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616 1962
tur‹undsoweiterkommtmirunsagbardummvor.Herzlichstgrüßt
Dich DeinalterHermannBahr.«
Schnitzler dankt ihm mit Wärme: »... laß mich bei dieser Gelegen-
heit auch einmal sagen, wie sehr es mich freut, daß wir Beide über
265 die zeitweiligen Entfremdungen hinaus sind, die ja wahrscheinlich
bei manchen Naturen, wie den unsern, entwicklungsphysiologisch
bedingt und daher notwendig sind. (Du siehst, ich bin immer ›wis-
senschaftlich.‹)NunistdasAlterderMißverständnissewohlendgül-
tig fürunsvorbeiundwirsindsoweit,daßwireinander–vielleicht
270 auch ein bischen um unserer Fehler willen – Freunde sein und blei-
bendürfen.«
Zehn Jahr mußten vergehen, ehe dieser Ton gegenseitigen Einver-
ständnisses zwischen den beiden aufklingen konnte, die Zeit von
dreißig bis vierzig, Mannesjahre voll rätselhaft-geheimer Formung
275 des eigenen Ich bis zu dem entscheidenden Schritt in die Gestal-
tung der Umwelt. So verschieden ihre Naturen auf diese Umwelt
reagieren mußten – eins war gemeinsam in ihnen: ihre kritische
Liebe zu Wien. Nicht umsonst ist Wien die Stadt der Musik –
einer bestimmten Art des Musizierens. Wo es sich triebhaft auflö-
280 sen kann, dem sinnlich-schönen Klang schwelgerisch hingegeben,
fortgeschwemmt und bewußtlos gemacht in einer fast weiblichen
Gebärde – da ist Wien empfängilich und dankbar wie keine zweite
Stadt der Welt. Reiz für den flüchtigen Augenblick, Opiat gegen
die matte Wirklichkeit, Zerstreuung an Stelle der Sammlung – so
285 will Musik, so will alle Kunst hier verstanden sein. Was ihr in die-
serStadtverwehrt ist: ihrewahreSendung–formendesElementzu
sein, umbildender Griff in seelisch-geistiges Gebiet. Weiter als ins
BereichderEmotionendarf sienichtdringen–hierschlagenTüren
zu.
290 Nur in einer mittleren Sphäre will diese Stadt genießen und leben
– und darin ist sie meisterhaft ausbalanciert. Was darüber hinaus-
weist, ins Göttliche oder Dämonische reicht, erschreckt sie bis ins
Mark.Was ist es,das sie fürchtet?Nichtaufwachen,nicht innewer-
den,nichtklarsein!DasHebbel-Wort:»OhrührnichtandenSchlaf
295 derWelt«– nur inWienkonnteesaufkeimen.
Mit müden Augen, die viel Wechselvolles gesehen haben, schaut
diese Stadt den Lauf der Zeiten – ihr ist nichts so gut und nichts
soschlimm,alsdaßesnichtmitGleichmutertragenwerdenkönnte.
ImschönenAugenblickdasumflorteWissenumseineVergänglich-
300 keit – im Dulden das gelassene »was kannst machen?!« – das ist
ihreFormvonWiderstand;daseigeneElendlöstsichinSelbstironie,
allesPathosinParodieauf,unddieSkepsis istumglänztvonmildem
Schimmeraltersmüder Weisheit.
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Arthur Schnitzler & Hermann Bahr
Briefwechsel, Aufzeichnungen, Dokumente 1891–1931
- Title
- Arthur Schnitzler & Hermann Bahr
- Subtitle
- Briefwechsel, Aufzeichnungen, Dokumente 1891–1931
- Editor
- Kurt Ifkovits
- Martin Anton Müller
- Publisher
- Wallstein Verlag
- Location
- Göttingen
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8353-3228-7
- Size
- 14.6 x 23.4 cm
- Pages
- 1010
- Categories
- Weiteres Belletristik
Table of contents
- 1891 7
- 1892 18
- 1893 31
- 1894 64
- 1895 91
- 1896 115
- 1897 135
- 1898 160
- 1899 167
- 1900 173
- 1901 192
- 1902 222
- 1903 246
- 1904 288
- 1905 338
- 1906 371
- 1907 386
- 1908 401
- 1909 413
- 1910 433
- 1911 447
- 1912 463
- 1913 480
- 1914 492
- 1915 497
- 1916 502
- 1917 507
- 1918 510
- 1919 526
- 1920 536
- 1921 539
- 1922 547
- 1923 570
- 1924 583
- 1925 584
- 1926 585
- 1927 586
- 1928 588
- 1929 590
- 1930 593
- 1931 598
- 1932 604
- 1934 606
- 1936 607
- 1962 610
- Quellennachweis und Erläuterungen 632
- Buchausgaben im gegenseitigen Besitz 787
- Theaterbesuche 792
- Auszüge aus Schnitzlers Tagebuch 793
- Editorische Richtlinien 796
- Die Korrespondenz Bahr –Schnitzler 813
- Nachwort 820
- Dank 864
- Verzeichnis der Dokumente 866
- Korrespondenzpartner 902
- Register 916