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Die aus Grube G32 vorliegenden Beinartefakte dür-
fen wahrscheinlich mit den in den Räumen P und
Q untergebrachten knochenverarbeitenden Werk-
stätten des benachbarten Hauses IV verknüpft wer-
den. Die unmittelbare Nähe der entsprechenden
Räumlichkeiten spricht wohl dafür. Bemerkenswert
ist das Knochenfragment Kat. 623, das deutliche
Bissspuren aufweist221. Da das Knochenstück
keine Brandspuren zeigt, könnte es sich vielleicht
um eine jüngere Intrusion handeln. Weiters liegen
aus Grube G32 136 g an Tierresten vor. Diese Tier-
reste ohne konkrete Bearbeitungsspuren umfassen
sowohl spezifische Rinderknochen, die vielleicht
eher auf die Beinverarbeitung bezogen werden
dürfen, als auch Überreste von Kleinwiederkäuern
und Schwein, bei denen es sich vielleicht eher um
Abfälle der Nahrungsmittelaufbereitung oder -kon-
sumation handelt (vgl. Kap. 11.2.1).
Die übrigen Funde von Tafelgeschirr und Lampen
aus Keramik dürfen eventuell mit den ehemali-
gen Inventaren der angrenzenden Häuser IV oder
V in Zusammenhang gebracht werden. Der Teller
Kat. 329 (Groh 1996, TSTP 44) der Form Consp.
43 könnte als sog. Altstück die vereinzelte Verwen-
dung von mehreren Jahrzehnten alter Keramik noch
in den Jahren vor 170 n. Chr. andeuten.
Funktional lässt sich das vorliegende Spektrum
folgenden unterschiedlichen Aktivitäten zuwei-
sen: Aufbereitung tierischer Nahrung (Rippen-
fragment Kat. 618), Beleuchtung (Keramiklampen
Kat. 322 – 324 bzw. Groh 1996, LAM 8 – 10), Pro-
duktion von Beinartefakten (Beinartefakte Kat. 508.
554 – 561. 568
– 571. 575. 583. 585
– 586. 594 –
597),
Speisen (Tafelgeschirr Kat. 329. 384 –
398 bzw. Groh
1996, TSTP 44. TS 106 – 116. 169 – 170. 186 – 187)
sowie vielleicht Tierhaltung (Hund [?], Knochenfrag-
ment mit Verbissspuren Kat. 623).
Dieses Spektrum ist nicht mit einer Brunnenverfül-
lung aus Salla-Zalalövő zu vergleichen, für die u. a.
aufgrund menschlicher Skelettreste ein Zusammen-
hang mit Aufräumarbeiten nach Zerstörungen, die
wiederum mit den Markomannenkriegen verknüpft
wurden, konstruiert wurde (vgl. Kap. 15)222.
Von den Räumen des Hauses V (Abb. 3) wurden
die Räume X und Y (Inventar: Abb. 23) nach den
installierten Feuerstellen und Schlackefunden als
metallverarbeitende Werkstätten angesprochen223.
Die Schlackefunde (Kat. 661 –
663) sind mit 2,25 kg
jedoch gering, was die angegebene Interpretation
relativiert. Das einzelne Webstuhlgewicht Kat. 427
ist kein zwingender Beleg für Textilverarbeitung
in Raum Y. Nach Ausweis der als Küchenabfall
anzusprechenden Tierreste (Kat. 620 – 621, vgl.
221 Schmid 1972, 49.
222 Redő u. a. 2003, 303 – 305. 309. 317 f. Abb. 8 – 9.
223 Groh 1996, 80 Abb. 53. Kap. 11.2.1) wäre für Raum Y in Kombination mit
der Feuerstelle F36 auch eine Funktion als Küche
oder zumindest eine Nutzung zur Nahrungszube-
reitung in Betracht zu ziehen. Die Dreifuß- oder
Knickwandschüssel Kat. 29 liefert als Beleg für
Kochgeschirr ein zusätzliches Indiz dafür. In die-
sen Zusammenhang wären auch die Töpfe Kat. 78
und 110 zu stellen, die ich nach ihrer Größe eher
mit der Vorratshaltung als mit der Nahrungsmittel-
zubereitung in Zusammenhang bringen möchte.
Schließlich sind die Teller Kat. 339 und 340 sowie
wahrscheinlich auch die Schale Kat. 346 dem Tafel-
geschirr zuzurechnen, weshalb wir vielleicht davon
ausgehen dürfen, dass in Raum Y auch Nahrung
konsumiert oder zumindest das Tafelgeschirr dafür
hier aufbewahrt wurde.
