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Im Folgenden soll besonders auf die auf dem Areal
der Insula XLI von Flavia Solva-Wagna nachgewie-
senen Handwerkszweige der Bein- und Buntmetall-
verarbeitung sowie auf die Textilproduktion und die
mit diesen Produktionszweigen zu verknüpfenden
weiterführenden Überlegungen näher eingegangen
werden.
Die Lage dieser Werkstätten in der Insula XLI am
westlichen Stadtrand des Munizipiums illustriert die
bevorzugte Nutzung von Außenbezirken zur Ansied-
lung römerzeitlicher Handwerksbetriebe. Ein Über-
blick über die Civitas-Hauptorte der Gallia Belgica
hat gezeigt, dass in Zusammenhang mit der Ansied-
lung von Handwerksbetrieben bevorzugt, allerdings
nicht zwingend, mit einer Nutzung der Siedlungspe-
ripherie zu rechnen ist910.
Im Zusammenhang mit der Wasserversorgung und
-entsorgung der in der Insula XLI untergebrach-
ten Haushalte und Betriebe ist auffallend, dass die
Nähe zum Fluss jedoch nur am östlichen Stadtrand
gegeben war. Am westlichen Stadtrand hatte die
Wasserversorgung über Brunnen und Zisternen zu
erfolgen911, da Flavia Solva-Wagna offenbar über
kein Wasserleitungssystem verfügte912.
Eine Nachbarschaft von bein- und buntmetallver-
arbeitenden Werkstätten, wie sie für die Insula XLI
vorausgesetzt werden darf, ist auch im Südosten
des Munizipiums nachgewiesen. Die Koopera-
tion zwischen einer Schmiede und einer bein- und
geweihverarbeitenden Werkstatt sowie einem Bron-
zegießer ist für ein Areal am südöstlichen Stadtrand
von Flavia Solva-Wagna im Bereich der späteren
Straße E plausibel913. Signifikante Funde dokumen-
tieren die Erzeugung von Eisenmessern mit Heftbe-
schlägen aus Bronze und Griffschalen aus Geweih
sowie vielleicht Stichblättern aus Bein914. Die ange-
führte Bronzegießerei könnte auch als Nebenge-
werbe von der Schmiedewerkstatt betrieben wor-
den sein, wie ein Befund aus Zurzach belegt915.
Die Verwendung verschiedener Materialien und die
Anwendung sowohl entsprechender spezifischer
(Guss) als auch ähnlicher Techniken (Schmiede)
in einem oder in abhängigen benachbarten Betrie-
ben könnte durch Vergesellschaftung entsprechen-
der Abfälle auch für metallverarbeitende Werkstät-
ten in Argentorate-Strasbourg vorliegen916. Auf die
Kombination von Buntmetall- und Eisenschmieden
am Magdalensberg hat zuletzt H. Dolenz hingewie-
sen917. Funde, die auf Eisenverarbeitung hindeuten
könnten, liegen für die Insula XLI lediglich in einer
910 Polfer 2006, 208 f. Tab. 4.
911 Groh 1996, 222.
912 Hudeczek 1988b, 37. Kritisch dazu: Fischer 2002, 85.
913 Heymans 2004, 513.
914 Lang 2008, 133 – 135 Abb. 1 – 2.
915 Doswald 1993, 4 Anm. 8; 15.
916 Gralfs 1988, 47 f.
917 Dolenz 1998, 242. geringen Anzahl von Schlacken (Kat. 500 – 504.
658 – 664. 820), die konkret der Periode II/II+ zuzu-
weisen sind, vor (vgl. Kap. 11.1.4). Geschmiedete
Halbfabrikate fehlen unter den Eisenfunden. Eine
spätantike Schmiede wurde für den Bereich west-
lich der Insula XLI vermutet918.
Auf die Verbindung zwischen Bein- und Hornver-
arbeitung und Buntmetallgießereien am Magda-
lensberg wurde zuletzt von verschiedener Seite
hingewiesen919. Auch für das Munizipium Iuvavum-
Salzburg legen Befunde an mehreren Standorten
die Nachbarschaft und kontemporäre Nutzung bein-
verarbeitender sowie buntmetall- und eisenverarbei-
tender Werkstätten nahe920.
Die Nachbarschaft von Bein- und Buntmetallverar-
beitung ist auch in den canabae legionis von Vindo-
bona-Wien belegt921. In der Insula 50 von Augusta
Raurica-Augst ist während des 2. Jahr hunderts n.
Chr. kontemporär Beinverarbeitung sowie Buntme-
tall- und Eisenverarbeitung nachgewiesen922.
In einem Handwerkerviertel vor der Stadtmauer von
Augusta Vindelicum-Augsburg waren u. a. Bein-
schnitzer und Werkstätten für den Guss und/oder
die Reparatur von Fibeln untergebracht923.
