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Einrichtungsgegenstände: Möbel, Leuchten und Kachelöfen 247
ausfindig zu machen um das Sesselgeflecht unter Vermeidung von Holzrahmen, direkt
ins gelochte Stahlrohr flechten zu können. Das ist möglich, wenn das Stahlrohr mit
Holzstangen gefüllt wird. Da das an den Biegungsstellen Schwierigkeiten macht, möchte
ich das Stahlrohr so füllen, dass an den geraden Stellen Holz, den Biegungsstellen Kork
enthalten ist. Wenn sich zeigen sollte, dass die Korkfüllung für das Flechten ebenso gut
ist wie Holz, könnte man das Ganze Rohr mit Kork füllen. Ich glaube Sie sollten zwei
Rahmen bei Gowal bestellen. Der eine mit Holz und Kork, der zweite ganz mit Kork
gefüllt und sie beide bei Czengel[?] lochen und flechten lassen.“181 In der Patentschrift
wurde die Technik so beschrieben: „Metallrohrmöbel, bei welchem die Befestigung ein-
zelner Teile an dem Rohrgerippe mittels Elementen (wie Schnüre, Bänder, Geflechte od.
dgl.) erfolgt, die durch Rohrkanten verletzbar sind, dadurch gekennzeichnet, daß die
Befestigungselemente durch Querbohrungen der Rohre und in denselben befindliche
weichere Kerne gezogen sind, wobei die Kanten der Bohrlöcher in den Rohren durch
das weichere Kernmaterial abgedeckt sind.“182 Mit der unsichtbaren Einflechtung anstatt
eines bespannten Holzrahmens wurde eine Technik entwickelt, die zwar hohen ästheti-
schen Maßstäben gerecht wurde, jedoch für eine massenweise Herstellung kompliziert,
teuer und somit nicht geeignet war.
Obwohl sich bei den Stahlrohr-Stühlen Typen herausbildeten, blieben sie dennoch
Einzelanfertigungen, die in den Details wie beispielsweise Höhe und Neigung der Lehne
voneinander abwichen. Zwei Stahlrohrstühle waren dagegen dezidierte Einzelstücke. Ein
Stuhl bezieht sich unverkennbar auf den Stuhl LC7 aus dem Jahr 1927, der von der im
Büro Le Corbusier tätigen Charlotte Perriand entworfen wurde. Dieser Stuhl wurde für
das 1933 errichtete Gästehaus von Hildegard Auersperg-Hériot entworfen. Abweichend
zu Perriands Entwurf wurde allerdings die für Singer typische Überkreuzung im Fußbe-
reich des Stuhls gewählt (Abb. 208).183 Ein weiterer Stuhl wurde für die Kindergärtnerin-
nen des Montessori-Kindergartens im Goethehof in Wien entworfen.184
Neben Sitzmöbeln wurden auch Tische und Liegemöbel aus Stahlrohr entwickelt.
Skulptural wie Möbelentwürfe von Eileen Gray wirkt der für den Verleger Hans Epstein
1930 entworfene Schreibtisch, bei dem die Unterkonstruktion aus zwei wellenförmi-
181 AGS, Brief Franz Singer an Leopoldine Schrom, 1.4.1936.
182 AGS, Franz Singer, Metallrohrmöbel und Verfahren zu deren Herstellung, Patentamt Deutsches
Reich, Zweigstelle Österreich, 156087, angemeldet: 09.12.1936, Beginn: 15.12.1938, ausgegeben:
10.05.1939.
183 In einem Brief an Hildegard Auersperg-Hériot gibt Singer Besichtigungsempfehlungen für verschie-
dene Bauten in Paris an, unter anderem die Villa Stein-de-Monzie von Le Corbusier. Möglicher-
weise sah Auersperg-Hériot bei ihrem Paris-Aufenthalt den Stuhl LC7 und ließ sich daraufhin vom
Atelier ein ähnliches Modell entwerfen. Siehe: AGS, Brief Franz Singer an Hildegard Auersperg-
Hériot, 25.5.1933.
184 BHA, Fotosammlung, Franz Singer, Inv.-Nr. 9408/2.
© 2021 Böhlau Verlag | Brill Österreich GmbH
https://doi.org/10.7767/9783205213161 | CC BY-NC 4.0
Bauhaus in Wien?
Möbeldesign, Innenraumgestaltung und Architektur der Wiener Ateliergemeinschaft von Friedl Dicker und Franz Singer
- Title
- Bauhaus in Wien?
