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630 1962
mitmirgeschah,gibtmeinemLebenseinenstillen,gewaltiggroßen
Sinn.«
Dieser Sinn ist: Heimkehr. – »Nach dem Gesetz, nach dem du
angetreten...« – Wieviele Phasen er durchlaufen haben mag, er ist
870 geworden, was er von Anbeginn gewesen, er ist, was er so hart
bekämpft: ein österreichischer Mensch mit allen seinen Schichten,
seinen Widersprüchen, im Kampf mit seiner weitläufigen Natur,
Peer Gynt aus Oberösterreich, der seinen Ruhepunkt erst im Däm-
merlichtder Kirche findet.
875 Löst es sich nun auf in Weihrauchwolken und Engelchören, dies
reichbewegteLebenvollAufruhrundKetzerei?Wirhörenesnicht
mehr. Waswirnochhören, ist einweherTon.
»Mir ist das Furchtbarste geschehen, womit ein Mensch auf Erden
gezüchtigtwerdenkann.MeinVaterlandzerginginnichts. Ichhabe
880 kein irdisches Vaterland mehr; ich bin nirgends auf der weiten
Welt,inirgendsmehrdaheim.Wohinichmichauchwendenmag,ich
werde, so lang ich lebe, fortanüberallnurnochaufBesuchsein.«
AusDeutschland,demeinstsoersehnten,ausseinemletztenWohn-
ort München, wohin es ihn verschlagen hat – damit sein österrei-
885 chischesSchicksal sichganzreinerfülle–schreibter imJahre1930,
drei Jahre ehe er stirbt, an Schnitzler: »In Bereitschaft sein ist alles!
– Nun, ich bin bereit, aber es ist nicht angenehm .. Sag’s nicht wei-
ter,wennichDirgestehe,daßvonJahrzuJahrmeinHeimwehnach
Wien wächst, fast so stark wie das meiner Frau ... Aber Wien ist
890 vergeßlich,undsowerdenwirwohl inderVerbannungsterben ...«
Hatte Schnitzler damals ebenso das Gefühl, daß sein Vaterland in
nichts zerrann? Nein; denn ihm bedeutete – bei aller Ahnung dro-
henden Unheils – der Lauf der Geschichte einen kontinuierlichen
Vorgang ohne Zäsur und ohne Aktschluß, Heimat eine unwan-
895 delbare Gegebenheit. Und jenseits von aller Politik fing ihm das
Denken,dasWirkenunddasLebenan.
Hat er sein Werk für die Welt oder gegen die Welt geschaffen? –
Überder Welt, wie jederKünstler.
Das Schicksal Österreichs? Gewiß, es hat sein Werk bedingt,
900 geformt, sein Leben leicht und schwer gemacht, er war darein ver-
woben –es war sein.Aber was istSchicksal?
»Nicht,waseinemMenschenvonaußenzustößt,sondernwasEiner
vonderWelt appercipiert,das ist seinSchicksal.«
Mit diesen Worten, gesprochen einst von Friedrich Gundolf unter
905 demnächtlichenHimmelVenedigs–es schwangsichbefreiendauf
bis unter die schwebenden Sterne – will ich von Hermann Bahr
Abschiednehmen.
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Arthur Schnitzler & Hermann Bahr
Briefwechsel, Aufzeichnungen, Dokumente 1891–1931
- Title
- Arthur Schnitzler & Hermann Bahr
- Subtitle
- Briefwechsel, Aufzeichnungen, Dokumente 1891–1931
- Editor
- Kurt Ifkovits
- Martin Anton Müller
- Publisher
- Wallstein Verlag
- Location
- Göttingen
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8353-3228-7
- Size
- 14.6 x 23.4 cm
- Pages
- 1010
- Categories
- Weiteres Belletristik
Table of contents
- 1891 7
- 1892 18
- 1893 31
- 1894 64
- 1895 91
- 1896 115
- 1897 135
- 1898 160
- 1899 167
- 1900 173
- 1901 192
- 1902 222
- 1903 246
- 1904 288
- 1905 338
- 1906 371
- 1907 386
- 1908 401
- 1909 413
- 1910 433
- 1911 447
- 1912 463
- 1913 480
- 1914 492
- 1915 497
- 1916 502
- 1917 507
- 1918 510
- 1919 526
- 1920 536
- 1921 539
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- 1923 570
- 1924 583
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- 1926 585
- 1927 586
- 1928 588
- 1929 590
- 1930 593
- 1931 598
- 1932 604
- 1934 606
- 1936 607
- 1962 610
- Quellennachweis und Erläuterungen 632
- Buchausgaben im gegenseitigen Besitz 787
- Theaterbesuche 792
- Auszüge aus Schnitzlers Tagebuch 793
- Editorische Richtlinien 796
- Die Korrespondenz Bahr –Schnitzler 813
- Nachwort 820
- Dank 864
- Verzeichnis der Dokumente 866
- Korrespondenzpartner 902
- Register 916