Page - 217 - in Bauhaus in Wien? - Möbeldesign, Innenraumgestaltung und Architektur der Wiener Ateliergemeinschaft von Friedl Dicker und Franz Singer
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Einrichtungsgegenstände: Möbel, Leuchten und Kachelöfen 217
Singers reformerischer Anspruch drückt sich sowohl in seiner Mitgliedschaft im Ös-
terreichischen Verband für Wohnungsreform117 aus, der 1929 eine Beratungsstelle für In-
neneinrichtung und Wohnungshygiene (BEST) in Wien eröffnete, als auch an seinem
Interesse, ein Sitzmöbel auf der von September bis Oktober 1928 gezeigten Ausstellung
„Der Stuhl“118 in Stuttgart zu präsentieren. Dafür kamen Stühle infrage, die, so der Ös-
terreichische Werkbund, „entweder in der Massenfabrikation hergestellt werden oder als
Modelle hierfür dienen sollen.“119
Dass der Gedanke der Typisierung früh bei der Atelierarbeit im Vordergrund stand,
geht aus dem für das Jahr 1925/1926 genannten Eintrag aus dem Architekten-Ansuchen
von 1937 hervor. Darin nennt Singer „nicht ausgeführte Entwürfe für Serienherstel-
lung von Möbeln für die Wiener Gemeindewohnungen im Zusammenhang mit der Z.V.
(Prof. Oerley)“120. Höchstwahrscheinlich ist hier eine Zusammenarbeit mit dem Archi-
tekten und Entwerfer Robert Oerley gemeint, nach dessen Entwurf von 1923–1925 der
„Hanusch-Hof“, ein Wiener Gemeindebau im 3. Bezirk, errichtet wurde. Für diesen Bau
könnten die von Singer erwähnten Möbel vorgesehen gewesen sein, deren Entwürfe sich
aber nicht erhalten haben.
An den in Wien stattfindenden Werkbundausstellungen wie beispielsweise „Neues
Bauen“ 1929 oder „Der gute billige Gegenstand“ 1931/1932 stellte die Ateliergemein-
schaft ihre Möbel allerdings nicht aus, obwohl der Österreichische Werkbund an Franz
Singer mit der Bitte um einen Beitrag für Letztere herangetreten war.121 Mit der Teil-
nahme an der 1927 stattfindenden Kunstschau und der 1929/1930 gezeigten Ausstellung
„Wiener Raumkünstler“ deutet sich vielmehr der künstlerische Schwerpunkt der Ate-
lierarbeit an. Obschon laut Hans Tietze auf der Kunstschau 1927 erstmals der Versuch
unternommen worden sei, „nicht einem kleinen Kreis raffinierter Kenner und Liebhaber
zu gefallen, sondern der Allgemeinheit zu nützen“122, Themen wie „Kleinwohnungen, Ar-
117 Siehe: AGS, Mitgliedskarte Franz Singers beim Österreichischen Verband für Wohnungsreform. Präsi-
dent des Verbands war Ludwig Altmann, Sekretär Ludwig Neumann. Letzterer hatte bei der Atelier-
gemeinschaft 1929 die Einrichtung seiner Wohnung in Auftrag gegeben und stand mit Franz Singer
auch für das Projekt der Landarbeiter-Häuser in Palästina in Kontakt.
118 Die erste Station der Ausstellung „Der Stuhl“ war 1928 in Stuttgart, anschließend wurde sie 1929 in
Frankfurt sowie in Berlin und Dresden gezeigt.
119 AGS, Brief Österreichischer Werkbund an Franz Singer, 11.6.1928. Ein Abgleich mit dem Katalog
der Ausstellung ergab, dass Franz Singer dort letztendlich aber keinen Stuhl ausstellte. Siehe: Kat.
Ausst. Der Stuhl 1928.
120 Franz Singer, Ansuchen um Verleihung der Befugnis eines Architekten, „Verzeichnis der von mir
geleisteten Arbeiten“, 31.7.1937, Original: ÖStA/AdR HBbBuT BMfHuV Allg Reihe PTech Singer
Franz Karl 08.02.1896 GZl. 71537/1937 Singer, Franz Karl, 08.02.1896, 1919–1938 (Akt (Samme-
lakt, Grundzl., Konvolut, Dossier, File)). Kopie: AGS.
121 AGS, Brief Österreichischer Werkbund an Franz Singer, September 1931.
122 Tietze 1927, S. 71.
© 2021 Böhlau Verlag | Brill Österreich GmbH
https://doi.org/10.7767/9783205213161 | CC BY-NC 4.0
Bauhaus in Wien?
Möbeldesign, Innenraumgestaltung und Architektur der Wiener Ateliergemeinschaft von Friedl Dicker und Franz Singer
- Title
- Bauhaus in Wien?
