Symbole aus Stein und Bronze#
Das Renner-Denkmal#
Fotos und Text: Peter Diem
Karl Renner wurde am 14. Dezember 1870 in Unter-Tannowitz bei Nikolsburg als 18. Kind einer verarmten Weinbauernfamilie geboren. In seinen Lebenserinnerungen weist er darauf hin, dass beide seiner Elternteile „aus uraltem deutschen Bauernstamme" kamen. In mehreren Situationen seines Lebens schlug sich sein ererbtes sudetendeutsches Bewusstsein in einer deutsch- und anschlussfreundlichen Einstellung nieder - ähnlich wie bei dem aus Nordböhmen stammenden Theodor Kardinal Innitzer. Renner gehörte seit 1907 dem Reichsrat an. Er war Führer des rechten, gemäßigten Flügels der österreichischen Sozialdemokratie. Als Staatskanzler trat er 1918-1920 an der Wiege der Republik dafür ein, dass sich diese als „Deutschösterreich" bezeichnen und zum Bestandteil der Deutschen Republik erklären solle. Dr. Karl Renner setzte sich auch in St. Germain unablässig für die Vereinigung Österreichs mit Deutschland ein. So schrieb er 1931 dem späteren NS-Bürgermeister von Wien, Dr. Hermann Neubacher, in einem Brief, dass man mit ihm, Renner, werde rechnen können, wenn es um einen Anschluss an Deutschland gehe.
Siegfried Nasko, Karl Renner - Zwischen Anklage und Verherrlichung. Zur Eröffnung des Karl-Renner-Museums in Gloggnitz. In: morgen, Nr. 19/1981, 307
Renner war Präsident des Nationalrates bis zum 4. März 1933, als er als Parlamentspräsident zurücktrat und damit ungewollt zur sogenannten „Selbstausschaltung" der Volksvertretung beitrug, da in weiterer Folge auch der Zweite und der Dritte Präsident zurücktraten. Er wurde später - wie Theodor Körner - vom ständestaatlichen Regime in Haft genommen. Nach dem „Anschluss" wurde Renner in Gloggnitz unter eine Art Hausarrest gestellt, durfte jedoch einmal pro Woche zu einer Tarockpartie nach Wien fahren. Als die Nationalsozialisten bei ihm die Akten von St. Germain und das goldene Staatssiegel suchten, stellte sich heraus, dass dieses bei der unter dem Abwaschbecken verwahrten Küchenwaage als Gewichtsersatz Verwendung gefunden hatte - wieder werden wir daran erinnert, welcher Wert österreichischen Staatssymbolen manchmal beigemessen wird! Am 3. April 1938 ließ Karl Renner in einem Interview für das „Neue Wiener Tagblatt" die staunende österreichische Öffentlichkeit wissen, dass er „die große geschichtliche Tat des Wiederzusammenschlusses der deutschen Nation freudigen Herzens begrüße". Neben dem Motiv der Anpassung wollte Renner mit dieser Erklärung vermutlich auch den damaligen Zentralsekretär der Sozialdemokratischen Partei, Dr. Robert Danneberg, der mit anderen prominenten Österreichern am 1. April 1938 in das KZ Dachau gebracht worden war, schützen. Darüber hinaus verfasste Renner noch eine 80-seitige Denkschrift: „Die Gründung der Republik Österreich, der Anschluß und die Sudetendeutschen. Dokumente eines Kampfes", die er angeblich dem deutschen Außenamt 1938 zur Verfügung stellte. Die Broschüre existiert nur in Druckfahnen.
Walter Kleindel, „Gott schütze Österreich". Der Anschluss 1938. Wien 1988, 209 ff.
Oberkofler/Rabofsky, Pflichterfüllung für oder gegen Österreich, a. a. O., 31.
Heinz Fischer, Karl Renner und sein Manuskript über den Anschluss und die Sudetendeutschen. In: Anton Pelinka et al. (Hg.), Zwischen Austromarxismus und Katholizismus. Festschrift für Norbert Leser. Wien 1993
1945 trat Renner wieder auf den Plan: Als er sich in der Kommandantur Gloggnitz über Plünderungen und Vergewaltigungen durch Soldaten der Roten Armee beschwerte, erkoren ihn die Sowjets zu ihrem Mann der ersten Stunde. Der Name Karl Renner war ja den zuständigen sowjetischen Politoffizieren ohnedies bekannt. Geschickt präsentierte sich Renner in einem Brief an Stalin, in welchem er dessen Feind Trotzki erwähnte, als etwas seniler, aber weitblickender sozialistischer Politiker und Garant eines unabhängigen Österreichs. Stalin, der den „alten Fuchs" aus seiner Wiener Zeit kannte, vermeinte leichtes Spiel mit dem Polit-Pensionisten zu haben und bestellte ihn zum Staatskanzler. So kam Renners Name nicht nur auf die „Totenscheine" des Habsburgerreiches und der Ersten Republik, sondern auch auf die „Geburtsurkunden" der österreichischen Staatsgebilde von 1918 und 1945. Karl Renner hat sich - wie wir an anderer Stelle berichten - nicht nur um das Staatswappen der Ersten Republik, sondern auch um eine Bundeshymne für dieselbe gekümmert. Das erinnert daran, dass sich auch Lenin persönlich mit dem sowjetischen Staatswappen befasst hatte - so wie patriarchalische Firmenchefs auch heute noch gelegentlich den Zeichenstift zur Hand nehmen, um ein Firmen-Logo zu entwerfen (was man dann meist auch an dessen graphischer Qualität erkennen kann). Eine kritische Würdigung des Politikers und Publizisten Dr. Karl Renner bezeichnet es als das Auffallende an seiner Person, dass er immer wieder als Repräsentant der jeweils herrschenden Strömung erschien: „Niemals kämpfte er gegen diesen Hauptstrom an."
