wie das Kraftwerk selbst. Wind, Wetter und unerlaubte Besichtigungstouren von Abenteurern und Obdachlosen machten das Kraftwerk schließlich in der Vergangenheit zu einem halb verfallenen „Schrotthaufen“, sagt Fleischer. Der Mann mit dem Schnauzer und dem akkurat nach hinten gekämmten Haar kümmert sich seit 2002 um die alte Industrie-Jungfer und brachte sie wieder in Schuss. Also so, dass man sich nicht genieren muss, wenn Kernkraft-Mitarbeiter oder Journalisten dem AKW einen Besuch abstatten. Im Inneren des Kraftwerks schlägt einem zuerst einmal abgestandene Luft entgegen, die nach Stahl, Beton, Fabrik schmeckt. Die Gruppe darf man nicht verlieren – in dem hermetisch abgeschotteten Gebäude hat die neuartige Technik Mobiltelefon keine Chance und keinen Empfang. Dabei sind die Gänge endlos, unzählige Abbiegungsmöglichkeiten existieren. 1050 Räume umfasst die Anlage – von der Turbinenhalle bis zur Besenkammer. Man kommt vom Raum mit den Bullaugen in einen Raum mit Riesen-Behältern und tappt eine der vielen Gittertreppen hoch in den nächsten Stock in den Raum, der eine der Schaltzentralen war. Hier hievt sich gerade ein Pulk deutscher Forscher durch eine der vielen Öffnungen hinunter in den Bauch des Kraftwerks. Für die wortkargen Techniker ist Zwentendorf vor allem eine detailgetreue Nachbildung einer AKW-Generation, die in Deutschland noch immer in Betrieb ist: Die Atomkraftwerke in Isar, Brunsbüttel, Philippsburg, Grundremmingen und Krümmel. Für diese baugleichen Schwesterkraftwerke dient Zwentendorf auch als Ersatzteil-Lager: Die großen Anlageteile wie Turbinen und Generator sind bereits verkauft – der Rest ist noch im Original vorhanden.

Eine Spielwiese aus Stahl#

Daher kommen deutsche Atomkraft-Arbeiter in schöner Regelmäßigkeit für drei oder sechs Tage zur Weiterbildung nach Zwentendorf. „Das ist schon toll, dass hier das ganze Kraftwerk begehbar ist“, erzählen die Techniker, als sie kurz Luft schnappen und am „Aussichtspunkt“, neben dem rot-weiß-roten Schlot eine Zigarette rauchen. Denn hier können sie im Trockenen üben, durch den sogenannten biologischen Schild (Riesen-Beton-Türen) hindurch in die Kondenskammer wandern, Bereiche, die normalerweise bei einem Kernreaktor aufgrund der Strahlengefahr nicht begehbar sind. Man kann hier, auf der immensen Stahl-Spielwiese herumschrauben, ausmessen und Eindrücke mit nach Hause nehmen. Genau dasselbe macht das Personal der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEO) – das auch einmal im Jahr zu Schulungszwecken vorbeischaut. Der IAEO obliegt die Kontrolle der globalen friedlichen Nutzung der Kernenergie – genauer des Brennmaterials Uran 235. „Die jungen Inspektoren kommen her, und lernen, wo überall spaltbares Material verwendet wird. Und wo das überall aufbewahrt werden kann. Das kann man ja nicht im Schuhkarton verstecken“, erklärt Fleischer fachmännisch, der früher im Kraftwerk Korneuburg beschäftigt war. Befragt zur Atomkraft, fängt Fleischer an sich zu winden. „Grundsätzlich hätte in Zwentendorf relativ nichts passieren können“, erklärt er nach einigem Zögern. Nachsatz, nach einer erneuten Pause: „Eine gewisse Wortwahl ist immer schwierig. Besonders in Österreich, wo die Mehrheit sowieso gegen Atomkraft ist.“ Vor genau 30 Jahren waren die Fronten noch nicht so klar. Mit einer hauchdünnen Mehrheit hat sich die österreichische Bevölkerung gegen die Inbetriebnahme des Atomkraftwerks Zwentendorf ausgesprochen. Mit 50,47 zu 49,53 Prozent. Das war „eine Niederlage für alle, die die friedliche Nutzung von Kernenergie befürworten, eine Niederlage für die Sozialistische Partei (. . .) und eine Niederlage für mich persönlich, weil ich die Volksabstimmung empfohlen habe.“ Geknickt nahm der damalige Kanzler Bruno Kreisky das Abstimmungsergebnis entgegen.

Bau der Photovoltaik-Anlage#

Der niederösterreichische Energieversorger EVN kaufte das stillgelegte AKW Zwentendorf im Jahr 2005 um 2,5 Millionen Euro. Nicht aus Nostalgie sondern aus reiner Pragmatik: Das 24-Hektar-Areal ist bereits ein zugelassener Kraftwerks-Standort. Und kommt dem Vernehmen nach der EVN so billiger, als wenn sie ein jahrelang dauerndes Flächenumwidmungsverfahren für neue Grundstücke anstrebt. Den Standort will die EVN für Energie aus erneuerbaren Quellen nützen. 2009 soll neben dem AKW eine Solarenergieanlage entstehen. Auch über Biomasse denkt die EVN nach – das Gelände wäre groß genug. Das AKW selbst wird wohl noch jahrelang erhalten bleiben. Denn schließlich sind die Kraftwerke in Deutschland in Betrieb. Und selbst wenn Brunsbüttel und Gefolge einmal stillgelegt werden, bleiben sie noch zehn Jahre lang stehen, bis die Strahlung abgeklungen ist. Erst dann werden sie auseinander montiert. „Und dann kann es natürlich sein, dass die Deutschen kommen und das Abschrauben in Zwentendorf lernen“, heißt es seitens der EVN.


