Page - 63 - in Bauhaus in Wien? - Möbeldesign, Innenraumgestaltung und Architektur der Wiener Ateliergemeinschaft von Friedl Dicker und Franz Singer
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Studienzeit am Bauhaus in Weimar 1919–1923 63
handwerkliche Umsetzung einer Vorgabe durch das künstlerische Entwerfen ergänzt und
somit Entwurf und Ausführung wieder zusammengeführt wurden.208
Dickers Textilarbeiten wurden besonders geschätzt, wie aus dem Protokoll einer Meister-
ratssitzung vom 2. Februar 1921 hervorgeht: „Ankäufe von Schülerarbeiten. Es kommt
als fertige Arbeit ein Teppich von Frl. Dicker zur Vorlage. Frl. Dicker hat den Wunsch,
dieses Stück anderweit zu verkaufen, da sie sich hierbei einen größeren Erlös verspricht,
als das Bauhaus zahlen dürfte. [...] Es müsse verhütet werden, daß gerade die besten Ar-
beiten dem Bauhaus verlustig gehen, dieses käme dann nie in die Lage, eine Sammlung
hochwertiger Erzeugnisse zu besitzen. [...] Er [Gropius] schlägt vor, Frl. Dicker den Ar-
beitswert des Teppichs mit M[ark] 2000,– zu zahlen, womit der Meisterrat einverstanden
ist.“209 In einem Brief an ihre Freundin Anny Wottitz geht Dicker auf diesen Verkauf ein:
„Für den Teppich (hab) werd ich 2000 M[ark] bekommen. Na Schwamm drüber. Uns ist
es nicht bestimmt irgendwie reich zu werden, und es ist gut so wir brauchen es nicht und
überlege, so oft uns die Geduld reißt, und es schien, es wäre des Geldes wegen, hatte es
immer eine innere Ursache.“210 An diesem Vorgehen zeigt sich jedoch, dass die gewinn-
bringende Veräußerung der Textilarbeiten verhindert wurde. Ein gravierender Nachteil
der Weberei gegenüber den anderen Werkstätten war zudem, dass bei der lokalen Innung
kein Gesellenbrief erworben werden konnte, wie es eigentlich im Programm des Bauhau-
ses vorgesehen war. Ermöglicht wurde dies erst in Dessau, als die ehemalige Schülerin
Gunta Stölzl die Webereiwerkstatt übernahm und die Werkstattarbeit neu strukturierte,
indem sie eine Lehr- und Produktionswerkstatt einrichtete.211
Neben der Textilwerkstatt besuchte Dicker auch die 1921 gegründete Bühnenwerk-
statt unter Lothar Schreyer und Oskar Schlemmer.212 Über die praktische und lehrende
Tätigkeit Schreyers ist wenig überliefert. Neben Tanz- und Bewegungsspielen mit Mas-
ken und Instrumenten entstanden am Bauhaus ein „Marienlied“, ein „Tanz der Windgeis-
ter“ und ein „Landknechtstanz“.213 Anschließend entwickelte Schreyer das „Mondspiel“,
ein Bühnenstück, das eine „inhaltslose Abstraktion von Bewegung und Sprache“214 dar-
stellte und damit seine Forderung „Das Bühnenwerk ist Kunstwerk“ umsetzte.215 Die in-
terne Probeaufführung des „Mondspiels“ fand am Bauhaus keinen Anklang und so verließ
208 Baumhoff 20062a S. 476.
209 BHA, Archiv W. Gropius, Meisterratsprotokolle, 7.2.1921. Siehe: Wahl 2001, S. 119.
210 UAKKA, Brief Friedl Dicker an Anny Wottitz, undatiert, um 1921, Inv.-Nr. 12.871.
211 Baumhoff 20062a, S. 473.
212 Winkler 2008, S. 216–217.
213 Vogelsang 1994b, S. 344.
214 Ebd., S. 349.
215 Ebd., S. 325.
© 2021 Böhlau Verlag | Brill Österreich GmbH
https://doi.org/10.7767/9783205213161 | CC BY-NC 4.0
Bauhaus in Wien?
Möbeldesign, Innenraumgestaltung und Architektur der Wiener Ateliergemeinschaft von Friedl Dicker und Franz Singer
- Title
- Bauhaus in Wien?
