Page - 165 - in Bauhaus in Wien? - Möbeldesign, Innenraumgestaltung und Architektur der Wiener Ateliergemeinschaft von Friedl Dicker und Franz Singer
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Dickers und Singers Wege ab 1933/1934 165
für 7 Wochen aufgestellt, wofür noch Geld aufzutreiben gewesen wäre. Wie und wann,
wurde nicht bestimmt, weil es nicht zu bestimmen war. Das Budget wurde eingehalten,
der Entscheid was nach der Zeit geschehen soll, konnte nicht gefällt werden, da ständig
kleine Arbeiten und Entwürfe da waren, die nicht einmal gestatteten, Vorarbeiten für
eine evtl. Liquidierung (über die auch gesprochen wurde) zu machen, eben wegen der
laufenden kleinen Arbeiten [...].“236 Schrom schildert auch Singers Augenverschließen
vor dieser Tatsache: „F.[ranz] S.[inger] betonte immer wieder die ideelle Lösung selbst
unter Hintansetzung der materiellen Frage. Sehr ideal. Damals waren [wir] mit Sorgen
der Geldgebarung nicht belastet [sic!]. Das arbeitsreiche Jahr ([...] - dessen Bewältigung
von uns Dreien [Biel, Szabó, Schrom] bestritten wurde) ergab eine endliche Fixierung
der brauchbaren Typen, ergab Ahnungen, dass vom materiellen Erfolg – der da war –
nichts für ein Weiterausbauen des Ateliers in ideeller, architektonischer Hinsicht übrig
sein würde (wie sehr – das haben wir damals nicht zu befürchten gewagt) ergab daher
langsam und immer dringender Forderungen nach Sparmassnahmen überhaupt und in
der Arbeitsweise [...]. [...] Trotz der in Brüche gegangenen ideellen Einstellung und kata-
strophalen Enttäuschung. Das Atelier besteht nach aussen hin vollkommen, halt unter
der bösen Zeit leidend, sonst mit einem aussichtsreichen Chef in London. Was sich gut
macht. Bitte, dies ist ohne Bosheit gesagt. Ich meine es wirklich so.“237 Und zu ihrer ei-
genen finanziellen Situation fügte sie noch hinzu: „Was ich noch zu sagen habe ist, dass
wir vom Ertrag unserer Arbeit leben das heisst, angefangen vom Wohnen, Essen, etc. von
sonst nichts. Dass wir keinerlei Ressourcen haben, auch keine Position hatten und haben,
die uns momentan ein anderes Einkommen bringen könnte, da man nur ein Atelierda-
sein geführt und diesem alle Zeit und vorhandenes Können gegeben. Weil man Ver-
trauen gehabt zur Arbeit und Freude an der ideellen Einstellung und daher keinerlei
Phantasie besitzen konnte, die einem auch nur hätte aufdämmern lassen, dass man ein-
mal, dazu noch unter so unschönen Umständen, enttäuscht und beschuldigt dastehen
würde, aber mit Verantwortung für die Ueberdauerung eines nicht verschuldeten desola-
ten Zustandes.“238 Demnach identifizierten sich die Mitarbeiterinnen mit den Arbeiten
des Ateliers und arbeiteten für vergleichsweise kleine Gehälter. Allerdings hätte in Wien
zu dieser Zeit vermutlich auch keine Aussicht auf eine rentablere Arbeit bestanden.
Schrom listet ihren monatlichen Verdienst auf, der seit Singers Abreise im „September
183,40“, im „Oktober 161“, im „November 74,90“ und von „Dezember bis incl. 5.1.“
84 Schilling betragen hätte und fügt hinzu, dass sie „nach 6 Jahren Zugehörigkeit zum
Atelier, [...], aus lauter Rücksicht auf Atelierbestand und gut vor sich gehende Arbeit in
236 AGS, Brief Leopoldine Schrom an Emmy Heim, 28.1.1935.
237 AGS, Brief Leopoldine Schrom an Emmy Heim, 28.1.1935.
238 AGS, Brief Leopoldine Schrom an Emmy Heim, 28.1.1935.
© 2021 Böhlau Verlag | Brill Österreich GmbH
https://doi.org/10.7767/9783205213161 | CC BY-NC 4.0
Bauhaus in Wien?
Möbeldesign, Innenraumgestaltung und Architektur der Wiener Ateliergemeinschaft von Friedl Dicker und Franz Singer
- Title
- Bauhaus in Wien?
