Page - 11 - in Bauhaus in Wien? - Möbeldesign, Innenraumgestaltung und Architektur der Wiener Ateliergemeinschaft von Friedl Dicker und Franz Singer
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Forschungsstand 11
Ab Mitte der 1980er-Jahre beschäftigten sich Georg Schrom5 und Stefanie Trautt-
mannsdorff mit dem Nachlass der Ateliergemeinschaft in Wien, den Georg Schroms
Tante Leopoldine Schrom bis zu ihrem Tod 1984 verwaltete. Sie war die am längsten
beschäftigte Mitarbeiterin im Atelier bis zu dessen Auflösung 1938. Die Recherchen von
Schrom und Trauttmannsdorff wurden in der Ausstellung Franz Singer, Friedl Dicker.
2 x Bauhaus in Wien6 präsentiert, die vom 9. Dezember 1988 bis zum 27. Januar 1989 im
Heiligenkreuzerhof der Hochschule für Angewandte Kunst in Wien und anschließend
im Architekturmuseum Basel zu sehen war. Im Ausstellungskatalog werden die Biogra-
fien von Dicker und Singer um neue Details ergänzt und durch Zeitzeugenaussagen
bereichert. Außerdem sind erstmals Beschreibungen einzelner Bau- und Innenraumge-
staltungsprojekte aufgenommen, wobei nur zwölf von insgesamt circa 149 Projekten aus-
führlich zur Sprache kommen.7 Ausgehend von Dickers und Singers Bühnenbildern und
Kostümen aus den von ihnen gegründeten Werkstätten Bildender Kunst in Berlin wird
der Bogen bis zu den ab 1925 realisierten Wohnungen, Bauten und Möbeln gespannt.
Dienten die genannten Ausstellungen von 1970 und 1988 erstmals einer Präsentation
der Atelierarbeiten, wurde das Werk jedoch nicht näher vor dem architektur- und desi-
gnhistorischen Hintergrund ihrer Heimatstadt Wien und dem Bauhaus kontextualisiert.
Allerdings kommt Hans M. Wingler zu dem Schluss, dass das Werk Dickers und Singers
durch eine „ins romantisch Überhöhende zielende Tendenz der Anfangsperiode des Bau-
hauses, das seine Normen primär noch aus der handwerklichen Begriffswelt herleitete“8
geprägt sei und „nicht ganz im Sinne einer Entwicklung, die zur Industrieform“9 strebe.
Eine kurze Einschätzung zum innenraumgestalterischen und architektonischen Bei-
trag von Dicker und Singer liefert auch der Architekturhistoriker Friedrich Achleitner,
der in seinem Beitrag für den Ausstellungskatalog von 1988 in Dickers und Singers
Werk die sozialen und politischen Aspekte und im Klappen und Stapeln der Möbel
„bauhäuslerische“10 Merkmale erkennt. Er konstatiert jedoch, dass Dicker und Sin-
ger keine „Bauhäusler“ geblieben seien, weil sie ihre „Individualität nicht einer Dokt-
rede für die Ausstellungseröffnung „Friedl Dicker, Franz Singer“ am 31.1.1970 im Bauhaus-Archiv
Darmstadt.
5 Architekt Georg Schrom in Wien verwaltet den Wiener Nachlass der Ateliergemeinschaft. Er über-
nahm diesen von seiner Tante Leopoldine Schrom (1900–1984), die von 1929–1938 im Atelier tätig
war.
6 Kat. Ausst., Heiligenkreuzerhof 1988.
7 Das im Zuge der Dissertation erstellte Werkverzeichnis der Raumgestaltungen und Bauten umfasst
insgesamt 194 Einträge. Die Anzahl von 149 ergibt sich durch Ausschließen der Theaterarbeiten
und der durch Franz Singer ausgeführten Aufträge in Großbritannien. Siehe: Hövelmann 2018.
8 Wingler 1970, S. 7.
9 Ebd.
10 Achleitner 1988, S. 6.
© 2021 Böhlau Verlag | Brill Österreich GmbH
https://doi.org/10.7767/9783205213161 | CC BY-NC 4.0
Bauhaus in Wien?
Möbeldesign, Innenraumgestaltung und Architektur der Wiener Ateliergemeinschaft von Friedl Dicker und Franz Singer
- Title
- Bauhaus in Wien?
