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342 januar 1905
Jägerrocke unter das gemeine Volk geht, war diese Kunst des alten
Burgtheatersunddavondrangetwas in jedesGesprächjener jungen
Leute von 1890 ein und ein bißchen ist davon noch am »Freiwild«
hängen geblieben. Schauspieler, die in der Coulisse stehen, um
90 das Stichwort zu erwarten, pflegen sich dann, auf das Zeichen des
Inspizienten, plötzlich einen Ruck zu geben, der förmlich ihre
ganzeNaturzuspannenundzustreckenscheint.Das istes,was ich
an diesem Stücke manchmal zu spüren glaube, wie sich der Dichter
einen Ruck gibt. Es ist schon der Schnitzler, aber ein gespannter,
95 gestreckter, der den Kopf zurückwirft und sich ein bißchen auf die
Zehen stellt. Und ich spüre daran erst recht die ganze Kraft und
Schönheit seiner späteren Entwicklung, die keine Mahnung des
Inspizientenmehrbrauchtundnichtmehrvor denSpiegel tritt.
Inder Literatur wird»Freiwild« bleibenalsdas ersteSoldatenstück
100 unserer Zeit. Hartleben hat später durch sehr feines Detail, das er
sehr geschickt an eine wasserblaue Handlung band, stärker gewirkt
undBeyerleinhatesdannzumgrobentheatralischenEffektgedreht.
Ich meine übrigens, die Serie ist noch nicht aus, es wird noch man-
cher kommen, weil das Thema noch nicht erschöpft ist: in ihrem
105 letzten Wesen ist die Existenz eines Soldaten in unserer Zeit noch
nicht getroffen worden. Unsere Zeit verlangt von jedem, der in der
gesellschaftlichen Ordnung als Mitregent leben will, daß ihm diese
zur zweiten Natur werden muß. Die Bestimmung des Soldaten ver-
langt von ihm, immer für den Moment bereit zu sein, in welchem
110 die bürgerliche Ordnung plötzlich wieder aufgehoben, die zweite
Naturwiederzerrissenwird.ZuihremSchutze,umnichtvonjedem
Feindeumgeranntzuwerden,brauchtsieMännervoneinerArt,die
unterihremSchutzedocheigentlichgarnichtgedeihenkann.Damit
aus einem Menschen ein guter Bürger werde, müssen in ihm eben
115 jene Kräfte vertilgt oder doch verkümmert werden, die den guten
Soldatenmachen. Jemenschlichereiner ist, jegütigerundgerechter,
je mehr Herr über unsere tierische Wildheit, ein desto schlechterer
SoldatwirderimKriegesein.Undjeverwegener, leidenschaftlicher,
grausamer er sich in der Schlacht bewähren wird, desto schwerer
120 wird er sich in die bürgerliche Ordnung finden können, deren Ver-
teidigung aber dann schließlich doch wieder der Sinn seiner ganzen
Existenz ist.DergroßeReiz,dendersoldatischeBerufnoch immer
für viele hat, besteht wahrscheinlich darin allein, daß es zu diesem
Berufegehört,aufeinZeichenausallerOrdnungausbrechenzukön-
125 nenundwiederzumungezähmtenUrmenschenzuwerden,denuns
Erziehung, Kultur, Gesetz verleugnen lehrt. Es wird vom Soldaten
also eigentlich verlangt, daß er auf Kommando jetzt zum Urmen-
schen, jetztzumStaatsbürgerwerdenkann.Undwennichmireinen
nachdenklichenundmitsichaufrichtigenMenschendenke,demdies
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Arthur Schnitzler & Hermann Bahr
Briefwechsel, Aufzeichnungen, Dokumente 1891–1931
- Title
- Arthur Schnitzler & Hermann Bahr
- Subtitle
- Briefwechsel, Aufzeichnungen, Dokumente 1891–1931
- Editor
- Kurt Ifkovits
- Martin Anton Müller
- Publisher
- Wallstein Verlag
- Location
- Göttingen
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8353-3228-7
- Size
- 14.6 x 23.4 cm
- Pages
- 1010
- Categories
- Weiteres Belletristik
Table of contents
- 1891 7
- 1892 18
- 1893 31
- 1894 64
- 1895 91
- 1896 115
- 1897 135
- 1898 160
- 1899 167
- 1900 173
- 1901 192
- 1902 222
- 1903 246
- 1904 288
- 1905 338
- 1906 371
- 1907 386
- 1908 401
- 1909 413
- 1910 433
- 1911 447
- 1912 463
- 1913 480
- 1914 492
- 1915 497
- 1916 502
- 1917 507
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- 1919 526
- 1920 536
- 1921 539
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- 1931 598
- 1932 604
- 1934 606
- 1936 607
- 1962 610
- Quellennachweis und Erläuterungen 632
- Buchausgaben im gegenseitigen Besitz 787
- Theaterbesuche 792
- Auszüge aus Schnitzlers Tagebuch 793
- Editorische Richtlinien 796
- Die Korrespondenz Bahr –Schnitzler 813
- Nachwort 820
- Dank 864
- Verzeichnis der Dokumente 866
- Korrespondenzpartner 902
- Register 916