Page - 243 - in Bauhaus in Wien? - Möbeldesign, Innenraumgestaltung und Architektur der Wiener Ateliergemeinschaft von Friedl Dicker und Franz Singer
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Einrichtungsgegenstände: Möbel, Leuchten und Kachelöfen 243
Zu dieser 1930 eingerichteten Wohnung Téry-Buschmann gehörte auch eine Couch
L/S1 mit Stahlrohrfüßen, die seither zunehmend anstelle des „Diwanbetts“ Li11 in den
Wohnungseinrichtungen verwendet wurde. Die quadratischen Module konnten in un-
terschiedlichen Formationen als Couch oder Schlafgelegenheit zusammengestellt werden
und griffen somit ebenfalls das Prinzip der Multifunktionalität auf (Abb. 361).
Um 1930/1931 entwickelte die Ateliergemeinschaft den Freischwinger S1 mit Arm-
lehnen aus Rohrgeflecht (Abb. 200). Es gab verschiedene Ausführungen mit Sitzflächen
aus Drahtnetz, eingehängten dünnen Polstern oder einer Stoffbespannung. Namensge-
bend für diesen intern auch als „Breslauer-Fauteuil“ bezeichneten Stuhl war Alfred Bres-
lauer, in dessen Einraumwohnung der Stuhl zur Einrichtung gehörte.175
Der S1 war auch Bestandteil im 1931 errichteten Gartenhaus der Mollers. Ergänzend
kam hier jedoch noch ein weiterer Freischwinger zum Einsatz, der auch auf der oben
erwähnten Zeichnung für das Tennisklubhaus für Hans Heller zu sehen ist.176 Die tatsäch-
liche Ausführung dieses Stuhltyps ist jedoch erst mit dem Auftrag für die Familie Moller
1931 belegbar. Dieser Stuhl war stapelbar und wies im Fuß eine an die Formgestaltung
von Bugholzmöbeln erinnernde schlaufenförmige Überkreuzung auf (Abb. 201–202).177
Dieses optische Charakteristikum wurde in der Folge zu einer Art Markenzeichen der
Entwürfe von Franz Singer. Die Konstruktion aus gekreuzten Stahlrohren und die Stapel-
barkeit meldete Singer erstmals 1935 in Großbritannien, 1936 in Frankreich und 1937 in
der Schweiz, Ungarn und dem „Deutschen Reich“ zum Patent an.178 Der Stuhl wies eine
Bespannung aus Rohrgeflecht auf, die am Stahlrohr so befestigt war, dass sich durch die
Freistellen ein würfelförmiges Muster ergab. Dieser Stuhl gehörte auch zur Einrichtung
175 Die Bezeichnung des Stuhls S1 als „Breslauer-Fauteuil“ findet sich beispielsweise auf einer Liste vom
16.10.1933 für die Wohnung von Rola Turnau im AGS.
176 AGS, Axonometrie des Tennisklubhauses, um 1928. Vgl. Abb.: Kat. Ausst. Heiligenkreuzerhof
1988, S. 76–77.
177 1927 wurde die Überkreuzung bereits für Holzstühle in der Wohnung von Ernst Wachtel aufgegrif-
fen.
178 AGS, Franz Singer, Provisional specification: Improvements relating to Tables, Stands, and like
Articles of Furniture, Patentamt Großbritannien, 462419, angemeldet: 06.06.1935, genehmigt:
08.03.1937; Franz Singer, Provisional specification: Improvements relating to Chairs, Tables,
Stands and like Furniture, Patentamt Großbritannien, 462381, angemeldet: 06.06.1935, geneh-
migt: 08.03.1937; Franz Singer, Gestell für frei tragende, stapelbare Tische, Stühle oder ähnliche
Möbel, Patentamt Deutsches Reich, 688149, patentiert: 07.03.1937, bekanntgemacht: 25.01.1940,
ausgegeben: 14.02.1940; Franz Singer, Rahmengestell für freitragende, stapelbare Möbelstücke, ins-
besondere Stühle, Patentamt Schweiz, 197539, eingereicht: 04.03.1937, eingetragen: 15.05.1938,
veröffentlicht: 01.08.1938; Franz Singer, Meubles emboîtable à profil encorbellé, Patentamt Frank-
reich, 813019, angemeldet: 04.06.1936, ausgegeben: 15.02.1937, veröffentlicht: 25.05.1937; Franz
Singer, bútorkeret, Patentamt Ungarn, 119004, angemeldet: 06.03.1937, ausgegeben: 19.07.1938,
veröffentlicht: 15.09.1938.
© 2021 Böhlau Verlag | Brill Österreich GmbH
https://doi.org/10.7767/9783205213161 | CC BY-NC 4.0
Bauhaus in Wien?
Möbeldesign, Innenraumgestaltung und Architektur der Wiener Ateliergemeinschaft von Friedl Dicker und Franz Singer
- Title
- Bauhaus in Wien?