- Subtitle
- Möbeldesign, Innenraumgestaltung und Architektur der Wiener Ateliergemeinschaft von Friedl Dicker und Franz Singer
- Author
- Katharina Hövelmann
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21316-1
- Size
- 17.4 x 25.6 cm
- Pages
- 492
Table of contents
- 1 Einleitung 9
- 1.1 Ein vergessenes Kapitel Wiener Design- und Architekturgeschichte 9
- 1.2 Forschungsstand 10
- 1.3 Quellenlage 15
- 1.4 Forschungsziele und Methodik 21
- 2 Dickers und Singers künstlerische Ausbildung im Zeichen von Kunstschulreform und Lebensreformbewegung 27
- 2.1 Die Zeit in Wien 27
- 2.1.1 Herkunft und Ausbildung bis 1916 27
- 2.1.2 Kunstschule Johannes Itten und Netzwerke 1916–1919 33
- 2.2 Studienzeit am Bauhaus in Weimar 1919–1923 47
- 2.2.1 Die Wiener Gruppe um Johannes Itten 47
- 2.2.2 Unterricht 56
- 2.2.3 Erste Architekturentwürfe – Vier Einfamilienhäuser 77
- 3 Berufliche Anfänge 89
- 3.1 Aufträge für Theater in Dresden und Berlin 1921–1922 89
- 3.2 Werkstätten Bildender Kunst GmbH, Berlin 1923–1926 92
- 3.2.1 Arbeiten für Die Truppe 107
- 3.2.2 Die Auflösung 114
- 4 Die Wiener Ateliergemeinschaft 1925–1938 117
- 4.1 Die Zusammenarbeit von Dicker und Singer 1925–1931 117
- 4.2 Architekturfachkenntnis im Hintergrund – Die AteliermitarbeiterInnen 134
- 4.3 AuftraggeberInnen 140
- 4.4 Strategien der Bewerbung 147
- 4.4.1 Axonometrie und Modell 147
- 4.4.2 Fotografie 154
- 4.4.3 Publikationen 157
- 4.5 Dickers und Singers Wege ab 1933/1934 162
- 5 „Das moderne Wohnprinzip“ – Zwischen Bauhaus und Wien 173
- 5.1 Das Bauhaus als Basis 173
- 5.2 Zur Situation in Wien – Innenraumgestaltung und Architektur 175
- 5.2.1 Die Wiener Moderne um 1900 175
- 5.2.2 Wien in der Zwischenkriegszeit 177
- 5.3 Theorie und Anspruch der Ateliergemeinschaft 182
- 5.4 Einrichtungsgegenstände: Möbel, Leuchten und Kachelöfen 185
- 5.4.1 Vom Einzelstück zur Typisierung – Frühe Möbel 1925–1929 185
- 5.4.1.1 Bauhaus und De Stijl als Vorbild 185
- 5.4.1.2 Verwandelbarkeit als Prinzip 202
- 5.4.1.3 Verbindungen zum Wiener Jugendstil und Biedermeier 210
- 5.4.1.4 Zwischen sozialem und künstlerischem Anspruch: Typisierungstendenzen 216
- 5.4.1.5 Möbeltischler und Hersteller 228
- 5.4.2 Wege zur Serienfabrikation – Stahlrohr- und Sperrholzmöbel 1929–1938 230
- 5.4.2.1 Der Stahlrohrstapelstuhl von Bruno Pollak 234
- 5.4.2.2 Stahlrohrmöbelentwürfe der Ateliergemeinschaft 238
- 5.4.2.3 Hersteller und Produktionsversuche der Stahlrohrmöbel 251
- 5.4.2.4 Entwürfe für die Firma Metz & Co 253
- 5.4.2.5 Sperrholzmöbel 261
- 5.4.2.6 Produktionsversuche der Sperrholzmöbel 264
- 5.4.3 Eine Welt für Kinder – Kindermöbel und Baukastenspiele 1927–1938 266
- 5.4.4 Leuchten und andere Metallarbeiten 289
- 5.4.5 Kachelöfen 302
- 5.5 Raumgestaltungen und Architektur 309
- 5.5.1 Verwendung von Farbe als Gestaltungsmittel 309
- |5.5.2 Intervention im Haus Moller von Adolf Loos und im dazugehörigen Garten 319
- 5.5.2.1 Ein neu entdeckter Möblierungsentwurf 319
- 5.5.2.2 Das Zimmer für Anny Wottitz-Moller 334
- 5.5.2.3 Das Gartenhaus 337
- 5.5.3 Wohnkonzepte auf kleinster Fläche 339
- 5.5.3.1 Einwohnräume 339
- 5.5.3.2 „Wachsende Häuser“ – Entwürfe für Kleinhauswohnbauten in Palästina 362
- 5.5.4 Fulminanter Höhe- und Endpunkt – Das Gästehaus Auersperg-Hériot 379
- 5.6 Epilog: Sozialer Anspruch oder Zeitgeist? – Eine kritische Bewertung 411
- 6 Resümee und Ausblick 417
- 7 Anhang 425
- 7.1 Quellentexte 425
- 7.2 Biografie Friedl Dicker / Franz Singer 428
- 7.3 Archive und Sammlungen 431
- 7.4 Literatur 436
- 7.5 Webseiten 473
- 7.6 Bildnachweis 477
- 7.7 Abkürzungen 480
- 7.8 Abstract 481
- 7.9 Register 482