Page - 108 - in Bauhaus in Wien? - Möbeldesign, Innenraumgestaltung und Architektur der Wiener Ateliergemeinschaft von Friedl Dicker und Franz Singer
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Berufliche
Anfänge108
stammende Richard Weininger sowie der Kunsthistoriker Ludwig Münz.69 Spielort war
das von Heinz Saltenburg70 (1882–1948) geleitete Berliner Lustspielhaus in der Fried-
richstraße 236, das heute nicht mehr existiert.71
Die Schauspielerin und Frau des Gründers, Salka Viertel, schreibt rückblickend über
Die Truppe: „Die Hauptdarsteller, Kassenmagneten wie Kortner und Forster, sollten am
Anfang zwischen sieben und neun Millionen Mark jährlich, Johanna Hofer, Sibylle Bin-
der, Berthold, ich und die anderen entsprechend weniger, alle aber einen prozentualen
Anteil von den Nettoeinnahmen bekommen; die Anfänger mussten sich mit Gehältern
laut dem Normalvertrag der Deutschen Bühnengenossenschaft begnügen.“72 Auch Singer
wurde Mitglied der Genossenschaft Deutscher Bühnenangehöriger, wie sein Mitglieds-
buch aus dem Jahr 1923 nachweist.73 Über Dicker und Singer schreibt Salka: „In meiner
Studienzeit bei Fanny Mütter hatte ich Franz Singer kennengelernt, einen jungen, vom
Weimarer Bauhaus beeinflussten Maler. Er und seine Freundin Friedl Dicker, ebenfalls
eine begabte Malerin, glaubten fanatisch an neue Ausdrucksmittel, mit denen sie vierzig
Jahre später zweifellos großen Erfolg gehabt hätten.“74 Für die erste Aufführung der Truppe
im September 1923 im Berliner Lustspielhaus entwarfen Dicker und Singer das Bühnen-
bild und die Kostüme für Shakespeares Der Kaufmann von Venedig (Abb. 69).75 Dicker
berichtet an ihre Freundin Anny Wottitz: „Wir arbeiten, Franz und ich am Kaufmann von
Venedig, und den Bacchantinnen. Es ist so ziemlich klar. Viertel war zufrieden.“76
Problem löste sich von selbst: Berthold Viertel erhielt ein exzellentes Angebot, nämlich das Große
Stadttheater in Hamburg als Leiter zu übernehmen.“ Siehe: Jäger-Stein 1988, S. 15.
69 Völker 1988, S. 14; Aufricht 1966, S. 50, 55.
70 Der Schauspieler, Regisseur, Intendant, Librettist und Produzent Heinz Saltenburg galt als einer der
größten Theatermacher und Theaterbetreiber in der Weimarer Republik. Er übernahm die Leitung
zahlreicher Berliner Theater: das Deutsche Künstlertheater, das Lessing-Theater, das Theater am Kur-
fürstendamm, das Theater am Schiffbauerdamm, das Wallner-Theater und das Lustspielhaus. Da
Saltenburg jüdisch war, endete seine Karriere nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten
schlagartig und er zog zunächst nach Wien, wo er erfolglos versuchte, leer stehende Theater zu über-
nehmen. Schließlich emigrierte er 1935 nach London, wo er zunächst ein kleines Kabarett leitete und
später das Emigrantenkabarett „Blue Danube Club“. Siehe: Kosch/Bigler-Marschall 2017, S. 374.
71 Das Berliner Lustspielhaus war ein 1904 gegründetes Theater, das im 2. Weltkrieg zerstört und nicht
wieder aufgebaut wurde. Es befand sich in der Friedrichstraße 236. 1921/1922 übernahm Heinz
Saltenburg das Theater samt Ensemble und vermietete es ab 1923 an Ensembles ohne Haus, wie das
von Berthold Viertel und Ernst Josef Aufricht gegründete Die Truppe.
72 Viertel 2011, S. 147.
73 AGS, Mitgliedsbuch Genossenschaft Deutscher Bühnenangehöriger für Franz Singer, 1923.
74 Viertel 2011, S. 146.
75 Anzeige für Der Kaufmann von Venedig, gespielt ab 12. September 1923, in: Berliner Tageblatt
9.9.1923, S. 14. Stefan Wolpe (1902–1972) komponierte die Musik und Regisseur Reinhard Bruck
(1885–1929) ist neben Berthold Viertel unter „Direktion“ angegeben.
76 UAKKA, Brief Friedl Dicker an Anny Wottitz, undatiert, um 1923, Inv.-Nr. 13.701/4.
© 2021 Böhlau Verlag | Brill Österreich GmbH
https://doi.org/10.7767/9783205213161 | CC BY-NC 4.0
Bauhaus in Wien?
Möbeldesign, Innenraumgestaltung und Architektur der Wiener Ateliergemeinschaft von Friedl Dicker und Franz Singer
- Title
- Bauhaus in Wien?
