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mai 1902 229
daß die Stelle recht lang unbesetzt bleibt. Ja, so Einer muß auf sich
schauen, das ist er der Welt schuldig – verstehen S’, Borromäus?...
Haben Sie denn gar nichts bemerkt am Heinrich? Haben Sie denn
20 nie den Schein um seinen Kopf bemerkt? Na, seh’n Sie!« Da tritt
Heinrich in den Garten. Er ist früher zurückgekehrt, als er gedacht
hat.Erwarzuerst inSalzburg,daswahrhaftigeineStadtdesTrostes
ist, mit seinem reizenden Rococogarten in Hellbrunn, wo er schon
vor Jahren einmal von einem tiefen Schmerze genesen ist. Diesmal
25 war es freilich nichts, keine Spur von Erleichterung. Der Beamte
bemerkt: »Es gibt also Fälle, wo Hellbrunn nicht wirkt.« Heinrich
ist dann nach München, in die alte Pinakothek, zu seinen gelieb-
ten Dürer und Holbein. Da hat er zum ersten Male nach langer,
nach sehr langer Zeit wieder aufgeathmet. Aber das war auch nur
30 ein Moment. Kaum auf der Straße, hat er sich wieder so leer und
wirr gefühlt, als wäre Alles in ihm vernichtet. Er kann nicht mehr
arbeiten! Seit zwei, drei Jahren schon nicht mehr, seit der Erkran-
kung seiner Mutter. Ein geliebtes Wesen, eine Mutter leiden sehen,
soleidenundwissen,daßsiedemTodeentgegensiechtunddaßsiees
35 ahnt! Die Erinnerung macht ihn weich: Wenn ich sie nur noch ein-
mal,nurfüreinenAbendwiederhiersitzensähe,wieVielesgäb’ ich
dafürhin!Was?fragtderAltebitter.UndHeinrich,nichtohneleise
zu zögern: Es ist mir, als wenn ich meine ganze Zukunft, als wenn
ich Alles, was ich noch leisten, Alles, was ich noch erreichen will,
40 dafür hingeben könnte. Worauf der Alte: Sei nicht bös, Heinrich,
das glaubst Du selber nicht. Er glaubt an den Schmerz der Herren
Dichter nicht; er kennt sie Alle, er weiß, wie sie sind. Er hat ein-
malsoeinenCollegen imAmtgehabt, einenMusiker,der,während
sein kleiner Bub im selben Zimmer aufgebahrt gelegen, beim Cla-
45 viergesessen istundgespielthat–»underspieltundhörtnichtauf,
wie ichkomme,sondernnicktmirzu,undwie ichhinter ihmstehe,
sagt er leise: Hören Sie, Herr Hausdorfer, das ist für mein armes
Buberl; grad ist mir die Melodie eingefallen. Und das todte Kind
liegt daneben im Sarg. – Ja. Mir ist es über den Rücken gelaufen.«
50 Heinrich versteht ganz gut, daß viele und gerade sehr vortreffliche
Menschen solchen Dingen gegenüber eine Art Grauen empfinden
mögen. Hausdorfer nickt: »Grauen – ja. Das wird schon das rechte
Wortsein.«Aber,wendetHeinrichein,sagenSieselbst,HerrHaus-
dorfer: sind die Leute nicht eigentlich beneidenswerth, denen es so
55 schnell gelingt, sich hinauszuretten – in ihren Beruf, in ihre Kunst?
DievielleichtsogardiewunderbareFähigkeithaben, ihrenSchmerz
in ihrer Weise zu gestalten, statt ihn in nutzlosen Thränen hinströ-
men zu lassen? Und da Hausdorfer höhnt: Gestalten – weckt das
dieTodtenwiederauf?, fährter fort:»SowenigalsdieThränen.Ich
60 sage auch nicht, daß die Freude an der Arbeit das Leid über ein ent-
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Arthur Schnitzler & Hermann Bahr
Briefwechsel, Aufzeichnungen, Dokumente 1891–1931
- Title
- Arthur Schnitzler & Hermann Bahr
- Subtitle
- Briefwechsel, Aufzeichnungen, Dokumente 1891–1931
- Editor
- Kurt Ifkovits
- Martin Anton Müller
- Publisher
- Wallstein Verlag
- Location
- Göttingen
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8353-3228-7
- Size
- 14.6 x 23.4 cm
- Pages
- 1010
- Categories
- Weiteres Belletristik
Table of contents
- 1891 7
- 1892 18
- 1893 31
- 1894 64
- 1895 91
- 1896 115
- 1897 135
- 1898 160
- 1899 167
- 1900 173
- 1901 192
- 1902 222
- 1903 246
- 1904 288
- 1905 338
- 1906 371
- 1907 386
- 1908 401
- 1909 413
- 1910 433
- 1911 447
- 1912 463
- 1913 480
- 1914 492
- 1915 497
- 1916 502
- 1917 507
- 1918 510
- 1919 526
- 1920 536
- 1921 539
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- 1923 570
- 1924 583
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- 1928 588
- 1929 590
- 1930 593
- 1931 598
- 1932 604
- 1934 606
- 1936 607
- 1962 610
- Quellennachweis und Erläuterungen 632
- Buchausgaben im gegenseitigen Besitz 787
- Theaterbesuche 792
- Auszüge aus Schnitzlers Tagebuch 793
- Editorische Richtlinien 796
- Die Korrespondenz Bahr –Schnitzler 813
- Nachwort 820
- Dank 864
- Verzeichnis der Dokumente 866
- Korrespondenzpartner 902
- Register 916