- Subtitle
- Möbeldesign, Innenraumgestaltung und Architektur der Wiener Ateliergemeinschaft von Friedl Dicker und Franz Singer
- Author
- Katharina Hövelmann
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21316-1
- Size
- 17.4 x 25.6 cm
- Pages
- 492
Table of contents
- 1 Einleitung 9
- 1.1 Ein vergessenes Kapitel Wiener Design- und Architekturgeschichte 9
- 1.2 Forschungsstand 10
- 1.3 Quellenlage 15
- 1.4 Forschungsziele und Methodik 21
- 2 Dickers und Singers künstlerische Ausbildung im Zeichen von Kunstschulreform und Lebensreformbewegung 27
- 2.1 Die Zeit in Wien 27
- 2.1.1 Herkunft und Ausbildung bis 1916 27
- 2.1.2 Kunstschule Johannes Itten und Netzwerke 1916–1919 33
- 2.2 Studienzeit am Bauhaus in Weimar 1919–1923 47
- 2.2.1 Die Wiener Gruppe um Johannes Itten 47
- 2.2.2 Unterricht 56
- 2.2.3 Erste Architekturentwürfe – Vier Einfamilienhäuser 77
- 3 Berufliche Anfänge 89
- 3.1 Aufträge für Theater in Dresden und Berlin 1921–1922 89
- 3.2 Werkstätten Bildender Kunst GmbH, Berlin 1923–1926 92
- 3.2.1 Arbeiten für Die Truppe 107
- 3.2.2 Die Auflösung 114
- 4 Die Wiener Ateliergemeinschaft 1925–1938 117
- 4.1 Die Zusammenarbeit von Dicker und Singer 1925–1931 117
- 4.2 Architekturfachkenntnis im Hintergrund – Die AteliermitarbeiterInnen 134
- 4.3 AuftraggeberInnen 140
- 4.4 Strategien der Bewerbung 147
- 4.4.1 Axonometrie und Modell 147
- 4.4.2 Fotografie 154
- 4.4.3 Publikationen 157
- 4.5 Dickers und Singers Wege ab 1933/1934 162
- 5 „Das moderne Wohnprinzip“ – Zwischen Bauhaus und Wien 173
- 5.1 Das Bauhaus als Basis 173
- 5.2 Zur Situation in Wien – Innenraumgestaltung und Architektur 175
- 5.2.1 Die Wiener Moderne um 1900 175
- 5.2.2 Wien in der Zwischenkriegszeit 177
- 5.3 Theorie und Anspruch der Ateliergemeinschaft 182
- 5.4 Einrichtungsgegenstände: Möbel, Leuchten und Kachelöfen 185
- 5.4.1 Vom Einzelstück zur Typisierung – Frühe Möbel 1925–1929 185
- 5.4.1.1 Bauhaus und De Stijl als Vorbild 185
- 5.4.1.2 Verwandelbarkeit als Prinzip 202
- 5.4.1.3 Verbindungen zum Wiener Jugendstil und Biedermeier 210
- 5.4.1.4 Zwischen sozialem und künstlerischem Anspruch: Typisierungstendenzen 216
- 5.4.1.5 Möbeltischler und Hersteller 228
- 5.4.2 Wege zur Serienfabrikation – Stahlrohr- und Sperrholzmöbel 1929–1938 230
- 5.4.2.1 Der Stahlrohrstapelstuhl von Bruno Pollak 234
- 5.4.2.2 Stahlrohrmöbelentwürfe der Ateliergemeinschaft 238
- 5.4.2.3 Hersteller und Produktionsversuche der Stahlrohrmöbel 251
- 5.4.2.4 Entwürfe für die Firma Metz & Co 253
- 5.4.2.5 Sperrholzmöbel 261
- 5.4.2.6 Produktionsversuche der Sperrholzmöbel 264
- 5.4.3 Eine Welt für Kinder – Kindermöbel und Baukastenspiele 1927–1938 266
- 5.4.4 Leuchten und andere Metallarbeiten 289
- 5.4.5 Kachelöfen 302
- 5.5 Raumgestaltungen und Architektur 309
- 5.5.1 Verwendung von Farbe als Gestaltungsmittel 309
- |5.5.2 Intervention im Haus Moller von Adolf Loos und im dazugehörigen Garten 319
- 5.5.2.1 Ein neu entdeckter Möblierungsentwurf 319
- 5.5.2.2 Das Zimmer für Anny Wottitz-Moller 334
- 5.5.2.3 Das Gartenhaus 337
- 5.5.3 Wohnkonzepte auf kleinster Fläche 339
- 5.5.3.1 Einwohnräume 339
- 5.5.3.2 „Wachsende Häuser“ – Entwürfe für Kleinhauswohnbauten in Palästina 362
- 5.5.4 Fulminanter Höhe- und Endpunkt – Das Gästehaus Auersperg-Hériot 379
- 5.6 Epilog: Sozialer Anspruch oder Zeitgeist? – Eine kritische Bewertung 411
- 6 Resümee und Ausblick 417
- 7 Anhang 425
- 7.1 Quellentexte 425
- 7.2 Biografie Friedl Dicker / Franz Singer 428
- 7.3 Archive und Sammlungen 431
- 7.4 Literatur 436
- 7.5 Webseiten 473
- 7.6 Bildnachweis 477
- 7.7 Abkürzungen 480
- 7.8 Abstract 481
- 7.9 Register 482