- Subtitle
- Möbeldesign, Innenraumgestaltung und Architektur der Wiener Ateliergemeinschaft von Friedl Dicker und Franz Singer
- Author
- Katharina Hövelmann
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21316-1
- Size
- 17.4 x 25.6 cm
- Pages
- 492
Table of contents
- 1 Einleitung 9
- 1.1 Ein vergessenes Kapitel Wiener Design- und Architekturgeschichte 9
- 1.2 Forschungsstand 10
- 1.3 Quellenlage 15
- 1.4 Forschungsziele und Methodik 21
- 2 Dickers und Singers künstlerische Ausbildung im Zeichen von Kunstschulreform und Lebensreformbewegung 27
- 2.1 Die Zeit in Wien 27
- 2.1.1 Herkunft und Ausbildung bis 1916 27
- 2.1.2 Kunstschule Johannes Itten und Netzwerke 1916–1919 33
- 2.2 Studienzeit am Bauhaus in Weimar 1919–1923 47
- 2.2.1 Die Wiener Gruppe um Johannes Itten 47
- 2.2.2 Unterricht 56
- 2.2.3 Erste Architekturentwürfe – Vier Einfamilienhäuser 77
- 3 Berufliche Anfänge 89
- 3.1 Aufträge für Theater in Dresden und Berlin 1921–1922 89
- 3.2 Werkstätten Bildender Kunst GmbH, Berlin 1923–1926 92
- 3.2.1 Arbeiten für Die Truppe 107
- 3.2.2 Die Auflösung 114
- 4 Die Wiener Ateliergemeinschaft 1925–1938 117
- 4.1 Die Zusammenarbeit von Dicker und Singer 1925–1931 117
- 4.2 Architekturfachkenntnis im Hintergrund – Die AteliermitarbeiterInnen 134
- 4.3 AuftraggeberInnen 140
- 4.4 Strategien der Bewerbung 147
- 4.4.1 Axonometrie und Modell 147
- 4.4.2 Fotografie 154
- 4.4.3 Publikationen 157
- 4.5 Dickers und Singers Wege ab 1933/1934 162
- 5 „Das moderne Wohnprinzip“ – Zwischen Bauhaus und Wien 173
- 5.1 Das Bauhaus als Basis 173
- 5.2 Zur Situation in Wien – Innenraumgestaltung und Architektur 175
- 5.2.1 Die Wiener Moderne um 1900 175
- 5.2.2 Wien in der Zwischenkriegszeit 177
- 5.3 Theorie und Anspruch der Ateliergemeinschaft 182
- 5.4 Einrichtungsgegenstände: Möbel, Leuchten und Kachelöfen 185
- 5.4.1 Vom Einzelstück zur Typisierung – Frühe Möbel 1925–1929 185
- 5.4.1.1 Bauhaus und De Stijl als Vorbild 185
- 5.4.1.2 Verwandelbarkeit als Prinzip 202
- 5.4.1.3 Verbindungen zum Wiener Jugendstil und Biedermeier 210
- 5.4.1.4 Zwischen sozialem und künstlerischem Anspruch: Typisierungstendenzen 216
- 5.4.1.5 Möbeltischler und Hersteller 228
- 5.4.2 Wege zur Serienfabrikation – Stahlrohr- und Sperrholzmöbel 1929–1938 230
- 5.4.2.1 Der Stahlrohrstapelstuhl von Bruno Pollak 234
- 5.4.2.2 Stahlrohrmöbelentwürfe der Ateliergemeinschaft 238
- 5.4.2.3 Hersteller und Produktionsversuche der Stahlrohrmöbel 251
- 5.4.2.4 Entwürfe für die Firma Metz & Co 253
- 5.4.2.5 Sperrholzmöbel 261
- 5.4.2.6 Produktionsversuche der Sperrholzmöbel 264
- 5.4.3 Eine Welt für Kinder – Kindermöbel und Baukastenspiele 1927–1938 266
- 5.4.4 Leuchten und andere Metallarbeiten 289
- 5.4.5 Kachelöfen 302
- 5.5 Raumgestaltungen und Architektur 309
- 5.5.1 Verwendung von Farbe als Gestaltungsmittel 309
- |5.5.2 Intervention im Haus Moller von Adolf Loos und im dazugehörigen Garten 319
- 5.5.2.1 Ein neu entdeckter Möblierungsentwurf 319
- 5.5.2.2 Das Zimmer für Anny Wottitz-Moller 334
- 5.5.2.3 Das Gartenhaus 337
- 5.5.3 Wohnkonzepte auf kleinster Fläche 339
- 5.5.3.1 Einwohnräume 339
- 5.5.3.2 „Wachsende Häuser“ – Entwürfe für Kleinhauswohnbauten in Palästina 362
- 5.5.4 Fulminanter Höhe- und Endpunkt – Das Gästehaus Auersperg-Hériot 379
- 5.6 Epilog: Sozialer Anspruch oder Zeitgeist? – Eine kritische Bewertung 411
- 6 Resümee und Ausblick 417
- 7 Anhang 425
- 7.1 Quellentexte 425
- 7.2 Biografie Friedl Dicker / Franz Singer 428
- 7.3 Archive und Sammlungen 431
- 7.4 Literatur 436
- 7.5 Webseiten 473
- 7.6 Bildnachweis 477
- 7.7 Abkürzungen 480
- 7.8 Abstract 481
- 7.9 Register 482