Page - 311 - in Bauhaus in Wien? - Möbeldesign, Innenraumgestaltung und Architektur der Wiener Ateliergemeinschaft von Friedl Dicker und Franz Singer

Raumgestaltungen und Architektur 311 Dunkle, das Gelbe, Rote und Blaue möglichst auf einmal zu fassen. Es ist dann gleichmäßig erregt.“331 Oskar Schlemmer schuf im Foyer und Treppenhaus des Weimarer Bau- hausgebäudes ein Werk aus Reliefs und Wandmalerei, das alle Wand- und Deckenflächen umfasste (Abb. 296).332 Ab dem Sommersemester 1922 lei- tete Kandinsky als Formmeister die Werkstatt für Wandmalerei bis zur Schließung des Weimarer Bauhauses im Frühjahr 1925. Er war als Jura- Student 1889 in die Region Vologda in Russland gereist, um anthropolo- gische Forschungen über bäuerliches Recht zu betreiben. In seinen „Rück- blicken“ von 1913 beschreibt er seinen Eindruck der farbenprächtigen und mit Ikonen und Volkskunst ausge- statteten Holzhäuser der Bauern: „In diesen Wunderhäusern habe ich eine Sache erlebt, die sich seitdem nicht wiederholt hat. Sie lehrten mich, im Bilde mich zu bewegen, im Bilde zu leben.“333 Diese Erfahrung ließ in ihm den Wunsch aufkommen, in seinem eigenen Werk einen ähnlichen Effekt zu erzielen: „Ich habe viele Jahre die Möglichkeit gesucht, den Beschauer im Bilde ‚spazieren‘ zu lassen, ihn zu der selbstvergessenen Auflösung im Bilde zu zwingen.“334 Mit der von der Werkstatt für Wandmalerei für die Juryfreie Kunst- ausstellung 1922 ausgeführten Wandmalerei wurde Kandinskys synthetisches Ideal er- zielt, wobei der Ausgangspunkt mit farbigen, geometrischen Formen noch ein bildlicher war.335 Im Meisterhaus Kandinsky-Klee in Dessau erhielten schließlich ganze Wände eine Farbe. Diese nicht-bildhafte Wandmalerei ermöglichte eine direkte Interaktion mit der 331 Tagebuch Johannes Itten, 22.4.1917, in: Badura-Triska 1990a, S. 196. 332 Siebenbrodt 2009b, S. 139. 333 Zitiert nach: Poling 1982, S. 39. 334 Zitiert nach: Poling 1982, S. 39. 335 Poling 1982, S. 39. Abb. 296: Oskar Schlemmer, Farbgestaltung im Foyer und Treppenhaus des Weimarer Bauhausge- bäudes, 1923, Rekonstruktion. © 2021 Böhlau Verlag | Brill Österreich GmbH https://doi.org/10.7767/9783205213161 | CC BY-NC 4.0