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„Das moderne Wohnprinzip“ – Zwischen Bauhaus und Wien
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1922 in der KURI-Gruppe (konstruktiv, utilitär,
rationell, international) zusammengeschlossen
hatten.77
Die Parole aus Gropius’ Bauhaus-Manifest
von 1919, dass das „Endziel aller bildnerischen
Tätigkeit“78 der Bau und ihn „zu schmücken [...]
die vornehmste Aufgabe der bildenden Künste“79
sei, stimmte insofern mit den Ansichten der De
Stijl-Bewegung überein, als auch sie eine enge Zu-
sammenarbeit zwischen Künstler und Architekt
sowie Architektur und farblicher Gestaltung an-
strebte.80 In seinem Vortrag „Der Wille zum Stil“,
den van Doesburg am 3. April 1922 in Weimar
hielt, zeigte er in Lichtbildern Arbeiten seiner nie-
derländischen Kollegen wie beispielsweise die Villa
Allegonda von J. J. P. Oud in Katwijk aan Zee und
einen „Lehnstuhl“81 von Rietveld, bei dem es sich
vermutlich um den heute als Rot-Blau-Stuhl be-
kannten Armlehnstuhl gehandelt haben dürfte,
der zu jener Zeit noch nicht farbig lackiert war
(Abb. 114).82 Durch konkretes Anschauungsmaterial vermittelte van Doesburg so die
Prinzipien von De Stijl, die er bei Rietvelds Möbeln vorbildlich umgesetzt sah.
Gropius’ Deckenleuchte aus Soffitten für sein auf konstruktivistischen Gestaltungs-
prinzipien basierendes Direktorenzimmer aus dem Jahr 1923 bezog sich unverkennbar
auf Rietvelds Leuchte für das Haus des Arztes Hartog in Maarssen aus dem Jahr 1922
(Abb. 115–116).83 Und auch Marcel Breuers Stuhlentwürfe wie beispielsweise der Lat-
77 Ex 2000, S. 39; Wendermann 2008, S. 377–378.
78 Walter Gropius, Bauhaus-Manifest, April 1919, in: Wingler 20024, S. 39.
79 Walter Gropius, Bauhaus-Manifest, April 1919, in: Wingler 20024, S. 39.
80 Ex 2000, S. 34.
81 Der Stuhl erhielt seine charakteristische Lackierung erst um 1923 und müsste demzufolge im Licht-
bildvortrag noch ohne farbige Fassung präsentiert worden sein. Siehe:
Küper/Zijl 1992, S. 76.
82 RKD Nederlands Instituut voor Kunstgeschiedenis, Den Haag, Archiv von Theo und Nelly van
Doesburg, Manuskript des in Weimar 1922 gehaltenen Vortrags „Der Wille zum Stil“, Inv.-
Nr. 0408-340. Doesburg veröffentlichte diesen Vortrag. Siehe: Doesburg 1922, S. 33–41. Als Bei-
spielabbildungen sind im Text die Villa Allegonda von J. J. P. Oud in Katwijk aan Zee und ein
Lehnstuhl von Rietveld angegeben. Siehe auch: Wendermann 2008, S. 381.
83 Winkler 1994, S. 301; Herzogenrath 1994, S. 113.
Abb. 114: Gerrit Rietveld, Rot-
Blau-Stuhl, Entwurf 1918, Aus-
führung 1925, Buche, Sperrholz,
88 x 60 x 84 cm, CMU.
© 2021 Böhlau Verlag | Brill Österreich GmbH
https://doi.org/10.7767/9783205213161 | CC BY-NC 4.0
Bauhaus in Wien?
Möbeldesign, Innenraumgestaltung und Architektur der Wiener Ateliergemeinschaft von Friedl Dicker und Franz Singer
- Title
- Bauhaus in Wien?
