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252 märz 1903
aufrichtig,meistensderverbummelteSkribent immernocherträgli-
cheristalseinalbernerAristokrat,wasderDichterselbstwohlauch
ganzgutweiß.Derstärkste istderdritte,die»LetztenMasken«,wo
65 die innere Verwilderung eines raté so grausam neben die innere
Erstarrung eines Günstlings gestellt wird, daß wir uns am Ende
ganz entsetzt sagen: Verunglücken oder reussieren, es wird einem
dieWahlschwer,daseinebringtdenMenschenebensoherabalsdas
andere!Derliebste istmirdie»FraumitdemDolch«.Ichhabeauch
70 den ersteni sehr gern, die »Lebendigen Stunden«, um ihrer herbstli-
chenWehmutundStillewillen,wennsieauchfreilichauf lyrischen
Füßen leiser gehen, als es im Theater, will man wirken, erlaubt ist.
Aber die »Frau mit dem Dolche« ziehe ich noch vor, weil sie an
unsere tiefsten Stimmungen rührt. Freilich fragt das Publikum am
75 Ende,wassiedenneigentlich»bedeuten«,wasdasGanzeheißensoll,
undeswill,daßwirihmdenSinnbeiHellerundPfennigvorrechnen
undherausbezahlensollen.WoraufichschonvorigesJahrgeantwor-
tethabe:Wennichdaskönnte,wäreerkeinDichterundeswärekein
Gedicht. Wie es einem nun aber meistens passiert, wenn man sich
80 vergißt und einmal etwas Gescheites sagt, habe ich dadurch man-
cheLeutesehraufgebrachtundsiehabenmichausgelacht. Ichkann
ihnen jedoch nur wiederholen, daß es wirklich das Amt der Poesie
war, ist und sein wird, Unaussprechliches, da es sich mit Worten
nicht mitteilen läßt, uns an einem Beispiele, an einem Falle zu zei-
85 gen, der uns, was nun einmal nicht gesagt werden kann, wenigstens
fühlen läßt. Wer mir das nicht glauben will, schlage seinen Hebbel
nach, wo geschrieben steht: »Wehe dem Dichter, dessen Werk man
im gemeinen Verstande kapieren kann! Er ist entweder nichts oder
hat wenigstens nichts gemacht.« Oder er erinnere sich, daß Goethe
90 die Kunst »eine Vermittlerin des Unaussprechlichen« genannt und
darum resolut gesagt hat: »Je inkommensurabler und für den Ver-
standunfaßlichereinepoetischeProduktion,destobesser.«
Die »Frau mit dem Dolch« schlägt manches an, was wohl jeder
einmal gespürt hat, wenn man sich sonst auch gern beeilt, von sol-
95 chenunheimlichenStimmungenloszukommen.Wirtunoft,wasfür
uns gar keinen Sinn hat, was uns auch nicht einmal Freude macht,
was wir eigentlich gar nicht wollen, wovon wir uns geheimnisvoll
gewarnt fühlen, wovor wir eher zurückschauern. Aber es reizt uns.
Der Verstand zählt uns die Folgen vor. Wir sehen ein, er hat recht;
100 wir beschließen, ihm zu gehorchen. Es hilft aber alles nichts; wir
tunesdoch,odereigentlichmüßtemanfast sagen:eswirddochmit
uns getan. Es ist stärker als wir: es reizt uns. Es reizt uns, obwohl
es uns gar nicht freut, obwohl es uns gefährlich und verderblich ist.
Vielleicht gerade: weil es uns gefährlich und verderblich ist. Viel-
105 leicht gerade aus Lust an der Gefahr, am Verderben. Das ist doch
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Arthur Schnitzler & Hermann Bahr
Briefwechsel, Aufzeichnungen, Dokumente 1891–1931
- Title
- Arthur Schnitzler & Hermann Bahr
- Subtitle
- Briefwechsel, Aufzeichnungen, Dokumente 1891–1931
- Editor
- Kurt Ifkovits
- Martin Anton Müller
- Publisher
- Wallstein Verlag
- Location
- Göttingen
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8353-3228-7
- Size
- 14.6 x 23.4 cm
- Pages
- 1010
- Categories
- Weiteres Belletristik
Table of contents
- 1891 7
- 1892 18
- 1893 31
- 1894 64
- 1895 91
- 1896 115
- 1897 135
- 1898 160
- 1899 167
- 1900 173
- 1901 192
- 1902 222
- 1903 246
- 1904 288
- 1905 338
- 1906 371
- 1907 386
- 1908 401
- 1909 413
- 1910 433
- 1911 447
- 1912 463
- 1913 480
- 1914 492
- 1915 497
- 1916 502
- 1917 507
- 1918 510
- 1919 526
- 1920 536
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- 1923 570
- 1924 583
- 1925 584
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- 1930 593
- 1931 598
- 1932 604
- 1934 606
- 1936 607
- 1962 610
- Quellennachweis und Erläuterungen 632
- Buchausgaben im gegenseitigen Besitz 787
- Theaterbesuche 792
- Auszüge aus Schnitzlers Tagebuch 793
- Editorische Richtlinien 796
- Die Korrespondenz Bahr –Schnitzler 813
- Nachwort 820
- Dank 864
- Verzeichnis der Dokumente 866
- Korrespondenzpartner 902
- Register 916