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1962 613
sarkastisch gegen alles anerkannt Ehrwürdige, enthusiastisch von
allem Ungewohnten. Aufstöbemd und unbequem ist er auf jeden
Fall.
130 Im übrigen ist er ein hinreißender Redner; und man merkt, wie
gerneerbeioffiziellenGelegenheitendasWortergreift.Schonseine
Art, sich zu erheben, die freie Haltung seiner breiten Schultern, der
behaglich-humorvolle Dialekt, in dem er anhebt, gewinnt ihm freu-
dige Zustimmung; und es ist viel mehr das Wie als das, was er sagt,
135 womiterWärme, Sicherheit, gehobeneLauneumsichverbreitet.
Er hat es später selbst gestanden: alles beweisen können und an
nichts glauben – das ist die sophistische Form, in der er zunächst
derWeltgegenübersteht.DieFreudeamBaudeswohlgefügtenSat-
zes verführt ihn. Das Wort in seiner Schnellkraft und in seinem
140 GlanzhatermitgefährlicherGewandtheitgebrauchengelernt.Nur
daß es ihn allzu oft auf seine rauschenden Flügel nimmt und ihn
in Gegenden versetzt, die er sich nicht zum Ziel genommen, das
kannpassieren.Auchhater längstherausgefunden,daßessich»um
recht zu behalten, keineswegs darum handelt, im Recht zu sein«.
145 Vorläufig genügt es ihm, recht zu behalten. Das Ungenügen an der
peripherischen Wirkung des Wortes stellt sich erst allmählich ein.
Langsam dämmert die Ahnung herauf, daß das Wort etwas »über
allenBeweisenWahres,einewirklicheWahrheit«zuverkündenhat.
Aber dahin führt ein langer Weg. An seinem Beginn steht Eitelkeit,
150 anseinemEndedas Gewissen.
Im Jahre 1893 reist er in der Welt herum und befragt einige
bedeutende, berühmte Männer über das Wesen des eben heftig
aufflammendenAntisemitismus.ErstisterinDeutschlandbeiTheo-
dor Mommsen; der nennt den Antisemitismus die Gesinnung der
155 Kanaille. Er spricht mit Franzosen, Engländern, Spaniern über die
Frage und erhält von Henrik Ibsen die lakonische Auskunft, er
könne über den Antisemitismus nichts sagen, weil die ganze Bewe-
gung ihmvöllig unverständlichundunbegreiflichsei.i
Im Jahre 1895 wagt es Direktor Burckhard, »Liebelei«, das volks-
160 tümliche Werk eines fast unbekannten Autors, zur Uraufführung
imBurgtheater anzunehmen.
Als erster Einfall hieß das Schauspiel »Das arme Mädel« – und
der Stoff hatte verschiedene Wandlungen und Fassungen durchlau-
fen; begonnen im Spätherbst 1893, langsam reifend, bis die letzte
165 endgültige Form im Oktober 1894 in zweiundzwanzig Tagen abge-
schlossenwurde.DieSchriftderletztenSzenenzeigtdieBewegtheit
desSchreibenden. Erhatmirgestanden,daßergeweinthat.
Noch vor der Premiere liest Bahr das Manuskript. Er stellt keine
günstigePrognose.DasStückseizwar literarischsehrgutundbüh-
170 nenwirksam, aber einen Kassenerfolg werde es nicht erzielen. Die
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Arthur Schnitzler & Hermann Bahr
Briefwechsel, Aufzeichnungen, Dokumente 1891–1931
- Title
- Arthur Schnitzler & Hermann Bahr
- Subtitle
- Briefwechsel, Aufzeichnungen, Dokumente 1891–1931
- Editor
- Kurt Ifkovits
- Martin Anton Müller
- Publisher
- Wallstein Verlag
- Location
- Göttingen
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8353-3228-7
- Size
- 14.6 x 23.4 cm
- Pages
- 1010
- Categories
- Weiteres Belletristik
Table of contents
- 1891 7
- 1892 18
- 1893 31
- 1894 64
- 1895 91
- 1896 115
- 1897 135
- 1898 160
- 1899 167
- 1900 173
- 1901 192
- 1902 222
- 1903 246
- 1904 288
- 1905 338
- 1906 371
- 1907 386
- 1908 401
- 1909 413
- 1910 433
- 1911 447
- 1912 463
- 1913 480
- 1914 492
- 1915 497
- 1916 502
- 1917 507
- 1918 510
- 1919 526
- 1920 536
- 1921 539
- 1922 547
- 1923 570
- 1924 583
- 1925 584
- 1926 585
- 1927 586
- 1928 588
- 1929 590
- 1930 593
- 1931 598
- 1932 604
- 1934 606
- 1936 607
- 1962 610
- Quellennachweis und Erläuterungen 632
- Buchausgaben im gegenseitigen Besitz 787
- Theaterbesuche 792
- Auszüge aus Schnitzlers Tagebuch 793
- Editorische Richtlinien 796
- Die Korrespondenz Bahr –Schnitzler 813
- Nachwort 820
- Dank 864
- Verzeichnis der Dokumente 866
- Korrespondenzpartner 902
- Register 916