Die beschriebenen Interaktionen zwischen
Schmiede, Buntmetallgießerei und Beinverarbei-
tung lassen sich primär auf zwei Zusammenhänge
zurückführen: Einerseits mussten zur Herstellung
von Artefakten, die aus verschiedenen Materialien
zusammengesetzt sind, die einzelnen Bestandteile
aufeinander abgestimmt dimensioniert erzeugt wer-
den, wie das Beispiel des als Klappmesserkompo-
nente angesprochenen Beinartefakts Kat. 511 zeigt.
Andererseits bedingen nicht nur primär für den Ver-
kauf produzierte ›Kompositartefakte‹, sondern auch
der zur Ausübung der verschiedenen Gewerbe in
diesen Werkstätten notwendige Eigenbedarf an
Werkzeugen, die z. B. geschmiedet und mit Griffen
zu versehen waren oder repariert werden mussten
etc., Interaktionen924.
Falls wir davon ausgehen dürfen, dass die Beinver-
arbeitung häufig mit der Bearbeitung von Holz ver-
bunden war, da diese Handwerke ähnliche Techni-
ken und Werkzeuge einsetzen, könnte die weitere
Nachbarschaft zu Werkstätten, die im Rahmen des
918 Fuchs 1985, 3; Groh 1996, 161 Plan 17, Nr. 1.
919 Sedlmayer 2009, 104 (Werkstatt NG/9, NG/10). 113 (Werk-
statt T5); Gostenčnik – Lang 2010, 202 (Vergesellschaftun-
gen von Abfällen der Bein- und Metallverarbeitung).
920 Knauseder 2008, 126. 129; Knauseder 2010, 188. 191 f.;
Lang u. a. 2012, 109 – 111 (Alte Residenz, Alte Universität,
Furtwänglerpark, Linzergasse).
921 Donat u. a. 2003, 4 – 57.
922 Deschler-Erb 1998, 274 – 277. 285; Straumann 2011, 141 f.
158.
923 Rottloff 1999, 176.
924 Ein Beinartefakt aus Brigetio-Komárno wurde zuletzt als
Blasebalgbestandteil (Düse [?]) interpretiert: Biró 1997, 184.
187. 202 Abb. 56.
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Ein Brandhorizont aus der Zeit der Markomannenkriege im südostnorischen Munizipium Flavia Solva
- Title
- Ein Brandhorizont aus der Zeit der Markomannenkriege im südostnorischen Munizipium Flavia Solva
- Author
- Christoph Hinker
- Publisher
- Österreichisches Archäologisches Institut
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-900305-70-3
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 344
- Keywords
- Flavia Solva, materielle Kultur, Artefakt (Archäologie), Brom, Glimmergruppe, Insula, Magerung, Thüringische Drehscheibenkeramik
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Vorwort 7
- Einleitung 9
- 1 Lage 11
- 2 Historischer Kontext 15
- 3 Forschungsgeschichte 23
- 4 Forschungsmeinungen 27
- 5 Quellenkritik 31
- 6 Terminologie 35
- 7 Taphonomie 37
- 8 Exkurs: Korrespondierende Befunde im Munizipium Flavia Solva? 49
- 9 Die Architektur der Insula XLI (Haus I–VI) 51
- 10 Definition von Aktivitätszonen 57
- 10.1 Exkurs: Grube G21 66
- 10.2 Exkurs: Grube G32 72
- 11 Fundauswertung 77
- 12 Chronologie 153
- 13 Technologie und Werkstätten 157
- 14 Der Brandhorizont der Insula XLI im urbanen kultur-geschichtlichen Kontext von Flavia Solva 167
- 15 Brandzerstörungen aus der Zeit der Markomannenkriege in Noricum, Pannonien und Rätien 171
- 16 Diskussion: Ergebnisse und ihr Verhältnis zum historischen Kontext 179
- 16.1 Holzarchitektur 180
- 16.2 Schadensfeuer 180
- 16.3 Pompeji-Prämisse 180
- 16.4 Militaria 181
- 16.5 Menschliche Skelettreste 182
- 16.6 Übrige Funde, speziell Metallfunde 183
- 16.7 Bebauungsmuster der Insula XLI nach Periode II/II+ 184
- 16.8 Forschungsstand zu Flavia Solva 186
- 16.9 Die südostnorische Siedlungslandschaft und das Szenario eines Germaneneinfalls 186
- 16.10 Tradierung von Forschungsmeinungen versus kritischer Prüfung 187
- 16.11 Fragenkatalog und Synthese 187
- 17 Ausblick: Zur Frage der Historizität in der Provinzial- römischen Archäologie 189
- 18 Resümee 195
- 19 Katalog 199
- 20 Tafeln 263
- Tafeln 1 – 43 265
- Fototafeln 1–9 308
- Typentafel mit Tabellen 20 und 21 317
- 21 Anhang 321