Chronologie

  • 1957: Wien wird Standort der Internationalen Atomenergie Organisation (IAEO).
  • 1959: Erster Forschungsreaktor im Wiener Prater.
  • 1968: Ausschreibung für den Bau des ersten Kernkraftwerks (unter ÖVP-Regierung).
  • 1969: Verabschiedung des Strahlenschutzgesetzes. Demnach muss die Betriebsbewilligung für ein Kernkraftwerk erteilt werden, wenn dieses allen Auflagen entspricht.
  • 1971: Baubeschluss für Zwentendorf.
  • 1971: Erste Großdemo österreichischer Kernkraftgegener in Vorarlberg (gegen das Schweizer KKW Rüthi).
  • Februar 1972: Baubeginn in Zwentendorf.
  • Oktober 1977: SPÖ-Kanzler Bruno Kreisky bezeichnet Kernkraftgegner nach Demo als „Lausbuben“.
  • Jänner 1978: Brennstäbe nach Zwentendorf eingeflogen.
  • Juni 1978: Kreisky kündigt Volksabstimmung an.
  • 5. November 1978: Volksabstimmung darüber, „ob das Bundesgesetz vom 7. Juli 1978 über die friedliche Nutzung der Kernenergie in Österreich“ Gesetzeskraft erlangen soll. Ergebnis: 49,5 Prozent (von 3,2 Millionen gültigen Stimmen) für „Ja“; 50,5 Prozent für „Nein“.
  • Dezember 1978: Atomsperrgesetz wird beschlossen (sonst hätte laut Strahlenschutzgesetz die Betriebsbewilligung für Zwentendorf erteilt werden müssen).
  • 26. April 1986: Im Block IV des Kraftwerks „Lenin“ in Tschernobyl (Ukraine) kommt es zum „Super-GAU“.
  • 1987: Verkauf der Komponenten aus Zwentendorf.
  • 1999: Das „atomfreie Österreich“ wird in der Verfassung festgeschrieben.

Wiener Zeitung, Mittwoch, 5. November 2008

Ergänzung vom 19. März 2011 von H. Maurer#

Die EVN AG hat im Jahr 2005 das Kraftwerk gekauft. Auf dem Gelände wurde mit einer Investitionssumme von rund 1,2 Millionen Euro eine Photovoltaikanlage errichtet und am 25. Juni 2009 in Betrieb genommen. Mit dem Vollausbau sollen die insgesamt 1.000 an der Fassade und im Freigelände installierten Solarmodule durchschnittlich 180.000 kWh elektrische Energie pro Jahr liefern.

Im Jahr 2010 wurde gemeinsam mit der Technischen Universität Wien das Photovoltaik-Forschungszentrum Zwentendorf gegründet. Damit verbunden ist eine 190 Kilowatt (kW) Photovoltaik-Anlage. Diese besteht aus zwei Modulen mit Nachführungsanlagen.

Neues Medieninteresse erweckte das Kraftwerk während der Katastrophe im Kernkraftwerk Fukushima I (März 2011), da die beiden Kraftwerke annähernd baugleich sind. So ergibt sich die einfache Möglichkeit für Medien, Bilder aus dem Inneren eines Reaktors zu zeigen. In Fukushima I haben die Blöcke 1 bis 6 ebenfalls Siedewasserreaktoren, die Blöcke 2 bis 5 haben dabei auch eine ähnliche Bruttoleistung wie der Zwentendorf-Reaktor und der Baubeginn war zeitlich ähnlich (zwischen 1969 und 1973): im Vergleich dazu war der Baubeginn Zwentendorf 1972.

Allerdings war Fukushima keine Atomkatastrophe. Nicht Radioaktivität hat tausende Menschen getötet sondern der Tsunami.

Ergänzung 2012:

Fleischhacker aus "Die Presse" am Samstag, 10. März 2012 zu 1 Jahr Fukushima:

"... Wer immer schon der Ansicht war, dass der Mensch durch die Nutzung der Atomkraft seine Grenzen überschreitet, fühlt sich bestätigt. Wer immer schon der Meinung war, dass die Risken überschätzt werden, sieht sich ebenfalls bestätigt. Beide meinen, dass sie Recht haben. Atomkraftwerke sind ein Risiko. Aber Fukushima hat gezeigt, dass die nach dem Unfall erstellten Horrorprognosen nicht zutreffend waren. 

16.000 Menschen starben an den Folgen von Erdbeben und Tsunami, kein einziger an den Folgen des Reaktorunglücks. Statistisch bedeutet das zunächst also, dass es riskanter ist, an der japanischen Küste als in unmittelbarer Umgebung eines Atomkraftwerks zu leben. ..."

Weiterführendes#

--> Atomkraftwerke 2011



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