Page - 277 - in Bauhaus in Wien? - Möbeldesign, Innenraumgestaltung und Architektur der Wiener Ateliergemeinschaft von Friedl Dicker und Franz Singer
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Einrichtungsgegenstände: Möbel, Leuchten und Kachelöfen 277
staltungen wurden nicht umgesetzt.260 Ein Übersichtsplan der Ateliergemeinschaft zeigt
auch Planungen für die Außenanlage mit Klettergerüst, Tunneln, halbkreisförmigem
Schwimmbassin, Kleintierställen und Garten (Abb. 243).261
Alle Beschäftigungsräume verfügten längs der Wände über Funktionsbereiche, die mit
unterschiedlichen Farben an Wänden und Böden kenntlich gemacht waren (Abb. 244).
Zu den Funktionsbereichen gehörten Schränke an den Fensterseiten, in denen die Mon-
tessori-Materialien und Spielsachen aufbewahrt wurden, ein Ruhebereich, ein Garten-
bereich mit Blumenkästen, der von den Kindern bepflanzt wurde, ein Haushaltsbereich
mit Geschirrschränken und Spüle sowie ein Waschbereich. Auch Franz Schuster hatte
in seinem 1930 eröffneten „Haus der Kinder“ am Rudolfsplatz unterschiedliche Funk-
tionsbereiche eingerichtet, die jedoch bis auf die integrierten Zimmergärten von den
Beschäftigungsräumen separiert waren.
Charakteristisch war die Multifunktionalität der Kindergarten-Möbel. Die bereits
oben erwähnte Garderobe, die gleichzeitig als Ruhebereich genutzt werden konnte, be-
stand aus einer im Grundriss u-förmigen Stellage aus Holzlatten, in der sich hochkant
aufgestellte Liegen befanden, die bei Bedarf für den Mittagsschlaf der Kinder entnom-
men und in der Mitte des Raums aufgestellt wurden (Abb. 245–247). Waren die Ma-
tratzen in der Stellage, bot der Raum Platz für einen runden Klapptisch und Stühle.
Ferdinand Kramer hatte bereits 1928 zusammenklappbare Liegen aus Aluminium mit
einer Bespannung aus Segeltuch für den Frankfurter Kindergarten der Siedlung Bruch-
feldstraße entworfen.262 Diese wurden, wie neu aufgefundene Fotos belegen, offenbar
auch im Wiener „Haus der Kinder“ von Franz Schuster verwendet und könnten Singer
zu seinem Entwurf inspiriert haben (Abb. 248).
Zu den weiteren Möbeln der Beschäftigungsräume gehörten der Stuhl S10, der Hocker
S10 und der Klapptisch Ti7, die durch Stapeln und Zusammenklappen einfach verstaut
werden konnten, um Platz für Bewegungsspiele oder anderes zu schaffen (Abb. 249).
Diese Möbeltypen wurden auch für Erwachsene hergestellt und waren der Kindergröße
angepasst. Der höhenverstellbare Klapptisch fungierte, auf der Längsseite der Tischplatte
aufgestellt, auch als Raumtrenner. Die Spielwürfel mit Tragegriffen im Spielsaal konnten
sowohl als Hocker als auch als Bausteine zum Spielen verwendet werden, womit Paral-
260 AGS, Kostenvoranschlag für die Gemeinde Wien, 14.4.1933. Siehe auch: AGS, Kopie einer Mappe
von Hedy Schwarz zu Montessori-Einrichtungen in Wien, 1930/1940er-Jahre: „In 1932 the other
3 Playrooms were furnished, partly with old equipment because the Municipality had already great
political difficulties in getting enough financial support for their Welfare Work.“
261 Die Umgebung des Kindergartens wurde letztendlich aber nicht als Garten angelegt, sondern asphal-
tiert. Hedy Schwarz berichtet, dass erst durch die tatkräftige Hilfe von Eltern ein Garten umgesetzt
werden konnte. Siehe: AGS, Kopie einer Mappe von Hedy Schwarz zu Montessori-Einrichtungen
in Wien, 1930/1940er-Jahre.
262 Siehe: Breuer 2014, S. 144–145.
© 2021 Böhlau Verlag | Brill Österreich GmbH
https://doi.org/10.7767/9783205213161 | CC BY-NC 4.0
Bauhaus in Wien?
Möbeldesign, Innenraumgestaltung und Architektur der Wiener Ateliergemeinschaft von Friedl Dicker und Franz Singer
- Title
- Bauhaus in Wien?
