Page - 299 - in Bauhaus in Wien? - Möbeldesign, Innenraumgestaltung und Architektur der Wiener Ateliergemeinschaft von Friedl Dicker und Franz Singer
Image of the Page - 299 -
Text of the Page - 299 -
Einrichtungsgegenstände: Möbel, Leuchten und Kachelöfen 299
(Abb. 282).298 Der flexible Wandarm dieser Leuchten ermöglichte Variationen in der Be-
leuchtung. Einige Entwurfszeichnungen weisen die Bezeichnung „Midgardscherenarm“
auf und zeigen Scherenarme mit selbst entworfenen Lampenschirmen oder Leuchtkör-
pern aus Soffitten (Abb. 283). Wie sich im Zuge der Recherchen herausstellte, stamm-
ten die verwendeten Scherenarm-Leuchten tatsächlich von der Firma Midgard.299 Ob-
schon sich keine Rechnungen dieser Firma im Nachlass erhalten haben, die den Kauf
belegen könnten, weist eine erhaltene Scherenarmleuchte, auf deren Arm „Midgard
D.R.G.M.R.P. Ausl. Pat. Oesterr. Patent 89896“300 eingraviert ist, darauf hin, dass offen-
bar selbstentworfene Schirme auf vorfabrizierte Midgard-Scherenarme montiert wurden
(Abb. 284–285). So bestätigt auch die Österreichische Patentschrift des Konstrukteurs
Curt Fischer für den „Verstellbaren Wandarm“, dass am Kopfstück ein Lampenträger
mit dem Leuchtkörper angebracht werde und die „Konstruktion und Ausführung dieses
Lampenträgers [...] eine ganz beliebige und zweckentsprechende“ sein könne.301 Ein im
Nachlass erhaltenes Faltblatt von Midgard weist zudem auf die Beschäftigung des Ateliers
mit Anwendungsbeispielen dieser Leuchten hin.302
Am Bauhaus wurde auf diese unter technischen, formalen und funktionalen Gesichts-
punkten kaum zu übertreffenden Midgard-Leuchten ebenfalls zurückgegriffen. Im Haus
Gropius in Dessau gehörte beispielsweise eine Klemmleuchte von Midgard zur Einrich-
tung im Wohnzimmer.303 Mit der Wahl dieses Typs griff die Ateliergemeinschaft also
auf ein Fabrikat zurück, das auch am Bauhaus außerordentlich geschätzt wurde und
von der Metallwerkstätte des Bauhauses nicht übertroffen werden konnte. Über die dort
entwickelte Arbeitsleuchte mit Gelenkarm bemerkte Marianne Brandt: „Beneidet haben
298 Anhand der Fotografien ist die Verwendung von Scherenarm-Leuchten in folgenden Innenraum-
gestaltungen des Ateliers nachweisbar: Wohnung Breslauer, Wohnung Téry-Buschmann, Wohnung
Epstein, Wohnung Hunger, Wohnung Kraus, Modesalon Kriser, Wohnung Reiner-Lingens, Woh-
nung Reisner, Wohnung Singer, Wohnung Taglicht.
299 1919 wurde das Industriewerk Auma Ronneberger & Fischer, Werkzeug- und Maschinenfabrik von
Curt Fischer und Konrad Ronneberger gegründet, aus der später die MIDGARD-Licht GmbH
hervorging. Entstanden aus dem eigenen Bedarf für seine Fabrik entwickelte Fischer Scheren- und
Gelenkleuchten. 1919 wurde das Patent für einen „Verstellbaren Wandarm für elektrische Lampen“
angemeldet. Die Leuchten wurden fortan für Arbeitsplätze und Büros produziert. Siehe: Specht/
Struve 2015, S. 20–25.
300 Beim Österreichischen Patentamt meldete Curt Fischer aus Auma in Thüringen 1921 ein Patent für
seinen „Verstellbaren Wandarm“ an: Curt Fischer, Verstellbarer Wandarm, Patentamt Österreich,
89896, Anmeldung: 4.1.1921, Beginn: 15.3.1922.
301 Curt Fischer, Verstellbarer Wandarm, Patentamt Österreich, 89896, Anmeldung: 4.1.1921, Beginn:
15.3.1922.
302 Siehe: AGS. Zudem befindet sich im AGS ein Prospekt mit „Typerlite“-Schwenkarmleuchten aus
Großbritannien.
303 Weber 2002, S. 52.
© 2021 Böhlau Verlag | Brill Österreich GmbH
https://doi.org/10.7767/9783205213161 | CC BY-NC 4.0
Bauhaus in Wien?
Möbeldesign, Innenraumgestaltung und Architektur der Wiener Ateliergemeinschaft von Friedl Dicker und Franz Singer
- Title
- Bauhaus in Wien?
