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Mehr Applaus, mehr Sorgen#

Grüner Tee statt Cola und Edita Gruberova als Idol: Junge Musiktalente sind anders als ihre Altersgenossen#


Von der Wiener Zeitung (Dienstag, 13. September 2011) freundlicherweise zur Verfügung gestellt.

Von

Julia Rumplmayr


  • Über Wunderkinder und ganz normale Jungmusikerkarrieren.
  • Violinist Paul Roczek im Gespräch über Musikwettbewerbe.
  • Ein oberösterreichischer Sängerknabe mit großen Zukunftsplänen.

Junge Pianistin
So klein und vielleicht schon am Köchelverzeichnis zugange: namenlose Miniaturpianistin.
Foto © H. Armstrong Roberts/CORBIS

Die kurzen Beine reichen kaum zu den Pedalen hinunter, oben werden wie mit Zauberhand die schwierigsten Passagen gespielt. Die Geige ist unter das kindliche Kinn geklemmt, darüber ein ernster Blick, der Bogen hüpft über die Saiten. Es sind solche Bilder, die dem Publikum den Mund offen stehen lassen. Es ist die Irritation, die Augen und Ohren gleichzeitig aufgehen lässt. Die Irritation, dass ein Kind die großen Gefühle der Musikliteratur ausdrücken kann. Dem Publikum ging es so bei Jewgeni Kissin, der sein Debüt als Solist als Zehnjähriger in Moskau mit Mozarts Klavierkonzert KV 466 gab. Geigerin Anne-Sophie Mutter sorgte mit 13 Jahren bei den Pfingstfestspielen 1977 mit Mozarts G-Dur-Konzert unter ihrem Mentor Herbert von Karajan für eine Sensation. Eine der jüngeren international populären Hochbegabungen ist der Pianist Lang Lang. Er soll die Liebe zum Klavierspiel mit zwei Jahren bei "Tom und Jerry" entdeckt haben, mit drei Jahren bekam er Unterricht und trat zwei Jahre später erstmals öffentlich auf. Die Wunderkinder von einst sind erwachsene Musiker und fixe Bestandteile des Kulturbetriebs geworden, ihre Nachfolger wachsen bereits heran. Hochbegabte junge Musiker umgibt nicht selten ein Hauch von Jahrmarktsensation. Schneller, besser, jünger, hübscher - solche Superlative sind auch der hehren Kunst nicht fremd, und so werden Konzertsäle nicht selten zu Orten des Staunens. Vor Etikettierungen sind auch junge Talente nicht gefeit - Begriffe wie "neuer Mozart", "kleines Genie" und "Wunderkind" sind schnell formuliert.

"Beim Begriff Wunderkind bin ich grundsätzlich skeptisch, auch weil der Begriff mit einer unnatürlichen Erwartungshaltung verknüpft ist. Alle Kinder sind Wunderkinder, es gilt nur das jeweilige Gebiet zu finden, in dem sie begabt sind", sagt Paul Roczek. Der Violinist und Universitätsprofessor am Salzburger Mozarteum ist Vorsitzender der Bundesjury des Jugendmusikwettbewerbes "prima la musica". 5000 Kinder nehmen jedes Jahr teil, nicht selten werden große Talente entdeckt. "Martin Grubinger oder Benjamin Schmid - es gibt kaum einen, der nicht durch diesen Wettbewerb gegangen ist", erklärt Paul Roczek. Viele große Musiker haben sich hier als Kind zum ersten Mal mit anderen gemessen. Das Faszinierende am Spiel der Kinder "ist zuerst einmal das technische Geschick, das sie befähigt, Erstaunliches zu leisten", sagt Roczek. Seltener entdeckt man jene Kinder mit "tiefen Einsichten", bei denen man sich "fragt, wo das Kind das herbekommt, wie es das ausdrücken kann. Da bleibt einem der Mund offen. Das sind Menschen, von denen man sich viel erhoffen kann." Ein solch einschneidendes Erlebnis bei einem Jugendmusikwettbewerb gäbe es ein Mal in zehn Jahren, erzählt Roczek. Das reife Wesen und die Begabung dieser Kinder hält sich meist, "wenn nichts Schlimmes passiert. Diese Kinder fallen auch auf, werden gut geführt und in Richtung Musikerlaufbahn begleitet."

