Page - 241 - in Bauhaus in Wien? - Möbeldesign, Innenraumgestaltung und Architektur der Wiener Ateliergemeinschaft von Friedl Dicker und Franz Singer
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Einrichtungsgegenstände: Möbel, Leuchten und Kachelöfen 241
muss offenbleiben. Jedenfalls waren die Stühle von Mies van der Rohe auf den Perspek-
tivzeichnungen des Modesalons Kriser bereits eingezeichnet.
Oftmals finden sich auf den Zeichnungen allerdings die eigenen Stahlrohrmöbelent-
würfe, die aber schließlich nicht auf den nach Fertigstellung der Einrichtung erstellten
Fotografien zu sehen sind. Anzunehmen ist, dass sich der Herstellungsprozess der selbst
entworfenen Stahlrohrmöbel, für die in Wien erst geeignete Handwerker akquiriert wer-
den mussten, verzögerte. Dies war vermutlich ein Grund, warum anfangs Möbel von
Mies van der Rohe und Breuer vermehrt eingesetzt wurden. Zudem wurden auch Stahl-
rohrmöbel anderer Entwerfer mit eigenen Modellen innerhalb einer Wohnung kombi-
niert (Abb. 197).173
Erst ab 1931/32 wurden von der Ateliergemeinschaft verstärkt eigene Stahlrohrmöbel
in den Raumgestaltungen eingesetzt. Insgesamt ist für 17 Projekte, davon 14 in Wien,
der Gebrauch von eigenen Stahlrohrmöbeln nachweisbar.174
Auf der Ausstellung „Wiener Raumkünstler“ 1929/1930 wurden erstmals Stahlrohr-
möbel unter dem Namen Franz Singer präsentiert. Die aktuelle Entwicklung des Frei-
schwingers aufgreifend, wurden hier hinterbeinlose, sogenannte „Wachsende Stühle“
gezeigt, die sich durch ihre ateliertypische Multifunktionalität auszeichneten (Abb. 198).
Formal waren diese Stühle wie der Freischwinger B34 von Breuer aus dem Jahr 1928
aufgebaut, bestanden jedoch aus zwei Teilen, dem rot lackierten Sitzelement und dem
weiß lackierten Untergestell (Abb. 199). Durch eine Verklammerung des Sitzelements
mit den Stuhlbeinen des Untergestells war das Sitzelement höhenverstellbar. Auf einem
Foto ist eine Kette an der Rückseite der Lehne zu erkennen, die unter den Sitz läuft und
vermutlich der Fixierung der jeweiligen Sitzhöhe diente. Auffällig ist die zweifarbige La-
ckierung zur Betonung der zweiteiligen Konstruktion. Dasselbe Modell wurde auf der
Ausstellung auch aus verchromtem Stahlrohr gezeigt. Die Verwendung dieser Stühle ist
allerdings nur für eine Wohnung belegt: Sie gehörten zur Einrichtung im Kinderzimmer
von Florian Adler in Berlin, dem Sohn von Margit Téry-Buschmann und Bruno Adler.
Danach wurden sie offenbar nicht mehr hergestellt.
173 Eigene und Stahlrohrmöbel anderer Entwerfer wurden beispielsweise in der Wohnung Kronengold
von 1932 kombiniert. Ein Foto des Wohn- und Schlafzimmers der Dame zeigt den Stuhl B33 und
einen Tisch B9 von Marcel Breuer in Kombination mit einem Stahlrohrstuhl von Franz Singer.
Siehe: BHA, Fotosammlung, Franz Singer, Inv.-Nr. 9427/44.
174 Stahlrohrmöbel wurden in folgenden Wohnungen verwendet: Wohnung Téry-Buschmann 1930,
Wohnung Epstein 1930, Wohnung Reymers-Münz 1930, Montessori-Kindergarten im Goethe-
hof 1930/32, Gartenhaus Moller 1931, Wohnung Hans Heller und Inge Schön 1931, Wohnung/
Ordination Heidler 1931, Wohnung Breslauer 1931, Wohnung Lehr 1931, Wohnung Reiner-Lin-
gens 1931, Konfiserie Garrido & Jahne 1932, Zimmer Anny Moller 1932, Wohnung Kronengold
1932, Gästehaus Auersperg-Hériot 1933, Hutsalon Friedmann 1933/34, Wohnung Josef und Ella
Deutsch 1935 sowie Wohnung Kriser 1936.
© 2021 Böhlau Verlag | Brill Österreich GmbH
https://doi.org/10.7767/9783205213161 | CC BY-NC 4.0
Bauhaus in Wien?
Möbeldesign, Innenraumgestaltung und Architektur der Wiener Ateliergemeinschaft von Friedl Dicker und Franz Singer
- Title
- Bauhaus in Wien?