- Subtitle
- Möbeldesign, Innenraumgestaltung und Architektur der Wiener Ateliergemeinschaft von Friedl Dicker und Franz Singer
- Author
- Katharina Hövelmann
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21316-1
- Size
- 17.4 x 25.6 cm
- Pages
- 492
Table of contents
- 1 Einleitung 9
- 1.1 Ein vergessenes Kapitel Wiener Design- und Architekturgeschichte 9
- 1.2 Forschungsstand 10
- 1.3 Quellenlage 15
- 1.4 Forschungsziele und Methodik 21
- 2 Dickers und Singers künstlerische Ausbildung im Zeichen von Kunstschulreform und Lebensreformbewegung 27
- 2.1 Die Zeit in Wien 27
- 2.1.1 Herkunft und Ausbildung bis 1916 27
- 2.1.2 Kunstschule Johannes Itten und Netzwerke 1916–1919 33
- 2.2 Studienzeit am Bauhaus in Weimar 1919–1923 47
- 2.2.1 Die Wiener Gruppe um Johannes Itten 47
- 2.2.2 Unterricht 56
- 2.2.3 Erste Architekturentwürfe – Vier Einfamilienhäuser 77
- 3 Berufliche Anfänge 89
- 3.1 Aufträge für Theater in Dresden und Berlin 1921–1922 89
- 3.2 Werkstätten Bildender Kunst GmbH, Berlin 1923–1926 92
- 3.2.1 Arbeiten für Die Truppe 107
- 3.2.2 Die Auflösung 114
- 4 Die Wiener Ateliergemeinschaft 1925–1938 117
- 4.1 Die Zusammenarbeit von Dicker und Singer 1925–1931 117
- 4.2 Architekturfachkenntnis im Hintergrund – Die AteliermitarbeiterInnen 134
- 4.3 AuftraggeberInnen 140
- 4.4 Strategien der Bewerbung 147
- 4.4.1 Axonometrie und Modell 147
- 4.4.2 Fotografie 154
- 4.4.3 Publikationen 157
- 4.5 Dickers und Singers Wege ab 1933/1934 162
- 5 „Das moderne Wohnprinzip“ – Zwischen Bauhaus und Wien 173
- 5.1 Das Bauhaus als Basis 173
- 5.2 Zur Situation in Wien – Innenraumgestaltung und Architektur 175
- 5.2.1 Die Wiener Moderne um 1900 175
- 5.2.2 Wien in der Zwischenkriegszeit 177
- 5.3 Theorie und Anspruch der Ateliergemeinschaft 182
- 5.4 Einrichtungsgegenstände: Möbel, Leuchten und Kachelöfen 185
- 5.4.1 Vom Einzelstück zur Typisierung – Frühe Möbel 1925–1929 185
- 5.4.1.1 Bauhaus und De Stijl als Vorbild 185
- 5.4.1.2 Verwandelbarkeit als Prinzip 202
- 5.4.1.3 Verbindungen zum Wiener Jugendstil und Biedermeier 210
- 5.4.1.4 Zwischen sozialem und künstlerischem Anspruch: Typisierungstendenzen 216
- 5.4.1.5 Möbeltischler und Hersteller 228
- 5.4.2 Wege zur Serienfabrikation – Stahlrohr- und Sperrholzmöbel 1929–1938 230
- 5.4.2.1 Der Stahlrohrstapelstuhl von Bruno Pollak 234
- 5.4.2.2 Stahlrohrmöbelentwürfe der Ateliergemeinschaft 238
- 5.4.2.3 Hersteller und Produktionsversuche der Stahlrohrmöbel 251
- 5.4.2.4 Entwürfe für die Firma Metz & Co 253
- 5.4.2.5 Sperrholzmöbel 261
- 5.4.2.6 Produktionsversuche der Sperrholzmöbel 264
- 5.4.3 Eine Welt für Kinder – Kindermöbel und Baukastenspiele 1927–1938 266
- 5.4.4 Leuchten und andere Metallarbeiten 289
- 5.4.5 Kachelöfen 302
- 5.5 Raumgestaltungen und Architektur 309
- 5.5.1 Verwendung von Farbe als Gestaltungsmittel 309
- |5.5.2 Intervention im Haus Moller von Adolf Loos und im dazugehörigen Garten 319
- 5.5.2.1 Ein neu entdeckter Möblierungsentwurf 319
- 5.5.2.2 Das Zimmer für Anny Wottitz-Moller 334
- 5.5.2.3 Das Gartenhaus 337
- 5.5.3 Wohnkonzepte auf kleinster Fläche 339
- 5.5.3.1 Einwohnräume 339
- 5.5.3.2 „Wachsende Häuser“ – Entwürfe für Kleinhauswohnbauten in Palästina 362
- 5.5.4 Fulminanter Höhe- und Endpunkt – Das Gästehaus Auersperg-Hériot 379
- 5.6 Epilog: Sozialer Anspruch oder Zeitgeist? – Eine kritische Bewertung 411
- 6 Resümee und Ausblick 417
- 7 Anhang 425
- 7.1 Quellentexte 425
- 7.2 Biografie Friedl Dicker / Franz Singer 428
- 7.3 Archive und Sammlungen 431
- 7.4 Literatur 436
- 7.5 Webseiten 473
- 7.6 Bildnachweis 477
- 7.7 Abkürzungen 480
- 7.8 Abstract 481
- 7.9 Register 482