- Subtitle
- Möbeldesign, Innenraumgestaltung und Architektur der Wiener Ateliergemeinschaft von Friedl Dicker und Franz Singer
- Author
- Katharina Hövelmann
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21316-1
- Size
- 17.4 x 25.6 cm
- Pages
- 492
Table of contents
- 1 Einleitung 9
- 1.1 Ein vergessenes Kapitel Wiener Design- und Architekturgeschichte 9
- 1.2 Forschungsstand 10
- 1.3 Quellenlage 15
- 1.4 Forschungsziele und Methodik 21
- 2 Dickers und Singers künstlerische Ausbildung im Zeichen von Kunstschulreform und Lebensreformbewegung 27
- 2.1 Die Zeit in Wien 27
- 2.1.1 Herkunft und Ausbildung bis 1916 27
- 2.1.2 Kunstschule Johannes Itten und Netzwerke 1916–1919 33
- 2.2 Studienzeit am Bauhaus in Weimar 1919–1923 47
- 2.2.1 Die Wiener Gruppe um Johannes Itten 47
- 2.2.2 Unterricht 56
- 2.2.3 Erste Architekturentwürfe – Vier Einfamilienhäuser 77
- 3 Berufliche Anfänge 89
- 3.1 Aufträge für Theater in Dresden und Berlin 1921–1922 89
- 3.2 Werkstätten Bildender Kunst GmbH, Berlin 1923–1926 92
- 3.2.1 Arbeiten für Die Truppe 107
- 3.2.2 Die Auflösung 114
- 4 Die Wiener Ateliergemeinschaft 1925–1938 117
- 4.1 Die Zusammenarbeit von Dicker und Singer 1925–1931 117
- 4.2 Architekturfachkenntnis im Hintergrund – Die AteliermitarbeiterInnen 134
- 4.3 AuftraggeberInnen 140
- 4.4 Strategien der Bewerbung 147
- 4.4.1 Axonometrie und Modell 147
- 4.4.2 Fotografie 154
- 4.4.3 Publikationen 157
- 4.5 Dickers und Singers Wege ab 1933/1934 162
- 5 „Das moderne Wohnprinzip“ – Zwischen Bauhaus und Wien 173
- 5.1 Das Bauhaus als Basis 173
- 5.2 Zur Situation in Wien – Innenraumgestaltung und Architektur 175
- 5.2.1 Die Wiener Moderne um 1900 175
- 5.2.2 Wien in der Zwischenkriegszeit 177
- 5.3 Theorie und Anspruch der Ateliergemeinschaft 182
- 5.4 Einrichtungsgegenstände: Möbel, Leuchten und Kachelöfen 185
- 5.4.1 Vom Einzelstück zur Typisierung – Frühe Möbel 1925–1929 185
- 5.4.1.1 Bauhaus und De Stijl als Vorbild 185
- 5.4.1.2 Verwandelbarkeit als Prinzip 202
- 5.4.1.3 Verbindungen zum Wiener Jugendstil und Biedermeier 210
- 5.4.1.4 Zwischen sozialem und künstlerischem Anspruch: Typisierungstendenzen 216
- 5.4.1.5 Möbeltischler und Hersteller 228
- 5.4.2 Wege zur Serienfabrikation – Stahlrohr- und Sperrholzmöbel 1929–1938 230
- 5.4.2.1 Der Stahlrohrstapelstuhl von Bruno Pollak 234
- 5.4.2.2 Stahlrohrmöbelentwürfe der Ateliergemeinschaft 238
- 5.4.2.3 Hersteller und Produktionsversuche der Stahlrohrmöbel 251
- 5.4.2.4 Entwürfe für die Firma Metz & Co 253
- 5.4.2.5 Sperrholzmöbel 261
- 5.4.2.6 Produktionsversuche der Sperrholzmöbel 264
- 5.4.3 Eine Welt für Kinder – Kindermöbel und Baukastenspiele 1927–1938 266
- 5.4.4 Leuchten und andere Metallarbeiten 289
- 5.4.5 Kachelöfen 302
- 5.5 Raumgestaltungen und Architektur 309
- 5.5.1 Verwendung von Farbe als Gestaltungsmittel 309
- |5.5.2 Intervention im Haus Moller von Adolf Loos und im dazugehörigen Garten 319
- 5.5.2.1 Ein neu entdeckter Möblierungsentwurf 319
- 5.5.2.2 Das Zimmer für Anny Wottitz-Moller 334
- 5.5.2.3 Das Gartenhaus 337
- 5.5.3 Wohnkonzepte auf kleinster Fläche 339
- 5.5.3.1 Einwohnräume 339
- 5.5.3.2 „Wachsende Häuser“ – Entwürfe für Kleinhauswohnbauten in Palästina 362
- 5.5.4 Fulminanter Höhe- und Endpunkt – Das Gästehaus Auersperg-Hériot 379
- 5.6 Epilog: Sozialer Anspruch oder Zeitgeist? – Eine kritische Bewertung 411
- 6 Resümee und Ausblick 417
- 7 Anhang 425
- 7.1 Quellentexte 425
- 7.2 Biografie Friedl Dicker / Franz Singer 428
- 7.3 Archive und Sammlungen 431
- 7.4 Literatur 436
- 7.5 Webseiten 473
- 7.6 Bildnachweis 477
- 7.7 Abkürzungen 480
- 7.8 Abstract 481
- 7.9 Register 482