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230 mai 1902
schwundenesWesenaufwiegt.Aber istesnichtendlichdasEinzige,
was uns übrig bleibt: arbeiten? Werden Sie nicht Ihren Garten pfle-
gen wie zuvor? Und ich – ja, ich ersehne den Tag, da ich wieder
fähig sein werde, etwas Ordentliches zu schaffen wie früher einmal.
65 InsUnabänderlichemüssenwirunsfügen.«AbernunwirdderAlte
geheimnißvoll: es war nicht unabänderlich. Und allmälig rückt er
heraus:dieHofräthinhatsichgetödtet,seinetwegen,fürihrenSohn,
weil siegemerkthat,daßihnihreKrankheit inseinemBerufgestört
hat,daßernichtmehrarbeitenkonnte,daßerAngstumseinTalent
70 bekommenhat,umihnzubefreien–hier ist ihr letzterBriefan ihn,
der es beweist! Heinrich taumelt, erschüttert. Aber warum hat der
Alte es ihm gesagt, da ihn die Mutter doch ausdrücklich beschwo-
ren hat, dem Sohne nichts zu verrathen? Warum? Und er fährt ihn
heftig an: »Sie haben durch Ihre Verfügung den ganzen Sinn dieses
75 freiwilligen, dieses Opfertodes zerstört. Ihr Wille war es nicht, daß
ich mich als Mörder fühlen, als ein Verdammter auf der Welt her-
umgehen sollte! Und Sie werden vielleicht später selbst empfinden,
daßSienichtnuranmir, sondernauchanihreinUnrechtbegangen
haben, das beinah das meine aufwiegt.« Er wird seine ganze Kraft
80 brauchen, damit fertig zu werden und sich aufzuraffen – das ist ja
sein Recht, wohl sogar seine Pflicht, da er doch nur die Wahl hat,
entweder sich selbst zu tödten oder den Beweis zu versuchen, daß
seine Mutter nicht vergeblich gestorben ist. Und wieder bricht der
Alte inseinerdumpfenWuth los:»Heinrich!VoreinemMonathat
85 Deine Mutteri noch gelebt, und Du kannst so reden? Für Dich hat
siesichumgebracht,undDugehsthinundschüttelstesvonDirab?
Und in ein paar Tagen nimmst Du’s vielleicht hin, als wär’ es ihre
Schuldigkeitgewesen?Hab’ichnichtRecht:seidihrnichtEinerwie
der Andere? Hochmüthig seid ihr – das ist es: hochmüthig, Alle,
90 die Großen wie die Kleinen! Was ist denn Deine ganze Schreiberei,
und wenn Du das größte Genie bist, was ist sie denn gegen so eine
Stunde, so eine lebendige Stunde, in der Deine Mutter hier auf dem
Lehnstuhlgesessenistundzuunsgeredethatoderauchgeschwiegen
– aber da ist sie gewesen – da! und sie hat gelebt, gelebt!« Und wie-
95 dermußderDichtersichbehaupten:»LebendigeStunden?Sieleben
doch nicht länger als der Letzte, der sich ihrer erinnert. Es ist nicht
der schlechteste Beruf, solchen Stunden Dauer zu verleihen, über
ihre Zeit hinaus. – Leben Sie wohl, Herr Hausdorfer. Ihr Schmerz
gibt Ihnen heute noch das Recht, mich mißzuverstehen. Im Früh-
100 jahr, wenn Ihr Garten auf’s Neue blüht, sprechen wir uns wieder.
DennauchSie lebenweiter.«
Der Vorhang geht wieder auf und wir erblicken einen kleinen Saal
in einem Museum. Bilder der italienischen Renaissance. Eines stellt
eine sehr schöne Frau in weißem Kleide vor, einen Dolch in der
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Arthur Schnitzler & Hermann Bahr
Briefwechsel, Aufzeichnungen, Dokumente 1891–1931
- Title
- Arthur Schnitzler & Hermann Bahr
- Subtitle
- Briefwechsel, Aufzeichnungen, Dokumente 1891–1931
- Editor
- Kurt Ifkovits
- Martin Anton Müller
- Publisher
- Wallstein Verlag
- Location
- Göttingen
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8353-3228-7
- Size
- 14.6 x 23.4 cm
- Pages
- 1010
- Categories
- Weiteres Belletristik
Table of contents
- 1891 7
- 1892 18
- 1893 31
- 1894 64
- 1895 91
- 1896 115
- 1897 135
- 1898 160
- 1899 167
- 1900 173
- 1901 192
- 1902 222
- 1903 246
- 1904 288
- 1905 338
- 1906 371
- 1907 386
- 1908 401
- 1909 413
- 1910 433
- 1911 447
- 1912 463
- 1913 480
- 1914 492
- 1915 497
- 1916 502
- 1917 507
- 1918 510
- 1919 526
- 1920 536
- 1921 539
- 1922 547
- 1923 570
- 1924 583
- 1925 584
- 1926 585
- 1927 586
- 1928 588
- 1929 590
- 1930 593
- 1931 598
- 1932 604
- 1934 606
- 1936 607
- 1962 610
- Quellennachweis und Erläuterungen 632
- Buchausgaben im gegenseitigen Besitz 787
- Theaterbesuche 792
- Auszüge aus Schnitzlers Tagebuch 793
- Editorische Richtlinien 796
- Die Korrespondenz Bahr –Schnitzler 813
- Nachwort 820
- Dank 864
- Verzeichnis der Dokumente 866
- Korrespondenzpartner 902
- Register 916