Zwei Artefakte aus der Produktion von Beingegen-
ständen sind lediglich eine geringe Materialbasis,
um für Raum X/1 (Inventar: Abb. 24) eine entspre-
chende Werkstatt zu postulieren (Kat. 563. 603,
vgl. Kap. 11.2.1). Die übrigen Tierreste ohne kon-
krete Bearbeitungsspuren sind sowohl hinsichtlich
Tierart als auch hinsichtlich Knochen nicht näher
bestimmbar. Eine Diskussion, ob es sich eher um
Rohmaterial zur Produktion von Beinartefakten oder
um Abfälle der Nahrungsmittelaufbereitung oder
-konsumation handelt, hat deshalb zu unterblei-
ben. Die Firmalampe Kat. 325 diente der Beleuch-
tung in Raum X/1. Von den aus Raum X/1 vorlie-
genden Keramiken ist lediglich die Dreifuß- oder
Knickwandschüssel Kat. 30 plausibel als Kochgefäß
anzusprechen. Vielleicht dürfen auch die kleineren
Töpfe Kat. 119, 130 und 147 in diesen Nutzungs-
kontext gestellt werden. Vorratsgefäße dürften mit
einiger Sicherheit mit den Töpfen Kat. 70 und 80
und der Amphore Kat. 628 sowie vielleicht auch
mit den Töpfen Kat. 112, 114 und 123 vorliegen.
Auch die großen Schüsseln Kat. 36, 42 und 252
und das Henkelfragment eines großen Einhenkel-
kruges (Kat. 48) könnten mit der Vorratshaltung in
Verbindung zu bringen sein. Tafelgeschirr ist ledig-
lich durch das Wandfragment einer Terra Sigillata-
Schüssel (Kat. 402) nachgewiesen
Auch für den an der nordöstlichen Hausecke situ-
ierten Raum Z/2 wurde eine metallverarbeitende
Werkstätte in Betracht gezogen224. Das vorhandene
Tafelgeschirr (Kat. 400 – 401) sowie der eiserne
Dreifuß Kat. 656 könnten jedoch auch anderen Akti-
vitäten, beispielsweise im Rahmen der Aufbereitung
oder Konsumation von Nahrungsmitteln, gedient
haben. Das Vorratsgefäß Kat. 624 könnte sowohl
in diesem Kontext als auch von einer Werkstatt
genutzt worden sein225. Nach den Überlegungen zu
einem möglichen Zusammenhang mit der Aufberei-
tung von Nahrungsmitteln wäre es naheliegend, die
224 Groh 1996, 80.
225 Groh 1996, 80.
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Ein Brandhorizont aus der Zeit der Markomannenkriege im südostnorischen Munizipium Flavia Solva
- Title
- Ein Brandhorizont aus der Zeit der Markomannenkriege im südostnorischen Munizipium Flavia Solva
- Author
- Christoph Hinker
- Publisher
- Österreichisches Archäologisches Institut
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-900305-70-3
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 344
- Keywords
- Flavia Solva, materielle Kultur, Artefakt (Archäologie), Brom, Glimmergruppe, Insula, Magerung, Thüringische Drehscheibenkeramik
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Vorwort 7
- Einleitung 9
- 1 Lage 11
- 2 Historischer Kontext 15
- 3 Forschungsgeschichte 23
- 4 Forschungsmeinungen 27
- 5 Quellenkritik 31
- 6 Terminologie 35
- 7 Taphonomie 37
- 8 Exkurs: Korrespondierende Befunde im Munizipium Flavia Solva? 49
- 9 Die Architektur der Insula XLI (Haus I–VI) 51
- 10 Definition von Aktivitätszonen 57
- 10.1 Exkurs: Grube G21 66
- 10.2 Exkurs: Grube G32 72
- 11 Fundauswertung 77
- 12 Chronologie 153
- 13 Technologie und Werkstätten 157
- 14 Der Brandhorizont der Insula XLI im urbanen kultur-geschichtlichen Kontext von Flavia Solva 167
- 15 Brandzerstörungen aus der Zeit der Markomannenkriege in Noricum, Pannonien und Rätien 171
- 16 Diskussion: Ergebnisse und ihr Verhältnis zum historischen Kontext 179
- 16.1 Holzarchitektur 180
- 16.2 Schadensfeuer 180
- 16.3 Pompeji-Prämisse 180
- 16.4 Militaria 181
- 16.5 Menschliche Skelettreste 182
- 16.6 Übrige Funde, speziell Metallfunde 183
- 16.7 Bebauungsmuster der Insula XLI nach Periode II/II+ 184
- 16.8 Forschungsstand zu Flavia Solva 186
- 16.9 Die südostnorische Siedlungslandschaft und das Szenario eines Germaneneinfalls 186
- 16.10 Tradierung von Forschungsmeinungen versus kritischer Prüfung 187
- 16.11 Fragenkatalog und Synthese 187
- 17 Ausblick: Zur Frage der Historizität in der Provinzial- römischen Archäologie 189
- 18 Resümee 195
- 19 Katalog 199
- 20 Tafeln 263
- Tafeln 1 – 43 265
- Fototafeln 1–9 308
- Typentafel mit Tabellen 20 und 21 317
- 21 Anhang 321