Anton Pelinka, Karl Renner zur Einführung. Hamburg 1989, 99, 103
Es soll an dieser Stelle jedoch betont werden, dass es ungerecht wäre, Karl Renner einfach in ein deutschnationales Eck zu stellen, ohne seinen Mut, seinen Einfallsreichtum und seinen sicheren Instinkt, im entscheidenden Augenblick das Richtige zu sagen und zu tun, zu würdigen.
„Die schäbige Aktentasche, die er auch am 29. April 1945 vom Rathaus zum Parlament schleppte, war das Requisit seiner politischen Genialität: Wenn sich die anderen an den Beratungstisch setzten, konnte er aus dieser Aktentasche immer schon die fertigen Gesetzesentwürfe auf die Tischplatte legen." (Hellmut Andics).
Bedingung der Ausschreibung durch den Verein war es erstens, Gründung (1918) und Wiedererrichtung (1945) der Republik Österreich, an der Karl Renner maßgeblichen Anteil hatte, künstlerisch zum Ausdruck zu bringen, und zweitens, den Text der österreichischen Unabhängigkeitserklärung
„inschriftlich in die Komposition des Denkmals aufzunehmen".
Diesen beiden Bedingungen sollte durch eine aus zwei Bögen emporwachsende Säule vor einer leicht geschwungenen Mauer mit dem Text vom 27. April 1945 entsprochen werden (Abbildung oben). Doch die Rathausmehrheit konnte sich nicht dazu durchringen, dieser Gestaltung an der Ecke Stadiongasse-Ring ihre Zustimmung zu geben.
So wurde am 27. April 1967 der Öffentlichkeit eine weitaus konventionellere Lösung vorgestellt (großes Bild oben): Das für den am Silvestertag 1950 verstorbenen ersten Bundespräsidenten der Zweiten Republik errichtete Denkmal besteht aus einem silbern schimmernden Metallkopf, geschaffen von Alfred Hrdlicka, umgeben von einem Baldachin aus zwölf 6 Meter hohen zarten Stahlsäulen, entworfen von Dipl. Ing. Josef Krawina. Wer nun glaubt, diese Lösung hätte keinerlei Widerstände ausgelöst, irrt gewaltig. Hrdlicka mußte sich gegen wütende Proteste und Angriffe, insbesondere aus dem Fußvolk der SPÖ, zur Wehr setzen.
Was dem unbefangenen Betrachter des Renner-Denkmals kaum auffallen wird, mutet bei genauem Hinsehen eher seltsam an:
Der schwarze Marmorblock mit dem Kopf des Staatsmannes steht nicht im Zentrum der mittleren der neun quadratischen Sockelplatten, sondern ist leicht zum Parlament hin verschoben, sodass sich der Kopf auch nicht mehr in der Mitte unter den oben fast kreisförmig zusammenlaufenden Säulen befindet. Man kann über die Bedeutung dieser ungewöhnlichen Anordnung Spekulationen in mehrere Richtungen anstellen.
- Als ein Motiv für die leichte Verschiebung der Kopfplastik in südliche Richtung bietet sich an, dass dies ein letzter Gruß der Freimaurer an ihr prominentes Mitglied Dr. Karl Renner war: der Platz der Gesellen in der Loge ist ja im Süden, im „Mittag". Wenn ein „Vollendeter Bruder" also symbolisch zum „Großen Baumeister aller Welten" aufblickt, so ist sein Platz in der Ewigkeit ein wenig südlich (rechts) der Mitte.
- Ein zweites Motiv könnte der Hinweis darauf sein, dass Renner als Repräsentant des rechten Flügels der Sozialdemokratie galt.
- Eine dritte Möglichkeit wäre die Annahme, dass durch die Verschiebung der Lage des Kopfes zum Parlamentsgebäude hin angedeutet werden sollte, dass das Parlament die wichtigste Wirkungsstätte im Leben Karl Renners war.
- Die letzte - bei einem Symbol dieser Art, wie wir wissen, nie völlig auszuschließende - Variante besteht darin, dass es sich einfach um ein Versehen bei der Ausführung des Baues handelt.
So stand es in meinem Buch 1995. In Wahrheit stellte sich im Jahre 2001 Folgendes heraus: die asymetrische Anordnung war Absicht.
In einem Brief von Architekt Prof. Josef Krawina an den Autor vom 20.12.2001 heißt es:
"In der Tat hat die 'Außermittig-Setzung' des Sockels beim Dr. Karl Renner-Denkmal im Wiener Rathauspark eine tiefere Bedeutung: Dr. Karl Renners Wahlempfehlung im März 1938 für 'Hitlerdeutsschland' bewog mich zur asymetrischen Lösung. Ich wollte damit einfach dokumentieren, dass die Bevölkerung nicht einheitlich hinter der Person Renners stand. Zudem (wie das Leben so spielt?) ergeben die nunmehr angeordneten Quader insgesamt vom Gesichtspunkt der Stein-Massen ein geschlosseneres, harmonischeres Gesamtbild (das war meine offizielle, damalige Begründung)..." Wer hätte das gedacht!