- Subtitle
- Möbeldesign, Innenraumgestaltung und Architektur der Wiener Ateliergemeinschaft von Friedl Dicker und Franz Singer
- Author
- Katharina Hövelmann
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21316-1
- Size
- 17.4 x 25.6 cm
- Pages
- 492
Table of contents
- 1 Einleitung 9
- 1.1 Ein vergessenes Kapitel Wiener Design- und Architekturgeschichte 9
- 1.2 Forschungsstand 10
- 1.3 Quellenlage 15
- 1.4 Forschungsziele und Methodik 21
- 2 Dickers und Singers künstlerische Ausbildung im Zeichen von Kunstschulreform und Lebensreformbewegung 27
- 2.1 Die Zeit in Wien 27
- 2.1.1 Herkunft und Ausbildung bis 1916 27
- 2.1.2 Kunstschule Johannes Itten und Netzwerke 1916–1919 33
- 2.2 Studienzeit am Bauhaus in Weimar 1919–1923 47
- 2.2.1 Die Wiener Gruppe um Johannes Itten 47
- 2.2.2 Unterricht 56
- 2.2.3 Erste Architekturentwürfe – Vier Einfamilienhäuser 77
- 3 Berufliche Anfänge 89
- 3.1 Aufträge für Theater in Dresden und Berlin 1921–1922 89
- 3.2 Werkstätten Bildender Kunst GmbH, Berlin 1923–1926 92
- 3.2.1 Arbeiten für Die Truppe 107
- 3.2.2 Die Auflösung 114
- 4 Die Wiener Ateliergemeinschaft 1925–1938 117
- 4.1 Die Zusammenarbeit von Dicker und Singer 1925–1931 117
- 4.2 Architekturfachkenntnis im Hintergrund – Die AteliermitarbeiterInnen 134
- 4.3 AuftraggeberInnen 140
- 4.4 Strategien der Bewerbung 147
- 4.4.1 Axonometrie und Modell 147
- 4.4.2 Fotografie 154
- 4.4.3 Publikationen 157
- 4.5 Dickers und Singers Wege ab 1933/1934 162
- 5 „Das moderne Wohnprinzip“ – Zwischen Bauhaus und Wien 173
- 5.1 Das Bauhaus als Basis 173
- 5.2 Zur Situation in Wien – Innenraumgestaltung und Architektur 175
- 5.2.1 Die Wiener Moderne um 1900 175
- 5.2.2 Wien in der Zwischenkriegszeit 177
- 5.3 Theorie und Anspruch der Ateliergemeinschaft 182
- 5.4 Einrichtungsgegenstände: Möbel, Leuchten und Kachelöfen 185
- 5.4.1 Vom Einzelstück zur Typisierung – Frühe Möbel 1925–1929 185
- 5.4.1.1 Bauhaus und De Stijl als Vorbild 185
- 5.4.1.2 Verwandelbarkeit als Prinzip 202
- 5.4.1.3 Verbindungen zum Wiener Jugendstil und Biedermeier 210
- 5.4.1.4 Zwischen sozialem und künstlerischem Anspruch: Typisierungstendenzen 216
- 5.4.1.5 Möbeltischler und Hersteller 228
- 5.4.2 Wege zur Serienfabrikation – Stahlrohr- und Sperrholzmöbel 1929–1938 230
- 5.4.2.1 Der Stahlrohrstapelstuhl von Bruno Pollak 234
- 5.4.2.2 Stahlrohrmöbelentwürfe der Ateliergemeinschaft 238
- 5.4.2.3 Hersteller und Produktionsversuche der Stahlrohrmöbel 251
- 5.4.2.4 Entwürfe für die Firma Metz & Co 253
- 5.4.2.5 Sperrholzmöbel 261
- 5.4.2.6 Produktionsversuche der Sperrholzmöbel 264
- 5.4.3 Eine Welt für Kinder – Kindermöbel und Baukastenspiele 1927–1938 266
- 5.4.4 Leuchten und andere Metallarbeiten 289
- 5.4.5 Kachelöfen 302
- 5.5 Raumgestaltungen und Architektur 309
- 5.5.1 Verwendung von Farbe als Gestaltungsmittel 309
- |5.5.2 Intervention im Haus Moller von Adolf Loos und im dazugehörigen Garten 319
- 5.5.2.1 Ein neu entdeckter Möblierungsentwurf 319
- 5.5.2.2 Das Zimmer für Anny Wottitz-Moller 334
- 5.5.2.3 Das Gartenhaus 337
- 5.5.3 Wohnkonzepte auf kleinster Fläche 339
- 5.5.3.1 Einwohnräume 339
- 5.5.3.2 „Wachsende Häuser“ – Entwürfe für Kleinhauswohnbauten in Palästina 362
- 5.5.4 Fulminanter Höhe- und Endpunkt – Das Gästehaus Auersperg-Hériot 379
- 5.6 Epilog: Sozialer Anspruch oder Zeitgeist? – Eine kritische Bewertung 411
- 6 Resümee und Ausblick 417
- 7 Anhang 425
- 7.1 Quellentexte 425
- 7.2 Biografie Friedl Dicker / Franz Singer 428
- 7.3 Archive und Sammlungen 431
- 7.4 Literatur 436
- 7.5 Webseiten 473
- 7.6 Bildnachweis 477
- 7.7 Abkürzungen 480
- 7.8 Abstract 481
- 7.9 Register 482