Sängerknabe Alois Mühlbacher
Sängerknabe Alois Mühlbacher hat viel vor.
Foto © Benedikt Loebell

Der 15-jährige Bub, der gerade ins Kaffeehaus zum Interview kommt, weiß schon ganz sicher, dass er einmal Musiker werden will. "Ich möchte es unbedingt!", sagt Alois Mühlbacher im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". Der St. Florianer Sängerknabe kann sich nicht vorstellen, dass das Singen in seinem Leben nur eine Episode sein könnte, an die er sich später als Arzt oder Lehrer zurückerinnert. "Nur ein Kapitel? Nein, nein, nein!", sagt er laut. Der Bub aus Hinterstoder hat schon viele Interviews geführt, kürzlich wurde er in der deutschen "Zeit" porträtiert, in den lokalen Medien ist er Dauergast. "Des Knaben Wunderstimme" oder "Magier der Stimme" wird dann geschrieben. Einmal habe es sogar geheißen: "Mozart, Liszt, Mühlbacher", erzählt der Teenager und kichert. Alois Mühlbacher ist seit fünf Jahren Sängerknabe und dort bald durch seine außergewöhnliche Sopranstimme aufgefallen. Vor wenigen Monaten präsentierte er seine erste Solo-CD, "Alois - unerhört", wo er Partien wie Mozarts Königin der Nacht und die Marietta aus Korngolds "Toter Stadt" singt. "Ich habe so eine Knabenstimme noch nie gehört in meinem Leben", lautet auf der Rückseite die Wortmeldung von Dirigent Franz Welser-Möst, "ich habe mir diese CD angehört und die ist geradezu phänomenal", wird Ioan Holender zitiert. An den ehemaligen Staatsoperndirektor schickte Chorleiter Franz Farnberger die Aufnahme, in der Folge debütierte Mühlbacher als Junger Hirte in Wagners "Tannhäuser" und stand später als Oberto in Händels "Alcina" auf der Bühne der Wiener Staatsoper.

Wenn Alois Wunderkind genannt wird, findet er das "irgendwie komisch": "Ich halte von dem Begriff nicht viel. Natürlich freue ich mich, wenn es jemand sagt, aber ich bin jetzt auch nicht sehr stolz und posaune es hinaus." 50 Prozent Arbeit und 50 Prozent Talent gehören zum Erfolg, sagt der Sängerknabe. "Außerdem ist für mich sehr viel Freude dabei." "Im normalen Anwendungsbereich des Wortes kann man sicher sagen, dass der Alois ein Wunderkind ist", sagt Chorleiter Farnberger. "Das Wunder besteht darin, dass sich jemand in einem gewissen Alter für Dinge interessiert, für die sich Gleichaltrige nicht interessieren. Dass es ein Drang aus ihm heraus ist, das zu machen." Die Vorbilder von Alois Mühlbacher sind auch weder Fußballer noch Filmstars, sondern Sopranistinnen wie Diana Damrau oder Edita Gruberova, erzählt er und trinkt seinen grünen Tee. Was er sonst noch für seine Stimme tut? "Ich trinke nie etwas Kaltes und keine Kohlensäure. Ich schaue immer, dass ich warm angezogen bin. Ich schreie überhaupt nicht."

Noch ist Alois Mühlbacher nicht im Stimmbruch - wenn es einmal so weit ist, wird er gesanglich pausieren und seine Stimme schonen. Welche Stimmlage er später haben wird, stellt sich erst dann heraus - wenn es nach Alois geht, wäre er gerne Tenor. Bis dahin singt er weiter Sopran, demnächst kommen wieder zwei neue CDs heraus. Wie es den anderen Sängerknaben geht, die nun in seinem Schatten bleiben? "Es gibt sicher ein gewisses Konkurrenzdenken", sagt Franz Farnberger. "Die Knaben sehen, dass der Alois mehr Applaus kriegt. Er muss aber auch öfter proben, er hat mehr Sorgen, weil er im Mittelpunkt steht." Ein Talent wie Alois Mühlbacher erlebe man als Chorleiter nur einmal, auch wenn es oft sehr gute Stimmen gebe. Nicht alle wissen so genau wie Alois, dass sie Sänger werden wollen. Andere sind später Gesangslehrer oder Instrumentalisten, für die Mehrheit bleibt die Sängerknabenzeit eine Episode.

Auch Paul Roczek macht die Beobachtung, dass aus den 5000 Kindern, die jährlich für den "prima la musica" antreten, nicht lauter Berufsmusiker werden. "5000 Kinder sind viel für so ein kleines Land, aber die Orchester klagen über Nachwuchsmangel. Die Kinder leisten Erstaunliches, bis sie 14 oder 15 Jahre alt sind, zur Aufnahmeprüfung an die Uni kommt keiner." Schuld an diesem Schnitt sei nicht nur die Pubertät, sondern vielmehr das Bild des Musikerberufs in der Gesellschaft. "Ganz oben ist es toll, bekannte Musiker stehen hoch im Kurs. Aber insgesamt ist der Musikerberuf, das Leben im Orchester, in den Musikschulen nicht so angesehen." Bei den Jugendmusikwettbewerben gehe es aber auch nicht um eine Berufsvorbereitung, sondern um die Freude an der Musik, darum, sich da mit anderen Jungmusikern zu messen. "Wenn einer ein Leben lang musiziert und Arzt ist, ist das auch etwas", sagt Roczek. "Ein Leben ohne Musik ist ein ärmeres."

Wiener Zeitung, Dienstag, 13. September 2011