- Subtitle
- Möbeldesign, Innenraumgestaltung und Architektur der Wiener Ateliergemeinschaft von Friedl Dicker und Franz Singer
- Author
- Katharina Hövelmann
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21316-1
- Size
- 17.4 x 25.6 cm
- Pages
- 492
Table of contents
- 1 Einleitung 9
- 1.1 Ein vergessenes Kapitel Wiener Design- und Architekturgeschichte 9
- 1.2 Forschungsstand 10
- 1.3 Quellenlage 15
- 1.4 Forschungsziele und Methodik 21
- 2 Dickers und Singers künstlerische Ausbildung im Zeichen von Kunstschulreform und Lebensreformbewegung 27
- 2.1 Die Zeit in Wien 27
- 2.1.1 Herkunft und Ausbildung bis 1916 27
- 2.1.2 Kunstschule Johannes Itten und Netzwerke 1916–1919 33
- 2.2 Studienzeit am Bauhaus in Weimar 1919–1923 47
- 2.2.1 Die Wiener Gruppe um Johannes Itten 47
- 2.2.2 Unterricht 56
- 2.2.3 Erste Architekturentwürfe – Vier Einfamilienhäuser 77
- 3 Berufliche Anfänge 89
- 3.1 Aufträge für Theater in Dresden und Berlin 1921–1922 89
- 3.2 Werkstätten Bildender Kunst GmbH, Berlin 1923–1926 92
- 3.2.1 Arbeiten für Die Truppe 107
- 3.2.2 Die Auflösung 114
- 4 Die Wiener Ateliergemeinschaft 1925–1938 117
- 4.1 Die Zusammenarbeit von Dicker und Singer 1925–1931 117
- 4.2 Architekturfachkenntnis im Hintergrund – Die AteliermitarbeiterInnen 134
- 4.3 AuftraggeberInnen 140
- 4.4 Strategien der Bewerbung 147
- 4.4.1 Axonometrie und Modell 147
- 4.4.2 Fotografie 154
- 4.4.3 Publikationen 157
- 4.5 Dickers und Singers Wege ab 1933/1934 162
- 5 „Das moderne Wohnprinzip“ – Zwischen Bauhaus und Wien 173
- 5.1 Das Bauhaus als Basis 173
- 5.2 Zur Situation in Wien – Innenraumgestaltung und Architektur 175
- 5.2.1 Die Wiener Moderne um 1900 175
- 5.2.2 Wien in der Zwischenkriegszeit 177
- 5.3 Theorie und Anspruch der Ateliergemeinschaft 182
- 5.4 Einrichtungsgegenstände: Möbel, Leuchten und Kachelöfen 185
- 5.4.1 Vom Einzelstück zur Typisierung – Frühe Möbel 1925–1929 185
- 5.4.1.1 Bauhaus und De Stijl als Vorbild 185
- 5.4.1.2 Verwandelbarkeit als Prinzip 202
- 5.4.1.3 Verbindungen zum Wiener Jugendstil und Biedermeier 210
- 5.4.1.4 Zwischen sozialem und künstlerischem Anspruch: Typisierungstendenzen 216
- 5.4.1.5 Möbeltischler und Hersteller 228
- 5.4.2 Wege zur Serienfabrikation – Stahlrohr- und Sperrholzmöbel 1929–1938 230
- 5.4.2.1 Der Stahlrohrstapelstuhl von Bruno Pollak 234
- 5.4.2.2 Stahlrohrmöbelentwürfe der Ateliergemeinschaft 238
- 5.4.2.3 Hersteller und Produktionsversuche der Stahlrohrmöbel 251
- 5.4.2.4 Entwürfe für die Firma Metz & Co 253
- 5.4.2.5 Sperrholzmöbel 261
- 5.4.2.6 Produktionsversuche der Sperrholzmöbel 264
- 5.4.3 Eine Welt für Kinder – Kindermöbel und Baukastenspiele 1927–1938 266
- 5.4.4 Leuchten und andere Metallarbeiten 289
- 5.4.5 Kachelöfen 302
- 5.5 Raumgestaltungen und Architektur 309
- 5.5.1 Verwendung von Farbe als Gestaltungsmittel 309
- |5.5.2 Intervention im Haus Moller von Adolf Loos und im dazugehörigen Garten 319
- 5.5.2.1 Ein neu entdeckter Möblierungsentwurf 319
- 5.5.2.2 Das Zimmer für Anny Wottitz-Moller 334
- 5.5.2.3 Das Gartenhaus 337
- 5.5.3 Wohnkonzepte auf kleinster Fläche 339
- 5.5.3.1 Einwohnräume 339
- 5.5.3.2 „Wachsende Häuser“ – Entwürfe für Kleinhauswohnbauten in Palästina 362
- 5.5.4 Fulminanter Höhe- und Endpunkt – Das Gästehaus Auersperg-Hériot 379
- 5.6 Epilog: Sozialer Anspruch oder Zeitgeist? – Eine kritische Bewertung 411
- 6 Resümee und Ausblick 417
- 7 Anhang 425
- 7.1 Quellentexte 425
- 7.2 Biografie Friedl Dicker / Franz Singer 428
- 7.3 Archive und Sammlungen 431
- 7.4 Literatur 436
- 7.5 Webseiten 473
- 7.6 Bildnachweis 477
- 7.7 Abkürzungen 480
- 7.8 Abstract 481
- 7.9 Register 482