Hugo von Hofmannsthal#
Geistige Kräfte#
Es fehlt in Österreich selten an geistigen Kräften, öfters an dem Willen, von ihnen Gebrauch zu machen.(Vorwort zu "Grillparzers politischem Vermächtnis, Leipzig, 1916)
Österreichische Idee#
Nur wollend und gläubig kann die österreichische Idee erfasst werden, und ohne das Licht und ohne einen Hauch von geistigem Universalismus kann ein zukünftiges Oesterreieh weder gewollt, noch geglaubt werden.(Die österreichische Idee. 1917).
Ausgleich#
Das Europa, das sich neu formen will, bedarf eines Österreich ... Ausgleich der alteuropäischen lateinisch-germanischen mit der neueuropäischen Slawenwelt.Gebilde des Geistes#
Österreich ist ein Gebilde des Geistes, aber immerzu will eine neidische Gewalt es zurückreißen ins Chaos.
(Reden und Aufsätze)
Der Preuße und der Österreicher#
Dieses Blatt, das der Dichter 1019 erscheinen ließ, ist kennzeichnend für die Großzügigkeit und Gerechtigkeit, mit der der gute Österreicher sich selbst und seinen Antipoden betrachtete: es sticht wohltuend ab von der apodiktischen Arroganz, mit der in den vergangenen sieben Jahren alles, was „deutsch" war (nazistisch-„deutsch"), gegen alles, was sich davon unterschied, ausgespielt wurde. So wird man das Blatt weniger um seiner politischen Tragweite als um seiner weltweiten Menschlichkeit willen dankbar wiederlesen. (Der Turm, Jahrgang II, Nr. 2/September 1946)
Im Ganzen#
Preußen:
Geschaffen, ein künstlicher Bau, von Natur armes Land, alles im Menschen und von Menschen, daher: Staatsgesinnung als Zusammenhaltendes, mehr Tugend, mehr Tüchtigkeit.
Österreich: Gewachsen, geschichtliches Gewebe, von Natur reiches Land, alles von außen her: Natur und Gott, Heimatliebe als ZusammenhaltendeSj mehr Frömmigkeit, mehr Menschlichkeit.
Soziale Struktur#
Preußen:
Ein undichtes soziales Gewebe, die Stände in der Kultur geschieden; aber präzise Maschinerie.
Niedriger Adel scharf gesondert, einheitlich in sich.
Homogene Beamtenwelt: Träger eines Geistes.
,Herrschende' Anschauungen und Gepflogenheiten.
Volk: Disziplinierbarste Masse, grenzenlose Autorität (Armee, wissenschaftliche Sozialdemokratie).
Höchste Autorität der Krone.
Österreich:
Ein dichtes soziales Gewebe, die Stände in der Kultur verbunden; die Mechanik des Ganzen unpräzise.
Hoher Adel reich an Typen, politisch uneinheitlich.
Polygene Beamtenwelt: Keine geforderte Denk- und Fühlweise.
Volk: Selbständigste Masse, unbegrenzter Individualismus. Höchstes Zutrauen der Krone.
Der Einzelne: #
Der Preuße:
Aktuelle Gesinnung (um 1800 kosmopolitisch, um 1848 liberal, jetzt bismarckisch, fast ohne Gedächtnis für vergangene Phasen).
Mangel an historischem Sinn.
Stärke der Abstraktion.
Unvergleichlich in der geordneten Durchführung.
Handelt nach der Vorschrift.
Starke der Dialektik.
Größere Gewandtheit des Ausdrucks.
Mehr Konsequenz.
Selbstgefühl.
Scheinbar männlich.
Verwandelt alles in Funktion.
Behauptet und rechtfertigt sich selbst.
Selbstgerecht, anmaßend, schulmeisterlich.
Drängt zu Krisen.
Kampf ums Recht.
Unfähigkeit, sich in andere hineinzudenken.
Gewollter Charakter.
Jeder Einzelne Träger eines Teiles der Autorität.
Streberei.
Vorwiegen des Geschäftlichen.
Harte Übertreibung.
Der Österreicher:
Traditionelle Gesinnung, stabil fast durch Jahrhunderte.
Besitzt historischen Sinn.
Geringe Begabung für Abstraktion.
Rascher in der Auffassung.
Handelt nach der Schicklichkeit.
Ablehnung der Dialektik.
Mehr Balance.
Mehr Fähigkeit, sich im Dasein zurechtzufinden.
Selbstironie.
Scheinbar unmündig.
Biegt alles ins Soziale um.
Bleibt lieber im Unklaren.
Verschämt, eitel, witzig.
Weicht den Krisen aus.
Lässigkeit.
Hineindenken in andere bis zur Charakterlosigkeit.
Schauspielerei.
Jeder Einzelne Träger einer ganzen Menschlichkeit.
Genußsucht.
Vorwiegen des Privaten.
Ironie bis zur Auflösung.