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186 dezember 1900
IchhaltedieBeatricefürdasreifsteundreichsteWerk,dasSchnitzler
noch geschaffen hat, weil es von allen kleinen Neigungen und Lau-
nen, die ihn sonst bedrohten, frei und rein ist. Seine anderen Werke
scheinen mir eine falsche Perspective zu haben: sie nehmen die
85 nächsten Beziehungen, von welchen sich ein wohlhabender jun-
ger Wiener unserer Zeit umgeben sieht, für wichtiger und ernster,
als diese, menschlich genommen, doch wohl eigentlich sind. Für
jeden Menschen mag es ja das Schwerste sein, sich durch die vie-
len Empfindungen und Stimmungen, die der Tag gibt und nimmt,
90 nicht verwirren zu lassen, sondern sich allmählich doch zu besin-
nen, was denn eigentlich für ihn Lusti und Leid, ja den wahren
WerthdesLebensausmacht,undnunallesAndereabzuwerfen,dies
aber fortan mit ganzer Seele zu vertheidigen. Den Jüngling reizt es,
zu erfahren, wie bunt das Leben ist, und so rennt er jedem Aben-
95 teuer nach. Aber der Mann verlangt zu wissen, was denn eigentlich
am Leben selber ist; er hat nicht mehr die Zeit, leichtsinnig das
große Schauspiel zu bewundern; er fragt besorgt nach dem Ende,
er fragt um den Sinn, und sein Gewissen regt sich. Er will Ord-
nung machen und erkennen, was unsere Bestimmung sei und wie
100 sie sich zeige. Was ist das Wesentliche an einem Menschen? Wie er
ist, werden die Einen antworten. Was er thut, meinen die Anderen.
DieLyrikerglaubendasLebenauszusprechen,wennsie sagen,was
einMenschdabeiempfindet.InZeitenvongroßerKraftundLeiden-
schaft wird eine dramatischere Anschauung lebendig: An Gefühlen
105 können sich zwei Menschen gleichen – ob sie die Macht haben, ihr
inneres Gefühl dem äußeren Leben aufzudrücken, also das Werk,
die That sei es, die ihren Werth erst bestimmen. Doch die Weisen,
die das Gewirr und Gewühl der Welt einmal von der Höhe ange-
sehen haben, glauben zu bemerken, daß gar nicht, was Einer ist,
110 und nicht, was er thut, sondern allein, was er leidet, sein eigentli-
chesWesenenthält.Eskommt,umdasGeheimnißeinesMenschen
zu begreifen, gar nicht darauf an, was er bei sich an zärtlichen oder
zornigen, stillen oder stolzen, sanften oder starken Gefühlen hegt,
undauchnicht,waserwollendundhandelndverrichtethat,sondern
115 was sich mit ihm begibt,was ihmgeschieht, ist es, das ihn vonallen
anderen abtrennt. Durch sein Geschick wird erst offenbar, was an
einemMenschenist;hierkannersicherstzeigen:wieEinerseinLos
besteht,daranerkennenwir,waserwerth ist. Schon imeinfachsten
und doch größten Verhältniß des Lebens, dem der Geliebten zum
120 Manne,wirdesunsfühlbar,wiegeringdochanunseremGlückoder
Unglück unser eigener Antheil ist. Derselbe Mann wird in jedem
VerhältnißzueineranderenFraueinAnderersein;jaderselbeMann,
selbst wieder mit derselben Frau verbunden, aber anderen Zufällen
ausgesetzt, wird sich ganz verwandelt zeigen. Unsere Schuld, unser
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Arthur Schnitzler & Hermann Bahr
Briefwechsel, Aufzeichnungen, Dokumente 1891–1931
- Title
- Arthur Schnitzler & Hermann Bahr
- Subtitle
- Briefwechsel, Aufzeichnungen, Dokumente 1891–1931
- Editor
- Kurt Ifkovits
- Martin Anton Müller
- Publisher
- Wallstein Verlag
- Location
- Göttingen
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8353-3228-7
- Size
- 14.6 x 23.4 cm
- Pages
- 1010
- Categories
- Weiteres Belletristik
Table of contents
- 1891 7
- 1892 18
- 1893 31
- 1894 64
- 1895 91
- 1896 115
- 1897 135
- 1898 160
- 1899 167
- 1900 173
- 1901 192
- 1902 222
- 1903 246
- 1904 288
- 1905 338
- 1906 371
- 1907 386
- 1908 401
- 1909 413
- 1910 433
- 1911 447
- 1912 463
- 1913 480
- 1914 492
- 1915 497
- 1916 502
- 1917 507
- 1918 510
- 1919 526
- 1920 536
- 1921 539
- 1922 547
- 1923 570
- 1924 583
- 1925 584
- 1926 585
- 1927 586
- 1928 588
- 1929 590
- 1930 593
- 1931 598
- 1932 604
- 1934 606
- 1936 607
- 1962 610
- Quellennachweis und Erläuterungen 632
- Buchausgaben im gegenseitigen Besitz 787
- Theaterbesuche 792
- Auszüge aus Schnitzlers Tagebuch 793
- Editorische Richtlinien 796
- Die Korrespondenz Bahr –Schnitzler 813
- Nachwort 820
- Dank 864
- Verzeichnis der Dokumente 866
- Korrespondenzpartner 902
- Register 916