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„Das moderne Wohnprinzip“ – Zwischen Bauhaus und Wien
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auch den Schlusspunkt, da in Folge kein von ihm entworfenes Gebäude mehr ausgeführt
wurde.
Auftraggeber des Gästehauses war die aus österreichisch-adeligem Geschlecht stam-
mende Hildegard von Auersperg489 (1895–1981) und der mit ihr seit 1928 verheiratete,
wohlhabende Franzose Auguste-Olympe Hériot (1886–1951), dessen Vater Inhaber des
Pariser Warenhauses Grands Magasins du Louvre war.490 Bekanntheit erlangte Auguste-
Olympe Hériot durch eine Liaison mit der Schriftstellerin Colette (1873–1954), die
ihn zur Vorlage für die Hauptperson ihres 1920 erschienenen Romans Chéri nahm.491
In einem Artikel über das Wohnhaus wird Hériot als „ehemaliger Kolonialoffizier, der
weit in der Welt herumgekommen“ sei, Sammler von Kleinplastiken und Kunstwerken,
„Sportsmann“ und „Freund der neuen Baukunst“ beschrieben.492 Der Auftrag an das
Atelier ergab sich möglicherweise aus der Bekanntschaft von Singers Schwester Frieda
Stoerk mit Hildegard Auersperg-Hériot, da diese bereits 1923 bei Stoerk handgefertigte
Taschen erwarb.493
Um 1931 zog das Paar aus Wien-Hietzing in eine Villa in der Rustenschacherallee 30
beim Prater, die 1906 nach Plänen des Architekten Oskar Laske errichtet und von Fritz
Reichl494 (1890–1959) von 1930 bis 1931 modernisiert worden war (Abb. 388). Reichl
entwarf zudem den Swimmingpool495 und das Badehaus496 im Garten und führte Ände-
rungen im Wirtschaftsgebäude497 mit Garage durch, das um 1900 die Pferdestallungen
489 Hildegard Karolina Johanna von Auersperg war die Tochter von Valerie Anna Elisabeth Josefine
von Auersperg, geborene Schenk von Lédecz (1875–1945) und Anton Alexander von Auersperg
(1868–1924). Siehe: Geni 2017a.
490 Thurmann 2001, S. 345.
491 Thurmann 2001, S. 408, 479–481, 508–510.
492 Innendekoration 1931, S. 3–4.
493 Hildegard von Auersperg stand mit der Familie Singer spätestens ab 1923 in Verbindung. Durch
eine Rechnung ist belegt, dass sie bei Frieda Stoerk, Franz Singers Schwester, die sich auf die Herstel-
lung von Taschen, Gürteln und Stickereien spezialisiert hatte, 1923 solche Objekte erwarb. Siehe:
AGS, Rechnung Frieda Stoerk an Hildegard Auersperg, 28.5.1923.
494 Der jüdische Architekt Fritz Reichl hatte bei Karl König, Franz Krauss und Peter Simony an der
Technischen Hochschule in Wien studiert. 1939 emigrierte er in die Türkei um dort die Leitung
des Büros von Clemens Holzmeister in Istanbul, später in Ankara, zu übernehmen. Nach dem Krieg
erhielt er eine Stelle bei seinem Freund Richard Neutra in Los Angeles und gründete anschließend
mit Max Starkmann 1953 das Büro Reichl & Starkman. Siehe: Weihsmann 2005, S. 325
495 WStLA, M. Abt. 236, A16 - EZ - Reihe: Altbestand Bez. 1–9, 20: KG: Leopoldstadt, EZ: 1415,
Bescheid vom 18.11.1931.
496 Ebd.
497 In diesem Gebäude waren ursprünglich die Pferdestallungen untergebracht. Der Bescheid für den
Ausbau zu einer Garage erfolgte 1922 durch den Vorbesitzer. Siehe: WStLA, M. Abt. 236, A16 - EZ
- Reihe: Altbestand Bez. 1–9, 20: KG: Leopoldstadt, EZ: 1415, Bescheid vom 18.10.1922.
© 2021 Böhlau Verlag | Brill Österreich GmbH
https://doi.org/10.7767/9783205213161 | CC BY-NC 4.0
Bauhaus in Wien?
Möbeldesign, Innenraumgestaltung und Architektur der Wiener Ateliergemeinschaft von Friedl Dicker und Franz Singer
- Title
- Bauhaus in Wien?