- Subtitle
- Möbeldesign, Innenraumgestaltung und Architektur der Wiener Ateliergemeinschaft von Friedl Dicker und Franz Singer
- Author
- Katharina Hövelmann
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21316-1
- Size
- 17.4 x 25.6 cm
- Pages
- 492
Table of contents
- 1 Einleitung 9
- 1.1 Ein vergessenes Kapitel Wiener Design- und Architekturgeschichte 9
- 1.2 Forschungsstand 10
- 1.3 Quellenlage 15
- 1.4 Forschungsziele und Methodik 21
- 2 Dickers und Singers künstlerische Ausbildung im Zeichen von Kunstschulreform und Lebensreformbewegung 27
- 2.1 Die Zeit in Wien 27
- 2.1.1 Herkunft und Ausbildung bis 1916 27
- 2.1.2 Kunstschule Johannes Itten und Netzwerke 1916–1919 33
- 2.2 Studienzeit am Bauhaus in Weimar 1919–1923 47
- 2.2.1 Die Wiener Gruppe um Johannes Itten 47
- 2.2.2 Unterricht 56
- 2.2.3 Erste Architekturentwürfe – Vier Einfamilienhäuser 77
- 3 Berufliche Anfänge 89
- 3.1 Aufträge für Theater in Dresden und Berlin 1921–1922 89
- 3.2 Werkstätten Bildender Kunst GmbH, Berlin 1923–1926 92
- 3.2.1 Arbeiten für Die Truppe 107
- 3.2.2 Die Auflösung 114
- 4 Die Wiener Ateliergemeinschaft 1925–1938 117
- 4.1 Die Zusammenarbeit von Dicker und Singer 1925–1931 117
- 4.2 Architekturfachkenntnis im Hintergrund – Die AteliermitarbeiterInnen 134
- 4.3 AuftraggeberInnen 140
- 4.4 Strategien der Bewerbung 147
- 4.4.1 Axonometrie und Modell 147
- 4.4.2 Fotografie 154
- 4.4.3 Publikationen 157
- 4.5 Dickers und Singers Wege ab 1933/1934 162
- 5 „Das moderne Wohnprinzip“ – Zwischen Bauhaus und Wien 173
- 5.1 Das Bauhaus als Basis 173
- 5.2 Zur Situation in Wien – Innenraumgestaltung und Architektur 175
- 5.2.1 Die Wiener Moderne um 1900 175
- 5.2.2 Wien in der Zwischenkriegszeit 177
- 5.3 Theorie und Anspruch der Ateliergemeinschaft 182
- 5.4 Einrichtungsgegenstände: Möbel, Leuchten und Kachelöfen 185
- 5.4.1 Vom Einzelstück zur Typisierung – Frühe Möbel 1925–1929 185
- 5.4.1.1 Bauhaus und De Stijl als Vorbild 185
- 5.4.1.2 Verwandelbarkeit als Prinzip 202
- 5.4.1.3 Verbindungen zum Wiener Jugendstil und Biedermeier 210
- 5.4.1.4 Zwischen sozialem und künstlerischem Anspruch: Typisierungstendenzen 216
- 5.4.1.5 Möbeltischler und Hersteller 228
- 5.4.2 Wege zur Serienfabrikation – Stahlrohr- und Sperrholzmöbel 1929–1938 230
- 5.4.2.1 Der Stahlrohrstapelstuhl von Bruno Pollak 234
- 5.4.2.2 Stahlrohrmöbelentwürfe der Ateliergemeinschaft 238
- 5.4.2.3 Hersteller und Produktionsversuche der Stahlrohrmöbel 251
- 5.4.2.4 Entwürfe für die Firma Metz & Co 253
- 5.4.2.5 Sperrholzmöbel 261
- 5.4.2.6 Produktionsversuche der Sperrholzmöbel 264
- 5.4.3 Eine Welt für Kinder – Kindermöbel und Baukastenspiele 1927–1938 266
- 5.4.4 Leuchten und andere Metallarbeiten 289
- 5.4.5 Kachelöfen 302
- 5.5 Raumgestaltungen und Architektur 309
- 5.5.1 Verwendung von Farbe als Gestaltungsmittel 309
- |5.5.2 Intervention im Haus Moller von Adolf Loos und im dazugehörigen Garten 319
- 5.5.2.1 Ein neu entdeckter Möblierungsentwurf 319
- 5.5.2.2 Das Zimmer für Anny Wottitz-Moller 334
- 5.5.2.3 Das Gartenhaus 337
- 5.5.3 Wohnkonzepte auf kleinster Fläche 339
- 5.5.3.1 Einwohnräume 339
- 5.5.3.2 „Wachsende Häuser“ – Entwürfe für Kleinhauswohnbauten in Palästina 362
- 5.5.4 Fulminanter Höhe- und Endpunkt – Das Gästehaus Auersperg-Hériot 379
- 5.6 Epilog: Sozialer Anspruch oder Zeitgeist? – Eine kritische Bewertung 411
- 6 Resümee und Ausblick 417
- 7 Anhang 425
- 7.1 Quellentexte 425
- 7.2 Biografie Friedl Dicker / Franz Singer 428
- 7.3 Archive und Sammlungen 431
- 7.4 Literatur 436
- 7.5 Webseiten 473
- 7.6 Bildnachweis 477
- 7.7 Abkürzungen 480
- 7.8 Abstract 481
- 7.9 Register 482