- Subtitle
- Möbeldesign, Innenraumgestaltung und Architektur der Wiener Ateliergemeinschaft von Friedl Dicker und Franz Singer
- Author
- Katharina Hövelmann
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21316-1
- Size
- 17.4 x 25.6 cm
- Pages
- 492
Table of contents
- 1 Einleitung 9
- 1.1 Ein vergessenes Kapitel Wiener Design- und Architekturgeschichte 9
- 1.2 Forschungsstand 10
- 1.3 Quellenlage 15
- 1.4 Forschungsziele und Methodik 21
- 2 Dickers und Singers künstlerische Ausbildung im Zeichen von Kunstschulreform und Lebensreformbewegung 27
- 2.1 Die Zeit in Wien 27
- 2.1.1 Herkunft und Ausbildung bis 1916 27
- 2.1.2 Kunstschule Johannes Itten und Netzwerke 1916–1919 33
- 2.2 Studienzeit am Bauhaus in Weimar 1919–1923 47
- 2.2.1 Die Wiener Gruppe um Johannes Itten 47
- 2.2.2 Unterricht 56
- 2.2.3 Erste Architekturentwürfe – Vier Einfamilienhäuser 77
- 3 Berufliche Anfänge 89
- 3.1 Aufträge für Theater in Dresden und Berlin 1921–1922 89
- 3.2 Werkstätten Bildender Kunst GmbH, Berlin 1923–1926 92
- 3.2.1 Arbeiten für Die Truppe 107
- 3.2.2 Die Auflösung 114
- 4 Die Wiener Ateliergemeinschaft 1925–1938 117
- 4.1 Die Zusammenarbeit von Dicker und Singer 1925–1931 117
- 4.2 Architekturfachkenntnis im Hintergrund – Die AteliermitarbeiterInnen 134
- 4.3 AuftraggeberInnen 140
- 4.4 Strategien der Bewerbung 147
- 4.4.1 Axonometrie und Modell 147
- 4.4.2 Fotografie 154
- 4.4.3 Publikationen 157
- 4.5 Dickers und Singers Wege ab 1933/1934 162
- 5 „Das moderne Wohnprinzip“ – Zwischen Bauhaus und Wien 173
- 5.1 Das Bauhaus als Basis 173
- 5.2 Zur Situation in Wien – Innenraumgestaltung und Architektur 175
- 5.2.1 Die Wiener Moderne um 1900 175
- 5.2.2 Wien in der Zwischenkriegszeit 177
- 5.3 Theorie und Anspruch der Ateliergemeinschaft 182
- 5.4 Einrichtungsgegenstände: Möbel, Leuchten und Kachelöfen 185
- 5.4.1 Vom Einzelstück zur Typisierung – Frühe Möbel 1925–1929 185
- 5.4.1.1 Bauhaus und De Stijl als Vorbild 185
- 5.4.1.2 Verwandelbarkeit als Prinzip 202
- 5.4.1.3 Verbindungen zum Wiener Jugendstil und Biedermeier 210
- 5.4.1.4 Zwischen sozialem und künstlerischem Anspruch: Typisierungstendenzen 216
- 5.4.1.5 Möbeltischler und Hersteller 228
- 5.4.2 Wege zur Serienfabrikation – Stahlrohr- und Sperrholzmöbel 1929–1938 230
- 5.4.2.1 Der Stahlrohrstapelstuhl von Bruno Pollak 234
- 5.4.2.2 Stahlrohrmöbelentwürfe der Ateliergemeinschaft 238
- 5.4.2.3 Hersteller und Produktionsversuche der Stahlrohrmöbel 251
- 5.4.2.4 Entwürfe für die Firma Metz & Co 253
- 5.4.2.5 Sperrholzmöbel 261
- 5.4.2.6 Produktionsversuche der Sperrholzmöbel 264
- 5.4.3 Eine Welt für Kinder – Kindermöbel und Baukastenspiele 1927–1938 266
- 5.4.4 Leuchten und andere Metallarbeiten 289
- 5.4.5 Kachelöfen 302
- 5.5 Raumgestaltungen und Architektur 309
- 5.5.1 Verwendung von Farbe als Gestaltungsmittel 309
- |5.5.2 Intervention im Haus Moller von Adolf Loos und im dazugehörigen Garten 319
- 5.5.2.1 Ein neu entdeckter Möblierungsentwurf 319
- 5.5.2.2 Das Zimmer für Anny Wottitz-Moller 334
- 5.5.2.3 Das Gartenhaus 337
- 5.5.3 Wohnkonzepte auf kleinster Fläche 339
- 5.5.3.1 Einwohnräume 339
- 5.5.3.2 „Wachsende Häuser“ – Entwürfe für Kleinhauswohnbauten in Palästina 362
- 5.5.4 Fulminanter Höhe- und Endpunkt – Das Gästehaus Auersperg-Hériot 379
- 5.6 Epilog: Sozialer Anspruch oder Zeitgeist? – Eine kritische Bewertung 411
- 6 Resümee und Ausblick 417
- 7 Anhang 425
- 7.1 Quellentexte 425
- 7.2 Biografie Friedl Dicker / Franz Singer 428
- 7.3 Archive und Sammlungen 431
- 7.4 Literatur 436
- 7.5 Webseiten 473
- 7.6 Bildnachweis 477
- 7.7 Abkürzungen 480
- 7.8 Abstract 481
- 7.9 Register 482