- Subtitle
- Möbeldesign, Innenraumgestaltung und Architektur der Wiener Ateliergemeinschaft von Friedl Dicker und Franz Singer
- Author
- Katharina Hövelmann
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21316-1
- Size
- 17.4 x 25.6 cm
- Pages
- 492
Table of contents
- 1 Einleitung 9
- 1.1 Ein vergessenes Kapitel Wiener Design- und Architekturgeschichte 9
- 1.2 Forschungsstand 10
- 1.3 Quellenlage 15
- 1.4 Forschungsziele und Methodik 21
- 2 Dickers und Singers künstlerische Ausbildung im Zeichen von Kunstschulreform und Lebensreformbewegung 27
- 2.1 Die Zeit in Wien 27
- 2.1.1 Herkunft und Ausbildung bis 1916 27
- 2.1.2 Kunstschule Johannes Itten und Netzwerke 1916–1919 33
- 2.2 Studienzeit am Bauhaus in Weimar 1919–1923 47
- 2.2.1 Die Wiener Gruppe um Johannes Itten 47
- 2.2.2 Unterricht 56
- 2.2.3 Erste Architekturentwürfe – Vier Einfamilienhäuser 77
- 3 Berufliche Anfänge 89
- 3.1 Aufträge für Theater in Dresden und Berlin 1921–1922 89
- 3.2 Werkstätten Bildender Kunst GmbH, Berlin 1923–1926 92
- 3.2.1 Arbeiten für Die Truppe 107
- 3.2.2 Die Auflösung 114
- 4 Die Wiener Ateliergemeinschaft 1925–1938 117
- 4.1 Die Zusammenarbeit von Dicker und Singer 1925–1931 117
- 4.2 Architekturfachkenntnis im Hintergrund – Die AteliermitarbeiterInnen 134
- 4.3 AuftraggeberInnen 140
- 4.4 Strategien der Bewerbung 147
- 4.4.1 Axonometrie und Modell 147
- 4.4.2 Fotografie 154
- 4.4.3 Publikationen 157
- 4.5 Dickers und Singers Wege ab 1933/1934 162
- 5 „Das moderne Wohnprinzip“ – Zwischen Bauhaus und Wien 173
- 5.1 Das Bauhaus als Basis 173
- 5.2 Zur Situation in Wien – Innenraumgestaltung und Architektur 175
- 5.2.1 Die Wiener Moderne um 1900 175
- 5.2.2 Wien in der Zwischenkriegszeit 177
- 5.3 Theorie und Anspruch der Ateliergemeinschaft 182
- 5.4 Einrichtungsgegenstände: Möbel, Leuchten und Kachelöfen 185
- 5.4.1 Vom Einzelstück zur Typisierung – Frühe Möbel 1925–1929 185
- 5.4.1.1 Bauhaus und De Stijl als Vorbild 185
- 5.4.1.2 Verwandelbarkeit als Prinzip 202
- 5.4.1.3 Verbindungen zum Wiener Jugendstil und Biedermeier 210
- 5.4.1.4 Zwischen sozialem und künstlerischem Anspruch: Typisierungstendenzen 216
- 5.4.1.5 Möbeltischler und Hersteller 228
- 5.4.2 Wege zur Serienfabrikation – Stahlrohr- und Sperrholzmöbel 1929–1938 230
- 5.4.2.1 Der Stahlrohrstapelstuhl von Bruno Pollak 234
- 5.4.2.2 Stahlrohrmöbelentwürfe der Ateliergemeinschaft 238
- 5.4.2.3 Hersteller und Produktionsversuche der Stahlrohrmöbel 251
- 5.4.2.4 Entwürfe für die Firma Metz & Co 253
- 5.4.2.5 Sperrholzmöbel 261
- 5.4.2.6 Produktionsversuche der Sperrholzmöbel 264
- 5.4.3 Eine Welt für Kinder – Kindermöbel und Baukastenspiele 1927–1938 266
- 5.4.4 Leuchten und andere Metallarbeiten 289
- 5.4.5 Kachelöfen 302
- 5.5 Raumgestaltungen und Architektur 309
- 5.5.1 Verwendung von Farbe als Gestaltungsmittel 309
- |5.5.2 Intervention im Haus Moller von Adolf Loos und im dazugehörigen Garten 319
- 5.5.2.1 Ein neu entdeckter Möblierungsentwurf 319
- 5.5.2.2 Das Zimmer für Anny Wottitz-Moller 334
- 5.5.2.3 Das Gartenhaus 337
- 5.5.3 Wohnkonzepte auf kleinster Fläche 339
- 5.5.3.1 Einwohnräume 339
- 5.5.3.2 „Wachsende Häuser“ – Entwürfe für Kleinhauswohnbauten in Palästina 362
- 5.5.4 Fulminanter Höhe- und Endpunkt – Das Gästehaus Auersperg-Hériot 379
- 5.6 Epilog: Sozialer Anspruch oder Zeitgeist? – Eine kritische Bewertung 411
- 6 Resümee und Ausblick 417
- 7 Anhang 425
- 7.1 Quellentexte 425
- 7.2 Biografie Friedl Dicker / Franz Singer 428
- 7.3 Archive und Sammlungen 431
- 7.4 Literatur 436
- 7.5 Webseiten 473
- 7.6 Bildnachweis 477
- 7.7 Abkürzungen 480
- 7.8 Abstract 481
- 7.9 Register 482