- Subtitle
- Möbeldesign, Innenraumgestaltung und Architektur der Wiener Ateliergemeinschaft von Friedl Dicker und Franz Singer
- Author
- Katharina Hövelmann
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21316-1
- Size
- 17.4 x 25.6 cm
- Pages
- 492
Table of contents
- 1 Einleitung 9
- 1.1 Ein vergessenes Kapitel Wiener Design- und Architekturgeschichte 9
- 1.2 Forschungsstand 10
- 1.3 Quellenlage 15
- 1.4 Forschungsziele und Methodik 21
- 2 Dickers und Singers künstlerische Ausbildung im Zeichen von Kunstschulreform und Lebensreformbewegung 27
- 2.1 Die Zeit in Wien 27
- 2.1.1 Herkunft und Ausbildung bis 1916 27
- 2.1.2 Kunstschule Johannes Itten und Netzwerke 1916–1919 33
- 2.2 Studienzeit am Bauhaus in Weimar 1919–1923 47
- 2.2.1 Die Wiener Gruppe um Johannes Itten 47
- 2.2.2 Unterricht 56
- 2.2.3 Erste Architekturentwürfe – Vier Einfamilienhäuser 77
- 3 Berufliche Anfänge 89
- 3.1 Aufträge für Theater in Dresden und Berlin 1921–1922 89
- 3.2 Werkstätten Bildender Kunst GmbH, Berlin 1923–1926 92
- 3.2.1 Arbeiten für Die Truppe 107
- 3.2.2 Die Auflösung 114
- 4 Die Wiener Ateliergemeinschaft 1925–1938 117
- 4.1 Die Zusammenarbeit von Dicker und Singer 1925–1931 117
- 4.2 Architekturfachkenntnis im Hintergrund – Die AteliermitarbeiterInnen 134
- 4.3 AuftraggeberInnen 140
- 4.4 Strategien der Bewerbung 147
- 4.4.1 Axonometrie und Modell 147
- 4.4.2 Fotografie 154
- 4.4.3 Publikationen 157
- 4.5 Dickers und Singers Wege ab 1933/1934 162
- 5 „Das moderne Wohnprinzip“ – Zwischen Bauhaus und Wien 173
- 5.1 Das Bauhaus als Basis 173
- 5.2 Zur Situation in Wien – Innenraumgestaltung und Architektur 175
- 5.2.1 Die Wiener Moderne um 1900 175
- 5.2.2 Wien in der Zwischenkriegszeit 177
- 5.3 Theorie und Anspruch der Ateliergemeinschaft 182
- 5.4 Einrichtungsgegenstände: Möbel, Leuchten und Kachelöfen 185
- 5.4.1 Vom Einzelstück zur Typisierung – Frühe Möbel 1925–1929 185
- 5.4.1.1 Bauhaus und De Stijl als Vorbild 185
- 5.4.1.2 Verwandelbarkeit als Prinzip 202
- 5.4.1.3 Verbindungen zum Wiener Jugendstil und Biedermeier 210
- 5.4.1.4 Zwischen sozialem und künstlerischem Anspruch: Typisierungstendenzen 216
- 5.4.1.5 Möbeltischler und Hersteller 228
- 5.4.2 Wege zur Serienfabrikation – Stahlrohr- und Sperrholzmöbel 1929–1938 230
- 5.4.2.1 Der Stahlrohrstapelstuhl von Bruno Pollak 234
- 5.4.2.2 Stahlrohrmöbelentwürfe der Ateliergemeinschaft 238
- 5.4.2.3 Hersteller und Produktionsversuche der Stahlrohrmöbel 251
- 5.4.2.4 Entwürfe für die Firma Metz & Co 253
- 5.4.2.5 Sperrholzmöbel 261
- 5.4.2.6 Produktionsversuche der Sperrholzmöbel 264
- 5.4.3 Eine Welt für Kinder – Kindermöbel und Baukastenspiele 1927–1938 266
- 5.4.4 Leuchten und andere Metallarbeiten 289
- 5.4.5 Kachelöfen 302
- 5.5 Raumgestaltungen und Architektur 309
- 5.5.1 Verwendung von Farbe als Gestaltungsmittel 309
- |5.5.2 Intervention im Haus Moller von Adolf Loos und im dazugehörigen Garten 319
- 5.5.2.1 Ein neu entdeckter Möblierungsentwurf 319
- 5.5.2.2 Das Zimmer für Anny Wottitz-Moller 334
- 5.5.2.3 Das Gartenhaus 337
- 5.5.3 Wohnkonzepte auf kleinster Fläche 339
- 5.5.3.1 Einwohnräume 339
- 5.5.3.2 „Wachsende Häuser“ – Entwürfe für Kleinhauswohnbauten in Palästina 362
- 5.5.4 Fulminanter Höhe- und Endpunkt – Das Gästehaus Auersperg-Hériot 379
- 5.6 Epilog: Sozialer Anspruch oder Zeitgeist? – Eine kritische Bewertung 411
- 6 Resümee und Ausblick 417
- 7 Anhang 425
- 7.1 Quellentexte 425
- 7.2 Biografie Friedl Dicker / Franz Singer 428
- 7.3 Archive und Sammlungen 431
- 7.4 Literatur 436
- 7.5 Webseiten 473
- 7.6 Bildnachweis 477
- 7.7 Abkürzungen 480
- 7.8 Abstract 481
- 7.9 Register 482