- Subtitle
- Möbeldesign, Innenraumgestaltung und Architektur der Wiener Ateliergemeinschaft von Friedl Dicker und Franz Singer
- Author
- Katharina Hövelmann
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21316-1
- Size
- 17.4 x 25.6 cm
- Pages
- 492
Table of contents
- 1 Einleitung 9
- 1.1 Ein vergessenes Kapitel Wiener Design- und Architekturgeschichte 9
- 1.2 Forschungsstand 10
- 1.3 Quellenlage 15
- 1.4 Forschungsziele und Methodik 21
- 2 Dickers und Singers künstlerische Ausbildung im Zeichen von Kunstschulreform und Lebensreformbewegung 27
- 2.1 Die Zeit in Wien 27
- 2.1.1 Herkunft und Ausbildung bis 1916 27
- 2.1.2 Kunstschule Johannes Itten und Netzwerke 1916–1919 33
- 2.2 Studienzeit am Bauhaus in Weimar 1919–1923 47
- 2.2.1 Die Wiener Gruppe um Johannes Itten 47
- 2.2.2 Unterricht 56
- 2.2.3 Erste Architekturentwürfe – Vier Einfamilienhäuser 77
- 3 Berufliche Anfänge 89
- 3.1 Aufträge für Theater in Dresden und Berlin 1921–1922 89
- 3.2 Werkstätten Bildender Kunst GmbH, Berlin 1923–1926 92
- 3.2.1 Arbeiten für Die Truppe 107
- 3.2.2 Die Auflösung 114
- 4 Die Wiener Ateliergemeinschaft 1925–1938 117
- 4.1 Die Zusammenarbeit von Dicker und Singer 1925–1931 117
- 4.2 Architekturfachkenntnis im Hintergrund – Die AteliermitarbeiterInnen 134
- 4.3 AuftraggeberInnen 140
- 4.4 Strategien der Bewerbung 147
- 4.4.1 Axonometrie und Modell 147
- 4.4.2 Fotografie 154
- 4.4.3 Publikationen 157
- 4.5 Dickers und Singers Wege ab 1933/1934 162
- 5 „Das moderne Wohnprinzip“ – Zwischen Bauhaus und Wien 173
- 5.1 Das Bauhaus als Basis 173
- 5.2 Zur Situation in Wien – Innenraumgestaltung und Architektur 175
- 5.2.1 Die Wiener Moderne um 1900 175
- 5.2.2 Wien in der Zwischenkriegszeit 177
- 5.3 Theorie und Anspruch der Ateliergemeinschaft 182
- 5.4 Einrichtungsgegenstände: Möbel, Leuchten und Kachelöfen 185
- 5.4.1 Vom Einzelstück zur Typisierung – Frühe Möbel 1925–1929 185
- 5.4.1.1 Bauhaus und De Stijl als Vorbild 185
- 5.4.1.2 Verwandelbarkeit als Prinzip 202
- 5.4.1.3 Verbindungen zum Wiener Jugendstil und Biedermeier 210
- 5.4.1.4 Zwischen sozialem und künstlerischem Anspruch: Typisierungstendenzen 216
- 5.4.1.5 Möbeltischler und Hersteller 228
- 5.4.2 Wege zur Serienfabrikation – Stahlrohr- und Sperrholzmöbel 1929–1938 230
- 5.4.2.1 Der Stahlrohrstapelstuhl von Bruno Pollak 234
- 5.4.2.2 Stahlrohrmöbelentwürfe der Ateliergemeinschaft 238
- 5.4.2.3 Hersteller und Produktionsversuche der Stahlrohrmöbel 251
- 5.4.2.4 Entwürfe für die Firma Metz & Co 253
- 5.4.2.5 Sperrholzmöbel 261
- 5.4.2.6 Produktionsversuche der Sperrholzmöbel 264
- 5.4.3 Eine Welt für Kinder – Kindermöbel und Baukastenspiele 1927–1938 266
- 5.4.4 Leuchten und andere Metallarbeiten 289
- 5.4.5 Kachelöfen 302
- 5.5 Raumgestaltungen und Architektur 309
- 5.5.1 Verwendung von Farbe als Gestaltungsmittel 309
- |5.5.2 Intervention im Haus Moller von Adolf Loos und im dazugehörigen Garten 319
- 5.5.2.1 Ein neu entdeckter Möblierungsentwurf 319
- 5.5.2.2 Das Zimmer für Anny Wottitz-Moller 334
- 5.5.2.3 Das Gartenhaus 337
- 5.5.3 Wohnkonzepte auf kleinster Fläche 339
- 5.5.3.1 Einwohnräume 339
- 5.5.3.2 „Wachsende Häuser“ – Entwürfe für Kleinhauswohnbauten in Palästina 362
- 5.5.4 Fulminanter Höhe- und Endpunkt – Das Gästehaus Auersperg-Hériot 379
- 5.6 Epilog: Sozialer Anspruch oder Zeitgeist? – Eine kritische Bewertung 411
- 6 Resümee und Ausblick 417
- 7 Anhang 425
- 7.1 Quellentexte 425
- 7.2 Biografie Friedl Dicker / Franz Singer 428
- 7.3 Archive und Sammlungen 431
- 7.4 Literatur 436
- 7.5 Webseiten 473
- 7.6 Bildnachweis 477
- 7.7 Abkürzungen 480
- 7.8 Abstract 481
- 7.9 Register 482